| März 2003: |
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Die Washington Times hatte bereits am 14.Februar berichtet, Senator Edward Kennedy habe während einer Anhörung des Verteidigungsausschusses des US-Senats versucht, Verteidigungsminister Rumsfeld zur Rede zu stellen. Rumsfeld "lehnte es ab, den Einsatz von Atomwaffen in einem Krieg gegen den Irak auszuschließen". Er habe "vollstes Vertrauen", daß "wir das Nötige mit konventionellen Mitteln tun können". Unsere Mitglieder-Zeitung hat schon letztes Jahr auf diese Gefahr hingewiesen (siehe Neue Solidarität 4. September 2002, Wie Europa den Atomkrieg verhindern kann, und 18. Dezember 2002, US-Regierung pocht auf atomaren Erstschlag).
In der Zeit des Kalten Krieges galten Atomwaffen als eine besondere Klasse von Waffen, als "allerletztes Mittel" der Selbstverteidigung. Die Weiterverbreitung von Atomwaffen wurde durch den "Atomwaffensperrvertrag" weitgehend verhindert. Kurz nach dem Zerfall der Sowjetunion begann dann in den USA eine strategische Neuorientierung, welche nun dazu geführt hat, daß auch der "präventive" Einsatz von Atomwaffen gegen Nicht-Atomwaffen-Staaten möglich wird.
Um eine so grundlegende Veränderung der Strategie herbeizuführen, muß es erstens ein entsprechendes Konzept, d.h. eine entsprechende Doktrin, geben. Zweitens muß eine entsprechende militärische Planung in Gang gesetzt werden. Drittens muß die entsprechende militärische Reorganisation erfolgen und viertens die Entwicklung der Waffen. Fünftens muß diese neue Doktrin durchgesetzt oder zumindest der Wille zur Durchsetzung deutlich gemacht werden. Wir werden nun diese fünf Schritte der Reihe nach untersuchen und abschließend fragen, was wohl die Konsequenzen einer derartigen Strategie sein werden.
Seit der Amtsübernahme der Regierung Bush junior - also lange vor dem 11.September 2001 - wurde die Formulierung und Durchsetzung der Präventivstrategie und der operativen Nutzung von Atomwaffen mit großem Nachdruck vorangetrieben. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ließ durch ein handverlesenes Team, welches den entsprechenden Planungsgremien im Pentagon übergestülpt wurde, die Quadrennial Defense Review 2001 (QDR) ("Vierjährliche Verteidigungsübersicht") erarbeiten, welche am 30.September 2001 dem US-Kongreß vorgestellt wurde und den "präventiven" Einsatz von Atomwaffen bereits andeutet.
Konkretisiert wurde dies in dem Dokument zur Nuklearplanung (Nuclear Posture Review, NPR), den das Pentagon Anfang 2002 dem Kongreß zuleitete. Mitte März erschienen Teilinformationen dieses NPR in den US-Medien, aus denen hervorgeht, daß die Rüstungs- und Streitkräfteplanung der Regierung Bush auf den Einsatz von Nuklearwaffen für operative Zwecke gegen andere Länder auch ohne einen vorherigen Angriff auf die USA oder US-Streitkräfte hinausläuft. Genannt wurden unter anderem Irak, Iran, Nordkorea, Libyen und Syrien.
Im NPR heißt es ohne weitere Einschränkung, daß der Einsatz von Atomwaffen "für den Fall überraschender militärischer Entwicklungen" vorzubereiten sei. Zu diesem Zweck soll eine "Miniaturisierung" von Kernwaffen flexible Optionen für "Präventions"angriffe schaffen. Die US-Streitkräfte sollen mit modernen, nuklearen und konventionellen Offensivschlagssystemen ausgerüstet werden, um die "Enthauptung" des potentiellen Gegners zu ermöglichen.
Der NPR stellt Atomwaffen entsprechend den verfolgten Zielen und Möglichkeiten gleichberechtigt neben konventionelle Waffen und behandelt diese Waffen nicht mehr als prinzipiell von konventionellen Waffen abgetrenntes "allerletztes Mittel" in einem existenzbedrohenden Verteidigungsfall. Gerade diese Selbstbeschränkung auf diesen existenzbedrohenden Fall war jedoch in der Vergangenheit für Nicht-Atomwaffenstaaten die Grundlage, selbst auf den Besitz solcher Waffen zu verzichten.
Diese Grundlage wurde durch die von Präsident Bush am 17.September 2002 verkündete "Nationale Sicherheitsstrategie" endgültig für obsolet erklärt. Bush teilte der Welt mit, daß die Abschreckung des Kalten Krieges nun beendet sei, weil Terroristen und Schurkenstaaten prinzipiell nicht abgeschreckt werden könnten. Atomwaffen seien nicht mehr "letztes Mittel", sondern "Waffen der Wahl". Sicherheit sei durch "Prävention" zu erzielen, wobei natürlich auch Atomwaffen eingesetzt werden können. Bereits am 2.Juni 2002 hatte Bush vor Absolventen der Militärakademie West Point diese Strategie dargelegt, als er verlangte, "jederzeit bereit zu sein, um ohne Zeitverlust in jeder dunklen Ecke der Welt zuschlagen zu können... Der Krieg gegen den Terror wird nicht in der Defensive gewonnen."
Schon 1990 wurde unter dem damaligen Verteidigungsminister und jetzigen Vizepräsidenten Cheney begonnen, den Einheitlichen Integrierten Operationsplan ("Single Integrated Operational Plan", SIOP) umzustellen, um eine schnellere Veränderung der anvisierten Ziele zu ermöglichen. Es entstand der sogenannte "living SIOP". Seit 1993 spricht man von "adaptiver Planung", die angeblich "einzigartige Lösungen für maßgeschneiderte" Angriffe auf "regionale Gefahren" gibt, und zwar unter "Einbeziehung von Massenvernichtungswaffen".
Für "einige Staaten" seien Massenvernichtungswaffen "nicht das letzte Mittel, sondern Waffen, die man militärisch einsetzen kann, wenn es sinnvoll erscheint", was impliziert, daß das Konzept der Atomwaffe als "allerletztes Mittel" nicht mehr gültig ist. Deshalb "müssen die Vereinigten Staaten... jede erdenkliche Anstrengung unternehmen, um zu verhindern, das Staaten und Terroristen in den Besitz von MVW und Raketen gelangen." Unter der Überschrift "Gegenproliferation" steht: "Das Militär der USA... muß das gesamte Spektrum der operationalen Fähigkeiten besitzen, um der Gefahr der MVW zu begegnen... Die Vereinigten Staaten werden... sich das Recht vorbehalten, mit überwältigender Macht - unter Einschluß aller unserer Möglichkeiten - auf den Gebrauch von MVW zu reagieren."
In dem geheimen Text, der - weshalb auch immer - an die Medien "durchsickerte", steht statt "unter Einschluß aller unserer Möglichkeiten" explizit "unter Einschluß von Atomwaffen". Laut Washington Post vom 11.Dezember 2002 nennt "ein streng geheimer Anhang der Direktive die Länder Iran, Syrien, Nordkorea und Libyen als zentralen Fokus des neuen Ansatzes der USA". Eine entscheidende Passage dieses Dokuments lautet: "Das primäre Ziel... ist die Abwehr eines unmittelbaren Angriffs und die Eliminierung der Gefahr zukünftiger Angriffe. Abschreckung und Prävention erfordern wirkungsvolle Antworten und Fähigkeiten für robuste Schläge... Eine wirkungsvolle Antwort der USA wird nicht nur die Quelle des Angriffs mit Massenvernichtungswaffen beseitigen, sondern auch einen starken abschreckenden Effekt auf andere Gegner haben, die Massenvernichtungswaffen besitzen oder deren Besitz anstreben."
Wenn mit Atomwaffen ein abschreckendes Exempel statuiert werden soll, so ist denkbar, daß die Regierung Bush schon im Rahmen eines Irakkriegs ein derartiges Exempel statuiert. Vor allem muß man wissen: Falls sich Rumfelds Vorstellungen, "das Nötige mit konventionellen Mittel tun zu können" als zu optimistisch herausstellen, ist der Wille und die operative Fähigkeit vorhanden, Atombomben einzusetzen. Am 21.Februar 2003 stellte deshalb ein EIR-Korrespondent dem US-Regierungssprecher Ari Fleischer die konkrete Frage: "Würde der Präsident im Kampf gegen Saddam Hussein den Einsatz der sogenannten 'Miniatur-Atomwaffen' untersagen?" Fleischers Antwort war: "Das Weiße Haus und die Regierung schließen nichts ein oder aus. Wir wollen hier nicht über spezifische Munitionsarten sprechen."
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