Immerhin ist das schon eine Wende, da sich der scheidende Ministerpräsident Berlusconi nicht scheute, im Zusammenhang mit dem Irakkrieg mit so wichtigen europäischen Partnern wie Frankreich und Deutschland zu brechen. Das hat sicherlich Folgen für die Auseinandersetzung um den Iran, vor allem weil Italien sich mit Japan und Kanada der 5+3-Gruppe angeschlossen hat, die über die iranische Nuklearkrise verhandelt.
Es wird aber vermutlich noch einige Wochen dauern, bis die Regierung Prodi ihre Arbeit tatsächlich aufnehmen kann. Schuld daran ist ein "institutioneller Stau", wie es die Italiener nennen: Mitte Mai läuft die siebenjährige Amtszeit des Staatspräsidenten Carlo Azeglio Ciampi aus. Und Ciampi hat zu verstehen gegeben, daß es ihm lieber ist, wenn erst sein Amtsnachfolger nach den verfassungsmäßigen Prozeduren Prodi das Mandat zur Regierungsbildung erteilt. Prodi muß sich dann gedulden, bis das neugewählte Parlament sich für einen neuen Staatspräsidenten entscheidet. Das gefällt Prodi nicht, und er drängt Ciampi, seine Entscheidung zu ändern.
Aber unabhängig davon wird die neue Regierung im Senat nur über eine hauchdünne Mehrheit von zwei Sitzen verfügen. Dies wird die politische Arbeit erheblich erschweren und kann sogar zu einem vorgezogenen Rücktritt führen, wenn Prodi nicht mit der Opposition oder zumindest Teilen von ihr ins Gespräch kommt.
Prodis Wahlbündnis "Union" hat den Vorsprung von 4-5%, den es noch zwei Wochen vor der Wahl vor Berlusconis "Haus der Freiheit" hatte, fast ganz verspielt. Die Union erhielt 49,8% der Stimmen für das Abgeordnetenhaus, auf Berlusconi entfielen 49,7%. Dank eines "Mehrheitsbonus" im Wahlrecht verfügt die Union allerdings trotz des extrem knappen Vorsprungs von 0,1% im Abgeordnetenhaus über eine deutliche Mehrheit von 63 Sitzen (340:277).
Bei den Wahlen zum Senat erhielt Berlusconi hingegen mehr Stimmen, er lag mit 50,2% sogar ziemlich deutlich vor Prodi mit 48,9%. Trotzdem gewann er aufgrund des komplizierten Wahlgesetzes weniger Sitze, weil für jede Region, in denen eine Koalition gewonnen hat, drei Sitze hinzuaddiert werden. Am Ende verfügte Prodi über zwei Sitze mehr (158:156). Das Verhältnis kann sich geringfügig ändern, weil es noch sieben Senatoren auf Lebenszeit gibt, von denen fünf zu Prodis Lager gerechnet werden, aber sie nehmen eher selten an den Sitzungen teil. Die Union wird kaum regieren können, ohne im Senat nicht praktisch jede Abstimmung mit der Vertrauensfrage zu verbinden.
Die Wahlbeteiligung fiel mit 83,6% höher als gewöhnlich aus und widerlegte Befürchtungen einer allgemeinen Politikverdrossenheit. Andererseits zeigt das Wahlergebnis, daß das Land politisch praktisch in zwei Hälften gespalten ist. Einem europaweiten Trend entsprechend, war es eher eine Wahl "gegen" etwas als eine Entscheidung "für etwas". Die meisten Wähler der Union stimmten nicht für Prodi, weil sie ihn schätzen, sondern weil sie Berlusconi ablehnen, und umgekehrt. Die eine Hälfte der Italiener fürchtet Berlusconis Machtmißbrauch und polarisierende Politik, die andere Hälfte mißtraut Prodis technokratischem Regierungsstil und einer Rückkehr zu einer "grünen" industriefeindlichen Politik. In dieser Situation hat auch der Gewinner kein eindeutiges Mandat.
Berlusconi machte sich das zunutze und forderte eine "Regierung der nationalen Eintracht" nach dem Vorbild der Großen Koalition in Berlin. Er weigerte sich auch, Prodis Wahlsieg anzuerkennen, selbst nachdem das Oberste Gericht am 19. April das Wahlergebnis nach einer Neuauszählung angefochtener Ergebnisse bestätigt hat. Berlusconi stellt sich stur, weil er hofft, daß sich die Regierungskoalition früher oder später überwirft. Andererseits ist er selbst das größte Hindernis für die Bildung einer Großen Koalition oder wie auch immer gearteten Zusammenarbeit im Parlament.
Prodis Koalition ist in zwei Lager gespalten: eine "jakobinische" Fraktion, die Berlusconi politisch und juristisch vernichten will, und einen pragmatischen Flügel um den früheren Ministerpräsident Massimo D'Alema, der auch eine Große Koalition ablehnt, aber einen Dialog mit der Opposition in der Wirtschaftspolitik und anderen Fragen anstrebt.
Ein erster Test wird die Wahl des Nachfolgers von Staatspräsident Ciampi sein, die spätestens Mitte Mai im Parlament ansteht. Am besten wäre es, wenn der neue Präsident eine breite Mehrheit hinter sich hat, um wirklich das ganze Volk zu vertreten. Er wird dann Prodi mit der Regierungsbildung beauftragen.
Dann folgt als eine erste Zerreißprobe die Verabschiedung des Haushalts. Einerseits hat sich Italien mit der EU-Kommission auf einen Zweijahresplan geeinigt, wonach das Defizit in dieser Zeit entsprechend den Kriterien des "Stabilitätspakts" (von derzeit 4,2%) auf 3% des BIP gesenkt werden soll. Andererseits würde die Einhaltung der verschiedenen Wahlversprechen der Regierung Prodi mindestens 10 Mrd. Euro zusätzlich kosten.
Die Sicht der Finanzmärkte erhellt sich beispielsweise aus einem Kommentar von Wolfgang Munchau in der Financial Times vom 17. April, in dem "vorhergesagt" wird, als Reaktion auf Prodis knappen Wahlsieg würden internationale Spekulanten gegen langfristige italienische Staatsanleihen wetten, um von erwarteten Zahlungsschwierigkeiten zu profitieren. Ähnlich war es 1992, als Spekulanten um George Soros im großen Stil gegen die Lira spekulierten und sie aus dem Europäischen Währungssystem herausdrängten.
Munchaus Kommentar löste in Italien eine Diskussion aus und wurde anders als in der Vergangenheit selbst vom traditionell probritischen Prodi-Lager als ein inakzeptabler Akt des Kolonialismus verurteilt. Paolo Cirino Pomicino, ein Christdemokrat alten Schlages, der Ende der 80er Jahre Finanzminister war und jetzt im Europaparlament sitzt, schrieb in der Zeitung Il Giornale, die Angriffe der Financial Times und von Goldman Sachs zielten vermutlich darauf ab, "die neue Regierung zu drängen, eine Politik durchzusetzen, wie sie die gleiche Mitte-Links-Regierung in den 90er Jahren betrieb. Goldman Sachs und die Financial Times sind beide Erscheinungsformen der internationalen Finanzkreise, die Italien seit Beginn der 80er Jahre nicht nur als Markt sehen, sondern auch als ein Land, das man kolonisiert." Mit dem "Gespenst der Zahlungsunfähigkeit" wolle man die Regierung Prodi zwingen, den 30prozentigen Anteil am nationalen Erdölkonzern ENI, am Elektrokonzern ENEL, dem Rüstungskonzern Finmeccanica usw. zu verscherbeln. Teile der Mitte-Links-Koalition Prodis und der derzeitige Notenbankchef Mario Draghi seien "Komplizen" bei diesem Ausverkauf.
Aber wie alle großen Schuldner hat auch Italien Waffen, sich zu verteidigen. Die zentrale Frage bleibt daher, ob die kommende Regierung den Forderungen der Finanzmärkte nachgibt und drakonische Haushaltskürzungen durchsetzt, oder ob sie sich widersetzt und die Industrie und den Sozialstaat verteidigt. Wenn Prodi den früheren Direktor der Europäischen Zentralbank Tommaso Padoa Schioppa, einen radikalen Freihändler, zum Finanzminister beruft (worauf Schioppas Besuch bei Prodi am 21. April schließen läßt), ist das ein schlechtes Zeichen; dann könnte es so kommen, wie Pomicino warnt.
Der Vorsitzende der italienischen LaRouche-Bewegung, Paolo Raimondi, hat in einer Erklärung dazu aufgerufen, eine produktive Kreditschöpfung als Hebel zu benutzen, um einen Wirtschaftsaufschwung herbeizuführen. Dabei bezog er sich auch auf die gegenwärtige Diskussion in der Demokratischen Partei in den USA über ein Aufgreifen der Politik Alexander Hamiltons, des Begründers des Amerikanischen Systems der politischen Ökonomie. Die Erklärung erschien auch auf der Internetseite www.movisol.org.
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