Dezember 2006:
Mit dem LKW die Seidenstraße bauen
Spezialisierung in der Nutzfahrzeugsparte schafft neue Arbeitsplätze: Mit 10.000 Mitarbeitern ist das DaimlerChrysler-Werk Wörth zweitgrößter Arbeitgeber in Rheinland-Pfalz nach der BASF Ludwigshafen.
Im Bild der Betriebsratsvorsitzende im DaimlerChrysler-Werk Wörth, Gerd Rheude. Das Gespräch führte Renate Leffek-Pauls am 6. Dezember.
Während fast alle Automobilhersteller von Personenkraftwagen Entlassungen ankündigen, hat das DaimlerChrysler-Werk für Nutzfahrzeuge in Wörth nahe der französischen Grenze 600 Beschäftigte neu eingestellt und fährt in der nächsten Zeit zusätzliche Schichten.
Seit mehr als 40 Jahren schreibt das Werk Wörth Lastwagen-Geschichte. Mit 100 Mitarbeitern begann das Werk 1963 mit der Montage von LKW-Fahrerhäusern. Heute ist es mit 10 000 Mitarbeitern zweitgrößter Arbeitgeber in Rheinland-Pfalz. Rund 400 LKW verlassen jeden Tag die Montagehallen. LKW aus Wörth sind auf allen
Straßen dieser Welt unterwegs. Rund 60% der Produktion werden in mehr als 150 Länder exportiert, und fast jeder zweite LKW stammt aus diesem Werk. Die von der Globalisierung noch relativ wenig betroffene Produktionsstraße ermöglicht es in diesem Werk, die unterschiedlichsten Modelle herzustellen und sogar den Innenausbau individuell zu gestalten - und das "Just in Time".
Derzeit steckt die Automobilindustrie in einer ihrer schwersten Krisen. In den USA hat Ford gerade die Entlassung von 38 000 Mitarbeitern angekündigt, die Abfindungen erhalten oder in den frühzeitigen Ruhestand gehen sollen. Aber auch GM und Chrysler stecken in enormen Schwierigkeiten. Diese Krise beschränkt sich sicher nicht nur auf die Autoindustrie, sondern hängt sehr direkt mit der Zusammenbruchskrise des internationalen Finanzsystems zusammen. Es wird nicht mehr langfristig in die produktiven Wirtschaftsbereiche investiert. Auch in Deutschland steckt die Automobilindustrie (siehe Opel, VW und auch DaimlerChrysler) in großen Schwierigkeiten. Aufgrund der Finanzkrise und der Globalisierung werden hier mehr und mehr Arbeitsplätze abgebaut. So will DaimlerChrysler die Verwaltung nach Indien auslagern. Wie sehen Sie diese Entwicklungen?
Rheude: Die Autoindustrie in den USA steckt in einer Sackgasse und befindet sich an einem Scheideweg. Da spielen viele Gründe eine Rolle. Einer davon betrifft die kurzfristige Planung, die nur von Quartal zum nächsten Quartal geht. Es werden keine langfristigen Investitionen getätigt, und das vermisse ich in den USA sehr stark. Aber das hängt natürlich mit dem Thema Börse, internationaler Kapitalismus zusammen. Der Druck, in jedem Quartal Zahlen und Erfolge vorweisen zu müssen, hindert die Unternehmen daran, langfristiger zu planen und weitsichtiger zu produzieren. Aber das hängt auch mit Automodellen in den USA zusammen. Das sind immer noch Riesenkisten mit enorm hohem Spritverbrauch, und keiner der drei großen amerikanischen Automobilbauer hat sich so richtig auf die Benzinpreiserhöhung eingestellt. Das gilt für GM, Ford und Chrysler, die Autos produzieren, die Sprit fressen ohne Ende. Jetzt merken
die Amerikaner, daß auch bei ihnen der Spritpreis in die Höhe geht. Für uns wäre das immer noch ein Schlaraffenland, aber wenn der Amerikaner 1,50 Dollar für den Liter Sprit zahlen muß, dann kann er sich das auch nicht mehr leisten, und plötzlich wollen sie kleinere Autos. Dann sind natürlich die Japaner auf den Markt gedrängt, und auch die Europäer haben auf einmal ganz andere Chancen. Da man aber immer nur den Finanzmarkt bedienen mußte, hat man nicht mehr in andere Bereiche investiert, wie in Forschung und Entwicklung, um die Zukunft zu planen.
Sie waren ja vor kurzem in den USA und haben sich da einen guten
Einblick auch in die Arbeit der Automobilarbeitergewerkschaft UAW verschaffen können. Wie wird dort mit den Problemen, z.B. Entlassungen umgegangen?
Rheude: Die Kollegen in den USA haben eine ganz andere Auffassung von Gewerkschaften als wir in Europa und Deutschland, z.B. beim Thema Mitbestimmung. Dadurch, daß wir in den Aufsichtsräten mit vertreten sind, haben wir Informationen über die Schaltzentralen und ein Mitspracherecht, aber auch die Möglichkeit, Einfluß zu nehmen. Die ist zwar begrenzt, aber wir sind besser über die Pläne informiert und können auch unsere Sorgen mitteilen und unsere Vorstellungen einbringen.
In den USA denkt man ganz anders: "Produktion und Entwicklung sind Sache des Unternehmens", sagen die Gewerkschafter, "um den Arbeitnehmer kümmern wir uns". Aus meiner Sicht wissen die Kollegen in den USA zuwenig darüber, was im Unternehmen geplant wird. Aber wir haben mittlerweile einen Kollegen, Ron Gettelfinger, Vorsitzender der UAW in den USA, bei uns mit im Hause. Er ist hat kürzlich das erste Mal an einer Aufsichtsratssitzung teilgenommen, die nächste Sitzung wird im Dezember hier in Deutschland stattfinden. In der Regel sind zwei Sitzungen in den USA, die restlichen vier Sitzungen finden dann in Deutschland statt.
Hier in Wörth, in dem Werk, das ich schon über 40 Jahre kenne, habe ich für den Erhalt der Mitbestimmung gekämpft, um für den Arbeitnehmer mitzuplanen. Das Werk ist hier auf der grünen Wiese entstanden und hat sich enorm entwickelt. Die Kollegen müssen im Moment relativ wenig Sorge vor der Globalisierung haben. Hier hat sich ein großes Werk entwickelt, es wird jetzt eine Teststrecke geplant, die fast wie eine Formel-Eins Strecke aussieht. So etwas ist zur Weiterentwicklung
der Fahrzeuge sehr wichtig. Früher hat man in diesem Werk nur montiert, die Teststrecke ist eine weitere Entwicklung für die Zukunft. Das bringt uns qualitative und zukunftssichere Arbeitsplätze, da sind Techniker und Ingenieure gefragt. Die Nutzfahrzeugindustrie in Europa ist für die nächste Zeit ganz gut beschäftigt.
Da Sie ausschließlich LKW produzieren, profitieren Sie insofern von der Globalisierung, daß viele Betriebe in Billiglohnländer (Polen, Rumänien etc.) ausgelagert werden und viele Güter dorthin transportiert werden müssen. Dies hat die Nachfrage an Nutzfahrzeugen ansteigen lassen. Wie langfristig sind denn die Aufträge geplant?
Rheude: Sie können Aufträge für die nächsten zwei drei Jahre haben, aber das ist nicht so einfach. Wenn ein Spediteur mehr Aufträge hat, braucht er mehr Fahrzeuge. Da er aber die Fahrzeuge sofort braucht und nicht in zwei Jahren, müssen wir jetzt produzieren. Deshalb werden wir im kommenden Jahr zusätzlich samstags arbeiten und die Schichten verlängern, um die großen Aufträge abzuwickeln.
Offensichtlich scheinen die PKW-Produzenten mehr unter der Globalisierung zu leiden als die Nutzfahrzeugsparte. Denn oft wird die PKW-Produktion in Billiglohnländer ausgelagert, und zusätzlich sinkt der Absatz.
Rheude: Erstens werden bei den LKW nicht diese großen Stückzahlen gebaut wie bei PKW. In Stuttgart-Sindelfingen laufen 1500-1800 Fahrzeuge pro Tag vom Band, bei VW und Opel sind es noch viel mehr. Es gibt einen hohen Technisierungsgrad, wo man auch Teile auslagern kann. Auch wir kämpfen darum: Bleibt die Arbeit hier, oder geht die Arbeit weg. Wenn ich an unsere Zukunftssicherung 2012 bei Daimler denke, so hat die ganze alte Benz AG in Deutschland eine Arbeitsplatzsicherung bis zum Jahre 2012 ausgesprochen, bis dahin darf keiner entlassen werden.
Aber das Finanzsystem ist bankrott, es könnte sehr schnell zusammenbrechen und damit die ganzen Regelungen, Rahmenrichtlinien und
Vorschläge außer Kraft setzen.
Rheude: Das größte Problem sind die Hedgefonds, an denen mittlerweile alle beteiligt sind. Die meisten wissen nicht, daß wir uns dadurch nur selbst unter Druck setzen. Da muß man jeden Tag auf der Hut sein. Trotzdem sage ich, die europäische Autoindustrie hat einen sehr guten Ruf und Stand in der Welt. Wir haben eine Technik, die jedem Vergleich standhält, aber die Japaner können das genauso gut wie wir.
Trotzdem glaube ich, daß dieser große Run in die Billiglohnländer wie China und andere etc. abflauen wird, weil schon mancher kräftig auf die Schnauze gefallen ist. Das ist auch gut so, denn dann weiß man eine qualifizierte Arbeitskraft zu schätzen. Die Chinesen sind an allem interessiert, besonders an der Technik. Sie schrecken vor nichts zurück und kopieren, wo sie können. Ich habe z.B. gestern ein Bild eines LKW gesehen, den wir schon vor 20 Jahren gebaut haben. Der wird jetzt von einem chinesischen Unternehmen gebaut, das gerade mal den Stern etwas verändert hat, sonst ist das Auto so, wie es bei uns vor 25 Jahren vom Band gelaufen ist. Sie haben einfach die alten Fertigungsanlagen hier
aufgekauft. Dieser Tage stand in der Presse, Leoplant, der zu MAN gehörende Bushersteller, wolle gegen China klagen, da diese ähnliche Busse, aber mit schlechterer Qualität, bauen. Es merken schon einige, daß sie da ins eigene Messer laufen, wenn sie da nicht aufpassen.
Ich sage, es gibt Chancen, unsere Industrie hier zu behalten, aber die Finanzmacht ist brutal. Ich habe das noch nie in meinen 40 Jahren so brutal erlebt wie heute. Das ist Kapitalismus pur. Da werden Milliarden täglich um den Erdball geschickt. Auch in unserem Unternehmen geht es viel amerikanischer zu als früher.
Noch vor einem Jahr hatte man bei Opel nicht daran gedacht, daß man ähnliche Probleme bekommen könnte wie in den USA, aber sie sind schnell von der Krise eingeholt worden. Da aber die Zusammenbruchskrise weitergeht, und man Jahr für Jahr nur das Geld in den Mittelpunkt der Wirtschaft stellt, aber nicht die Produktion, ist keine Änderung in Sicht. Zudem sitzt in den Chefetagen eine Generation, die keine andere Wirtschaftspolitik kennt als die Geldpolitik. Aber Wirtschaft hat eigentlich gar nichts mit Geld zu tun, sondern mit Produktion. Hinzu kommt noch, daß diese Manager in der Regel alle zwei Jahre einen anderen Aufgabenbereich von ihren Konzernen zugewiesen bekommen und daher eine langfristige Planung gar nicht möglich ist. Es geht geht gar nicht mehr darum, was eine Nation wirklich braucht: internationale Projekte wie die eurasische Landbrücke, um länderübergreifend infrastrukturelle Aufbauprojekte umzusetzen.
In Ihrem Prospekt über den LKW-Bau habe ich gelesen, daß die LKW auf der Seidenstraße getestet werden und über 6000 km fahren. Das ist eigentlich die Wirtschaftspolitik, auf die wir uns heute konzentrieren sollten. Wird das bei Ihnen denn heute noch so umgesetzt?
Rheude: Ich stelle fest, daß die Zeit der großen
Globalisierungseuphorie vorbei ist, aber man muß ja nach China und nach Indien, wo schon mehr Menschen mitarbeiten als in China. Trotzdem glaube ich, die europäische Autoindustrie hat gute Chancen, wenn sie sie richtig nutzt. Die Manager stehen heute unter einem wahnsinnigen Druck. Die jüngsten Entscheidungen bei VW zeigen, daß es nirgends, auch nicht bei uns vor Ort, eine Garantie für den Arbeitsplatz gibt. Es ist auch der Druck der Finanzmacht auf die Manager, die heute gewählt und morgen abgewählt werden können. Von der menschlichen Seite betrachtet existieren da große Ängste bei den Managern, die sind nicht immer die
großen Macher, wie man oft glaubt. Sie leben jeden Tag 24 Stunden für dieses Unternehmen, aber dafür kriegen sie auch schönes Schmerzensgeld.
Unser Werk exportiert sehr stark in den europäischen Raum, auch in den Nahen und Mittleren Osten, aber der Großteil des Exports findet hier in Europa statt.
Rheude: Nein, nein vorwiegend in den Westen. Jahrelang war Frankreich unser größter Markt, aber auch Spanien und Italien. Ich sage, dieses Werk hat Europa Vorteile gebracht. Aber es ist Aufgabe der Politik, Europa in die richtigen Bahnen zu bringen. Den großen Gedanken Europas finde ich richtig, besonders vom Standpunkt der europäischen Wirtschaft.
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