DGB sollte lieber Woytinsky studieren
Von Helga Zepp-LaRouche,
Bundesvorsitzende der Bürgerrechtsbewegung Solidarität
Die Energie einsetzen, um ein Beschäftigungsprogramm zu erreichen, anstatt die knapper werdenden Stellen gerechter zu verteilen, das ist die Politik der BüSo. Die Funktionäre des DGB sollten sich genau daran messen, wenn sie ihre Rolle als Interessenvertreter der Arbeitnehmer ernst nähmen.
Im Bild Helga Zepp-LaRouche wird direkt am "östlichen Terminal
der Eurasischen Landbrücke" in der chinesischen
Hafenstadt Lianyungang interviewt.
"Zielbewußte, tiefgreifende Maßnahmen zur Belebung der Wirtschaft waren nie notwendiger als in der heutigen Situation. Die Arbeiterbewegung braucht ein 'wirtschaftspolitisches Aktionsprogramm', das den Arbeitern wie auch den anderen Volksschichten zeigt, daß die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften einen Ausweg aus der wirtschaftlichen Not sehen. Gegenwärtig haben wir kein wirtschaftspolitisches Aktionsprogramm. Wir haben eine Liste sozialer Forderungen, die wir nach bestem Wissen und Können durchzusetzen versuchen. Wir haben eine bestimmte Stellungnahme zu einzelnen Fragen der Wirtschaft. Ein 'Programm' haben wir nicht."
Wenn man das "Hintergrundpapier für die wirtschafts- und sozialpolitische Reformagenda des DGB" vom 8. Mai 2003 liest, fällt einem dieses Zitat ein. Von wem stammt es?
Es findet sich in der Juni-Ausgabe der theoretischen Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes Die Arbeit im Jahre 1931. Der Autor, der Ökonom des ADGB Wladimir Woytinsky, kritisierte in einem grundlegenden Artikel die Wirtschaftspolitik der damaligen Arbeiterorganisationen, die nur an den Symptomen herumdokterten und bei denen ein Gesamtkonzept fehlte. Der DGB heute wäre gut beraten, Woytinskys Argumentation in seine Überlegungen mit einzubeziehen, denn hätte man 1931 seine Vorschläge und die ganz ähnlichen Programme des Ökonomen Dr. Wilhelm Lautenbach verwirklicht, dann wären die Arbeitslosigkeit überwunden und damit die sozialen Bedingungen beseitigt worden, die zwei Jahre später Hitlers Machtergreifung ermöglichten.
Die Intention des DGB und der anderen Gewerkschaften ist ja völlig richtig, wenn sie sich dagegen wehren, daß mit Schröders Agenda 2010 wesentliche Aspekte des Sozialstaates abgebaut werden. Denn es ist in der Tat ein vollkommen absurdes Argument, daß, um das soziale System zu erhalten, faktisch der Sozialstaat abgebaut werden müsse. Aber die besten Absichten bleiben wirkungslos, wenn sie von völlig falschen Grundannahmen ausgehen.
Blind für die Wirklichkeit der Weltkrise
Das Hauptproblem, das in dem DGB-Papier deutlich wird, ist das gleiche wie in der Agenda 2010: Beide gehen letztlich davon aus, daß es sich bei der gegenwärtigen Wirtschaftskrise nur um eine strukturelle Krise handelt, zu der allenfalls noch einige geopolitische Störungen der Weltwirtschaft hinzukommen. Was bei beiden axiomatisch völlig fehlt, ist die Tatsache, daß es heute nicht nur Parallelen zur Depression und Weltwährungskrise der 30er Jahre gibt, sondern die heutige Lage des Weltfinanz- und Wirtschaftssystems sogar noch viel dramatischer ist. Dieses globale System, das mit freier Marktwirtschaft, Globalisierung, IWF und Weltbank verbunden ist, befindet sich in der Endphase seines Zusammenbruchs. Der Niedergang des Dollars, auf dem dieses ganze System beruht, ist nur ein, wenn auch wesentlicher, Aspekt dieses Prozesses.
Spätestens seit Minister Eichels Bekanntgabe immer neuer Haushaltslöcher von schätzungsweise 126 Milliarden Euro bis 2006 (!) - von Reduzierung des Defizits auf Null also meilenweit entfernt - dürfte klar sein, daß die gegenwärtige Politik der Regierung nicht greift und auch nicht greifen kann, eben weil sie von den falschen Annahmen ausgeht. Und dann liest man im DGB-Papier:
"Um mit Blick auf die Zukunft eine antizyklische Finanzpolitik zu ermöglichen, sollte die Bundesregierung in Zukunft Abschwungphasen strategisch vorbauen. Ziel wäre es, im kommenden Aufschwung einen Teil der steigenden Steuereinnahmen zu verwenden, um die Konjunkturausgleichsrücklage des Bundes bei der Bundesbank aufzustocken. Der Sinn dieses Kontos besteht darin, in wirtschaftlich guten Zeiten Teile des steigenden Steueraufkommens nicht allein zur Konsolidierung der Staatsfinanzen einzusetzen. Vielmehr könnte mit einem geringen Teil des Steueraufkommens das Konto wieder so gefüllt werden, daß 1 bis 1,5 Prozentpunkte des Bruttoinlandsproduktes in Abschwungphasen aus den vorhandenen Rücklagen unbürokratisch und schnell mobilisiert werden könnten, um Investitionen und Konsum anzuregen."
Und wann soll dieser "kommende Aufschwung" bitte schön kommen? Im Jahr 2007? Oder vielleicht erst 2010 oder 2015? Eichel geht ja sogar von Haushaltslöchern aus, die sich bis 2006 auf über 43 Milliarden steigern! Und dann? Man könnte viele andere Aspekte des DGB-Papiers kommentieren, aber an diesem zentralen Punkt wird das Paradox klar, wie sehr die Annahmen, auf die sich das Papier stützt, der Wirklichkeit widersprechen.
Woytinsky und Lautenbach
In der Universalgeschichte der Menschheit ist qualitativer Fortschritt immer dann erfolgt, wenn Denker und Wissenschaftler auf das Auftreten solcher Paradoxa reagierten, indem sie die bisherigen Axiome des Denkens durch bessere, angemessenere ersetzten. Genau dies sollten die Autoren des DGB-Papiers jetzt tun.
Gerade die Schriften und wirtschaftstheoretischen Ansatzpunkte Woytinskys - der ja zur besten Tradition des DGB gehört - und Lautenbachs geben die Richtung vor, in der die Antwort zu finden ist. In dem eingangs erwähnten Artikel Woytinskys heißt es am Ende in einem "Aktionsprogramm für die Belebung der Wirtschaft" unter Punkt 2:
"Die Politik einer Belebung der Wirtschaft muß sich in erster Linie mit der 'Weltwirtschaftskrise' befassen, sie muß eine 'Welt'wirtschaftspolitik sein. Sämtliche Völker leiden darunter, daß die Weltwirtschaft krank ist, sie müssen also ihre Kräfte auf eine gemeinsame Aktion für die Überwindung der Weltkrise konzentrieren."
Und Punkt 3 lautet:
"Kein anderes Land ist... härter als Deutschland von der Weltkrise betroffen, und in Deutschland ist die Arbeiterschaft die Klasse, die am meisten unter der Wirtschaftsdepression leidet. Dementsprechend muß Deutschland die Initiative der tatkräftigen internationalen Politik zur Bekämpfung der Weltkrise ergreifen, und die deutsche Arbeiterklasse (Gewerkschaften und Sozialdemokratie) muß für sich die Rolle des Trägers des Gedankens der aktiven Weltwirtschaftspolitik beanspruchen."
Genau das ist der entscheidende Punkt. Wenn die Gewerkschaften unter Krisenbedingungen - in denen z.B. pro Jahr über 40000 mittelständische Betriebe bankrott gegangen sind - nur an "ihre" Forderungen denken, kann keine Lösung gefunden werden. In einer Situation wie heute müssen die Gewerkschaften einen höheren Blickwinkel wählen und mithelfen, das Interesse der ganzen Nation zu verteidigen und zugleich eine Lösung für die Weltkrise zu finden. Der Woytinsky-Plan, die Reform des Weltfinanzsystems ("Neues Bretton Woods") und der Ausbau der Eurasischen Landbrücke bieten hierfür die Perspektive.
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