August 2006:

"Engel können fliegen, weil sie sich leicht nehmen"

Am 13. August strahlte das ZDF ein Fernsehinterview mit Papst Benedikt XVI. aus, das dieser ausgewählten Journalisten gewährt hatte.

Papst Bendikt XVI
Aus aktuellem Anlaß veröffentlichen wir nochmals einen Artikel über die Grundzüge eines interkulturellen Dialogs aus dem Blickwinkel des katholischen Oberhaupts, nun vor dem Hintergrund des Krieges im Libanon: Dieser Artikel wurde in Mainz dem Vorsitzenden der deutschen katholischen Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann, von BüSo-Aktivisten persönlich ausgehändigt. Daß die Sache auf fruchtbaren Boden fiel, bleibt dabei nur zu hoffen. Unser Mitglied Elisabeth Hellenbroich begutachtete diese "Weltpremiere" des Papstes.

In seinem Feriendomizil in Castel Gandolfo gab Papst Benedikt XVI. kürzlich einer Gruppe Journalisten ein Interview. Es wurde in der dritten Augustwoche im ZDF ausgestrahlt. Das Interview fand vor dem Hintergrund des Krieges im Libanon und in Vorbereitung des anstehenden Papstbesuchs in Deutschland statt. Scharf verurteilte Papst Benedikt XVI. den Krieg. Man wisse aus der schrecklichen Erfahrung zweier Weltkriege, daß Krieg keine Lösung darstellt. Und um Frieden zu erreichen, müßten unter Christen und Arabern die Kräfte mobilisiert werden, die sagen: "Wir müssen miteinander leben". An die Stelle von Krieg und Zerstörung müsse Völkerverständigung und Versöhnung der Generationen treten.

Völkerverständigung sei wiederum nur möglich, wenn der Westen sich mit der ihm eigenen Krise konfrontiere: In einer immer mehr säkularisierten und gottfernen Welt, in der sich jeder Mensch beliebig sein eigenes Weltbild zurechtzimmere, gelte es daher, Gott wiederzuentdecken, betonte der Papst: "Nicht irgendeinen Gott, sondern den Gott mit einem menschlichen Antlitz." Ausgehend davon müsse man dann die Wege zueinander finden, "in der Familie, zwischen den Generationen; und dann zwischen den Kulturen, den Völkern und die Wege der Versöhnung und des friedlichen Miteinanders in der Welt".

Im "Dialog der Kulturen und Religionen" sieht der Papst eine neue Quelle der Inspiration und zugleich ein Korrektiv gegenüber der "kalten Rationalität" des Westens. Die Zukunft werde davon bestimmt, daß "immer mehr andere Kontinente und andere Kulturen mit gleichem Gewicht in das Konzert der Weltgeschichte eintreten, und der Westen stark von anderen Kulturen berührt wird, in denen das originär Religiöse sehr stark ist", von Kulturen, die "über die Kälte Gott gegenüber, die sie im Westen vorfinden, erschrecken... Diese Präsenz des Heiligen in anderen Kulturen, wenn auch in vielfältigen Verschattungen, rührt dann auch wieder an die westliche Welt, rührt uns an, die wir im Kreuzungspunkt so vieler Kulturen stehen. Und auch aus dem Eigenen des Menschen im Westen und in Deutschland steigt immer wieder die Frage nach etwas Größerem auf."

Einer Gesellschaft, die den Menschen ausschließlich nach seinem Wissen beurteilt und nur nach den Regeln der "kalten Rationalität" organisiert ist, fehlt - wie der Papst hervorhebt - etwas sehr Entscheidendes: "Herzensbildung". Ohne sie gebe es keine Kontinuität der Generationen, keine Völkerverständigung und keinen sozialen Frieden: "Die Bildung des Herzens muß, wenn ich's so sagen darf, mit dazukommen, durch die der Mensch Maßstäbe gewinnt und dann auch seine Technik richtig zu gebrauchen lernt."

Man müsse vor allem im Dialog der Kulturen das Positive zur Geltung bringen und zeigen, daß für die neue Interkulturalität, in der wir leben, die pure, von Gott losgelöste Rationalität nicht genügt, sondern eine Rationalität nötig ist, die Gott in der Einheit mit der Vernunft sieht. Und "unser christlicher Glaube, der sich in Europa entwickelt hat", sei auch ein Mittel, "um Vernunft und Kultur zueinander zu bringen und in einer verständnisvollen Einheit auch des Handelns miteinander zu halten".

Am Schluß des Interviews wurde dem Papst die Frage gestellt, welche Rolle der Humor und die Leichtigkeit im Leben eines Papstes spielten, worauf Benedikt XVI. entgegnete: "Ich bin nicht ein Mensch, dem dauernd viele Witze einfallen. Aber sozusagen das Lustige im Leben zu sehen, und die fröhliche Seite daran und alles nicht ganz so tragisch zu nehmen, das ist mir schon sehr wichtig und ich würde sagen, für mein Amt auch notwendig. Irgendein Schriftsteller hat gesagt, die Engel können fliegen, weil sie sich leicht nehmen. Und wir könnten auch ein bißchen mehr fliegen, sozusagen, wenn wir uns nicht ganz so schwergewichtig nehmen würden."

Die Metapher von den Engeln, die sich leicht nehmen, ist schön. Denn "sich leicht nehmen" bedeutet Freiheit und Großmut des Geistes und des Herzens. Sie ist Voraussetzung für schöpferisches Arbeiten, wie man anhand der Biographien bedeutender Persönlichkeiten und Künstler erfahren kann, die von einer tiefen Leidenschaft zu den Menschen und zur Kunst getragen, sich selbst am allerwenigsten "wichtig" nahmen.

Johanna von Orleans

Vielleicht liegt hier der Grund, warum sich der Papst im Hof der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo im August das Drama "Le mystère de la charité de Jeanne d'Arc" anschaute. Autor des Dramas ist der französische Schriftsteller Charles Péguy (1873-1914), der sich als zunächst überzeugter Sozialist in der Dreyfus-Affäre Emile Zolas aufwühlendem "J'accuse" anschloß - und später Katholik wurde. In einer kurzen Ansprache an die Darsteller wies der Papst darauf hin, daß "das Leben und Leiden der Jungfrau von Orleans auch heute angesichts der dramatischen Ereignisse im Nahen Osten weiterhin aktuell" ist.

Péguys Drama "Das Mysterium der Liebe der Johanna von Orleans" nimmt Bezug auf die Passion des jungen Mädchens Johanna ("Ich bin eine kleine Französin, die klar sieht"). Gemäß der überlieferten Geschichtsschreibung war die aus Domrémy in Lothringen stammende Johanna (geb. zwischen 1410 u. 1412, gest. 1431) ein Bauernmädchen, das - geprägt von dem Geist der Reformbewegung der "Devotio Moderna" und, wie es heißt, beraten von einigen führenden Vertretern dieser Bewegung (u.a. Gerson ) - inmitten der Wirren des Hundertjährigen Krieges, als Frankreich im Krieg gegen England und Burgund vor dem Abgrund steht, die innere Kraft findet, dem Krieg und dem Bösen zu widerstehen. Sie mobilisiert andere Menschen und legt die Grundlagen für eine gerechte Friedensordnung, die mit der Renaissance (in der Regierungszeit Ludwig XI., der Johanna als kleiner Junge kennenlernte) eingeleitet wurde.

Johanna, die mit ihrem Enthusiasmus viele Franzosen inspirierte, wurde tragischerweise als Ketzerin verleugnet, von Kreisen der kirchlichen Inquisition verfolgt und mit 19 Jahren auf dem Scheiterhaufen verbrannt - eine Tat, die damals in den humanistischen Kreisen Europas einen großen Schock auslöste. Péguys Drama konzentriert sich im wesentlichen auf die innere Auseinandersetzung, die Johanna angesichts des Leidens, das sie um sich herum erblickt, durchlebt. Es ist Reflektion über die Bedeutung des Leidensweges Christi, in dessen Nachfolge sich Johanna sieht: "Doch was hat man getan, mein Gott, was hat man mit deinem Geschöpf getan? Noch nie hat man dich so gekränkt; und noch nie fanden so viele Kränkungen unverziehen ihr Ende ... Die Herrschaft der Königreiche auf Erden ist der Herrschaft der Versuchung verfallen; und die Bösen erliegen der Versuchung des Bösen, der Versuchung, Böses zu tun; den anderen Böses zu tun."

Und weiter: "Der Krieg - wie viele Verwundete, Kranke, Verlassene, unglückliche Franzosen und verlassene Kinder und Tote" bringt er hervor, klagen Johanna und die zehnjährige Hauviette, die sich als "Partei der Aufbauenden" bezeichnen. "Die Tötenden verlieren ihre Seele, weil sie töten. Und die Getöteten verlieren ihre Seele, weil sie getötet werden... Da sie immer die gleichen sind, die geschlagen und getötet werden, so verzweifeln die Unglücklichen an ihrem Heile, denn sie verzweifeln an Gottes Güte."

Johanna starb mit 19 Jahren. Und auch wenn der Krieg nicht sofort beendet wurde: Johanna inspirierte eine Fraktion bedeutender Humanisten und legte so die Grundlage für das Konzil von Florenz, mit dem 1439 die Renaissance eingeleitet wurde. Johanna war eine schöne Seele, ein Engel, ein Genie - einfach, ehrlich und mit der Fähigkeit begabt, Menschen für eine große Aufgabe zu inspirieren. Ihre tiefe Gottgläubigkeit und ihre Liebe zu den Menschen gaben ihr die "kognitive Leidenschaft", jene Herzensbildung, von der der Papst im Interview sprach. Diese Herzensbildung ist die Essenz von Staatskunst und die Grundlage für Versöhnung und Frieden.


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