In seiner Grußbotschaft erinnerte Papst Johannes Paul II. an das Vorbild des Kongresses, den berühmten "Akt von Gnesen," der vor 1000 Jahren stattfand. In einer historischen Begegnung trafen damals der deutsche Kaiser Otto III. (980-1002) und der polnische Fürst Boleslaw Chrobry in der damaligen polnischen Hauptstadt Gnesen zusammen. Otto III. hatte die beschwerliche Reise auf sich genommen, um dem heiligen Adalbert seine Verehrung zu erweisen. Der aus böhmischem Adel stammende, 956 geborene Missionar und spätere Prager Bischof Adalbert hatte nach vielen Reisen durch Europa im Frühjahr 997 seine Mission bei den heidnischen Pruzzen begonnen, wurde jedoch noch im April des gleichen Jahres ermordet. Der polnische Herzog Boleslaw Chrobry löste den Leichnam des Märtyrers bei den "Heiden" aus und ließ ihn in der Kathedrale von Gnesen beisetzen. Tief bewegt unternahm dann im Jahre 1000 Kaiser Otto III. eine Pilgerfahrt zu dem Grab des Märtyrers. Im Akt von Gnesen wurde damals die Grundlage für das Königreich Polen unter dem 1024 gekrönten Piastenkönig Boleslaw gelegt und das Erzbistum Gnesen gegründet.
"Europa des Geistes" - lautete das Motto der Konferenz. Der Papst bezog sich auf die Jahrhunderte alte Geschichte Europas, dessen geistige Wiege in Hellas stand. Auf den Lehren des Sokrates, Platon und Aristoteles aufbauend wurde das Erbe der hellenistischen Kultur, so der Papst, durch die jüdisch- christliche Kultur bereichert. Die prägenden Werte dieser Europäischen Kultur lassen sich in dem Begriff des "Guten, Schönen und Wahren" zusammenfassen, welche mit dem Ereignis von Golgatha (dem Kreuzestod Christi) den Weg für eine neue Phase der europäischen Identität eingeleitet habe.
Prof. Stanislaw Grygiel, ein Schüler der Papstes, der sich mit dessen Lehre in der Lateran-Universität befaßt, faßte das Europakonzept des Papstes zusammen. Unter Europa stelle sich der Papst eine "Union von Ländern vor, die vom Atlantik bis zum Ural, von der Nordesse bis zum Mittelmeer reichen . Europa umfaßt kein geschlossenes und abgegrenztes Territorium. Es entstand in der Begegnung mit anderen Nationen, anderen Kulturen und anderen Zivilisationen". Viele Länder und Kontinente erwarteten heute "mutige Initiativen" von diesem Europa, die für den "Aufbau einer gerechten und brüderlichen Welt" unverzichtbar seien.
Entscheidend sei, daß die Gestaltung Europas vor allem in den "Herzen" der Menschen stattfinden müsse. Dabei gelte es, Europa als einen Raum "schöpferischer Arbeit" und Zusammenarbeit unter den Menschen zu konzipieren. Ein Europa, welches seine auf dem Griechentum aufbauenden jüdisch-christlichen Wurzeln verneine, laufe heute die Gefahr, neue "Trasymachos und Kallikles" hervorzubringen. Damit bezog er sich auf zwei der führenden Sophisten und Feinde des Sokrates, die dem Grundsatz huldigten - daß es keine in der Weisheit und Liebe gründende Gerechtigkeit gebe, sondern vielmehr der Grundsatz "Macht setzt Recht" gelte. Die Anhänger der Philosophie des Trasymachos seien diejenigen, welche sich auf die "Meinung" der Menge berufen, tatsächlich aber den Menschen zur Unterwerfung unter die Diktatur der Meinung zwingen wollen. Es sind die, welche einen Sokrates nicht ertragen können und daher alles daransetzen, solche Denker entweder zu verbannen oder zum Tode zu verurteilen. Ohne direkte Bezugnahme auf die aktuelle Lage zu nehmen, merkte der Redner an, daß ein von trasymachischem Denken beherrschtes Europa zum "Europa der Söldner" und des Chaos werde. Europas Aufgabe liege daher darin, den Gedanken der "Freiheit", der bei den Griechen seinen Ursprung habe, aktiv umzusetzen.
Der Vorsitzende der Laienorganisation Sant'Egidio, Riccardi, hatte zuvor in seiner Rede gefordert, daß Europa, das sich als Kontinent der Städte, als Kontinent einer so reichen sprachlichen und kulturellen Vielfalt entwickelt habe, heute vor dem Hintergrund der zahlreichen gleichzeitig stattfindenden Konflikte zu einem "Kontinent des Friedens" werden müsse. Ohne direkt auf diese Konflikte einzugehen, führte Grygiel diesen Gedanken weiter und erklärte, daß es geradezu die Pflicht Europas sei, "die Abscheulichkeiten, welche in anderen Ländern gegen wehrlose Menschen begangen werden, offenzulegen und sich für Gerechtigkeit und Freiheit einzusetzen. Freiheit jedoch bedeutet mehr als Unabhängigkeit von anderen."
Frieden und die Idee des Gemeinwohls waren Gedanken, die auch von den Vertretern der Politik aufgegriffen wurden. Der polnische Präsident Kwasniewski nahm in diesem Zusammenhang Bezug auf die in der "Union von Lublin" verbrieften Prinzipien der Liebe und Toleranz, welche die polnischen Renaissance unter den Jagiellonen prägten und auch in der 1791 entworfenen polnischen Verfassung ihren Widerhall fanden. Der italienische Politiker R. Buttiglione, ebenso wie der ehemalige polnische Ministerpräsident T. Mazowiecki und der ehemalige rumänische Präsident Konstantinescu betonten, daß es wesentlich sei, die Bürger aktiver an der Gestaltung eines auf dem Gemeinwohl aufbauenden Europas zu beteiligen, in dem, wie Mazowiecki betonte, nicht die "unsichtbare Hand", sondern der Staat die Verantwortung für die soziale Sicherheit seiner Bürger zu tragen habe. Heute bestehe die Gefahr, hieß es, daß sich die Bürger aufgrund der Inkompetenz und mangelnden visionären Kraft der Politiker von einer aktiven Gestaltung europäischer Politik abwendeten.
Unter Karl dem Großen (742-814), dem "Pater Europae", der im 8. und 9. Jahrhundert u.a. durch einen faszinierenden Dialog mit dem Kalifen von Bagdad die politischen und kulturellen Grundlagen Europas legte, habe eine "glückliche Verbindung von klassischer Kultur und christlichem Glauben mit den Traditionen der verschiedenen Völker" in Karls Reich Gestalt gewonnen, die sich "als geistig kulturelles Erbe Europas durch die Jahrhunderte hindurch unter verschiedenen Formen entfaltet" habe.
Der Papst wandte sich vor allem an die junge Generation, die es empfänglich zu machen gelte, für das Gute Schöne und Wahre: "Ich denke an ein Europa, in dem die großen Errungenschaften der Wissenschaft, der Wirtschaft und des sozialen Wohlergehens sich nicht auf einen sinnentleerten Konsumismus richten, sondern im Dienst eines jeden Menschen in Not, sowie der solidarischen Hilfe für jene Länder stehen, die ebenfalls das Ziel der sozialen Sicherheit verfolgen. Möge Europa, das in seiner Geschichte viele blutige Kriege hat erleben müssen, ein tätiger Faktor des Friedens in der Welt sein."
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