März 1999:
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Wahlplakat mit Helga Zepp-LaRouche

Die Identität Europas im 21. Jahrhundert

Auf dem Europa-Parteitag der BüSo am 28. Februar in Mainz hielt die BüSo-Vorsitzende Helga Zepp-LaRouche folgende Rede:



Wir sind an einem Punkt angelangt, den es in der Geschichte noch nie gegeben hat. Einerseits sind wir ganz nahe an einem Absturz der Menschheit, der Möglichkeit, daß unsere Kultur und Zivilisation nicht überlebt. Dann wird man vielleicht in zwei oder drei Generationen europäische Kulturgüter in Museen ausstellen, vielleicht irgendwo in Sibirien oder China, genauso wie wir uns heute die Kulturgüter der Azteken und aus Byzanz ansehen, und sagen, das war eine Kultur, die nicht überlebensfähig war. Wenn die Politik so weitergeht, wie sie augenblicklich läuft, dann gibt es nicht viel Hoffnung, daß uns ein anderes Schicksal bevorsteht.

Auf der anderen Seite sind wir gleichermaßen nahe an einer ganz anderen Entwicklung, nämlich dem größten Wirtschaftswunder aller Zeiten und einer echten Transformation der Regionen der Welt, die sich heute in bitterer Armut befinden: Afrika, Asien und Lateinamerika. Man könnte in diesen Regionen innerhalb kurzer Zeit menschenwürdige Bedingungen und Wohlstand schaffen.

Das gleiche gilt im Bereich der Kultur. Einerseits sehe ich ganz nahe, innerhalb von Wochen und Monaten, einen möglichen Rückfall der Menschheit in die Barbarei. Doch gleichermaßen nahe -- das mag wie ein Paradox klingen -- ist eine neue humanistische Renaissance, ein neues großartiges Zeitalter der Menschheit. Bisher hat noch niemals eine Renaissance die ganze Erde umfaßt. Aber wenn die Änderungen, die wir anstreben, verwirklicht werden, ist es in der Tat denkbar, daß alle Kulturen gleichzeitig und weltweit wieder zu blühen beginnen. Wir, die BüSo und die mit ihr weltweit verbundenen Kräfte, sind der entscheidende Faktor dabei, in welche der beiden Richtungen die Entwicklung gehen wird.

Nun wird der eine oder andere von Ihnen denken: Wir sind nur so wenige und sollen doch eine so wichtige Rollen spielen? Ich hoffe Ihnen im Verlauf meines Vortrages darlegen zu können, daß wir in der Tat durch unsere Ideen -- Ideen, die mit Lyndon LaRouche und dem Schiller-Institut verknüpft sind -- insbesondere in den letzten zehn Jahren zu einer solchen weltbedeutenden Kraft geworden sind. Ich gehe sogar soweit zu behaupten: Wenn man uns als politische Kraft der Bevölkerung vorenthält, gibt es absolut keine Chance für die Zivilisation; und umgekehrt kann alles, was uns als Kraft stärkt, darüber entscheiden, ob wir die Welt zu diesem fortgeschrittenen Zeitpunkt noch vor dem Abgrund bewahren können.

LaRouches Kollapsfunktion

Wir stehen mitten in einer globalsystemischen Krise des Finanzsystems, von der Lyndon LaRouche seit vielen Jahre spricht. Lange Zeit war er der einzige -- mit wenigen Ausnahmen wie etwa dem französischen Nobelpreisträger Maurice Allais --, der das tat. Inzwischen sprechen die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), Greenspan, der stellv. japanische Finanzminister Sakakibara und viele andere von der unmittelbaren Gefahr eines Systemkollapses.

LaRouche hat die Prognose, daß das heutige Finanzsystem unrettbar verloren ist, zum ersten Mal in seiner bekannten Neunten Vorhersage Anfang 1994 vorgestellt. Der Prozeß, den Sie auf LaRouches Typischer Kollapsfunktion sehen (Abb. 1), bedeutet, daß dieses System nicht zu retten ist.

Die reale Produktion, die in der unteren Kurve verdeutlicht wird, sinkt hyperbolisch. Und während die Produktion in Industrie und Landwirtschaft weltweit schrumpft, steigt der Geldumlauf -- die mittlere Kurve -- hyperbolisch an. Sie sehen, die beiden Kurven haben längst keine Verbindung mehr. Die monetären Prozesse und die Prozesse der realen Produktion haben sich voneinander abgekoppelt. Die oberste Kurve beschreibt die Kasinowirtschaft, die Spekulation mit Derivaten usw., die ebenfalls hyperbolisch ansteigt. Heute entfallen vom internationalen Geldaustausch nur 0,5% auf reale Güter und 99,5% auf die Spekulation. Dieser Prozeß ist nun in seine Endphase eingetreten. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann es zum Kollaps des Systems kommt.

Beginn der Weltfinanzkrise in Asien 1997

LaRouche hat im Sommer 1997 prognostiziert, daß die Endphase im Oktober 1997 beginnen werde -- was auch eintrat. Seither standen wir mindestens ein halbes Dutzend Mal vor der potentiellen finanziellen "Kernschmelze", das erste Mal am 23. Dezember 1997. Südkorea war bankrott und stand davor, ein Moratorium auf alle Auslandsschulden zu erklären. An den Finanzmärkten brach totale Hysterie aus. Der amerikanische Finanzminister Robert Rubin setzte sich ans Telefon und stellte ganz unkonventionell 10 Mrd. Dollar zur Verfügung, um zu verhindern, daß die Banken zumachten. Dann gab man innerhalb von ganz kurzer Zeit ein Hilfspaket von 57 Mrd. Dollar an Südkorea, um eine Kettenreaktion zu verhindern.

Drei Wochen später war Indonesien an der Reihe. Dort kollabierte als Folge spekulativer Attacken der Hedgefonds von George Soros und anderen Megaspekulanten die Währung von Juli 97 bis Januar 98 um 80%. Der IWF schnürte ein 40 Mrd.-Dollar-Hilfspaket -- mit dem Erfolg, daß Indonesien heute völlig am Boden liegt.

Zum selben Zeitpunkt im Januar 1998 geriet auch Japan in die Krise -- bis heute die wohl gefährlichste Achillesferse des internationalen Bankensystems. Japans Banken sitzen auf ungefähr zwei Billionen oder 2000 Mrd. Dollar fauler Bankkredite. Die Regierung hat 500 Mrd. Dollar an Hilfspaketen zur Verfügung gestellt, dennoch befindet sich Japan heute in einer tiefen Depression. Dies wird auch so bleiben, solange die japanische Führung nicht von der Wahnsinnspolitik abläßt, die Banken retten zu wollen.

Im Januar 1998 sagten alle Wirtschaftsexperten, die Asienkrise sei vorüber. LaRouche sagte: Nein, das war nur der regionale Ausdruck einer globalen Krise, und die zweite Phase wird noch schlimmer werden. Gleichzeitig begann in USA die Lewinsky-Affäre. Alles, was mit Monica Lewinsky und "Porno"-Starr zu tun hatte, war ein Versuch, Präsident Clinton von der Lösung der Finanzkrise abzulenken. Es war eine Geheimdienstoperation, der Versuch eines Verfassungs-Coups. Der Präsident, der aufgrund der amerikanischen Verfassung und Geschichte außergewöhnliche Machtbefugnisse hat, sollte daran gehindert werden, in der Tradition von F.D. Roosevelt notwendige Reformen durchzuführen.

Die zweite Phase

Die zweite Phase der globalen Krise begann sich im Sommer 1998 zu entfalten, wie LaRouche es vorhergesagt hatte. Die Südostasienkrise blieb. Am 1. August 1998 verkündete die chinesische Regierung, sie betrachte von jetzt ab die Wirtschaftsentwicklung als Frage der nationalen Sicherheit, weil die Existenz und Souveränität des Landes auf dem Spiele stünde.

Zur selben Zeit eskalierte die Attacke gegen Clinton. Sie werden sich erinnern, daß Clinton am 17. August vor dem Sonderermittler aussagte. An ebendiesem 17. August erklärte die Regierung Kirijenko in Moskau ein 90tägiges Moratorium auf die Auslandsschulden, d.h. Rußland erklärte de facto den Staatsbankrott. Die Schuldenpyramide der kurzfristigen Staatsanleihen (GKOs) stürzte ein, 100 Mrd. Dollar in Derivatgeschäften russischer Banken mit westlichen Banken hingen in der Luft. Darüber wird bis heute nicht gesprochen. Aber die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) hat in einem Bericht zugegeben, daß mit dem russischen Moratorium das gesamte Weltwährungssystem vor dem Zerbersten stand.

Am 28. August führte die chinesische Regierung, genauer die Hongkonger Behörden, einen Gegenschlag gegen die Spekulanten, die darauf gesetzt hatten, daß der Hongkong-Dollar und der Aktienmarkt kollabieren würden. Hongkong setzte seine Währungsreserven ein, um die Währung zu stützen, und verpaßte so den Spekulanten, die einige Milliarden verloren, eine "blutige Nase". Am 1. September richtete dann der malaysische Ministerpräsident Mahathir Kapitalverkehrskontrollen ein.

Kampf um die US-Präsidentschaft

Zur gleichen Zeit, Anfang September 1998, gründeten wir auf einer großen Konferenz in den USA eine neue Bewegung "Zur Verteidigung der amerikanischen Präsidentschaft" (Save the American Presidency). Mehrere State Legislators (Landtagsabgeordnete), einige Mitarbeiter und ich beschlossen dort, daß wir den Präsidenten verteidigen und den Coup in den USA nicht zulassen würden.

Ich kann Ihnen versichern: Wenn wir diese Initiative nicht unternommen hätten, wäre Clinton heute nicht mehr im Amt. Die Demokratische Partei war zu dem Zeitpunkt paralysiert. Anfang September forderten sogar Demokraten wie die Senatoren Lieberman und Daschle Clintons Rücktritt. Es gab also Verräter in den eigenen Reihen. Es war ein Trommelfeuer in den Medien, Lewinsky war das einzige Thema. Clinton stand unter enormem psychischen Streß.

Wir haben Hunderte von Veranstaltungen zur Verteidigung Clintons abgehalten, wo wir aufzeigten, wer hinter diesen Angriffen steht: Großbritannien und davon ausgehend der israelische Geheimdienst und die Republikanische Partei in der Tradition der Konföderation. Wir konnten die Sache herumdrehen, so daß die Demokratische Partei bei den Wahlen Anfang November sogar Stimmen hinzugewann. Damit war etwas Luft für Clinton gewonnen.

Präsident Clinton kennt unsere Ideen. Er hat immer wieder versucht, die Thematik des Weltfinanzsystems auf den Tisch zu bringen. Am 14. September sagte er in einer Rede vor dem Council on Foreign Relations -- die anglophile Bastion der Briten in New York, vielleicht nicht das beste Forum für solche Ideen --: Das Weltfinanzsystem ist bankrott. Die 1,5 Billionen Dollar, die täglich ohne Kontrolle von Regierungen und Zentralbanken um den Globus jagen, sind nicht in den Griff zu bekommen. Wir brauchen eine neue Architektur des Finanzsystems. Clinton war bereit, in die Richtung zu gehen, die wir vorschlagen.

Am 23. September ging der größte Hedgefonds der Welt, Long-Term Credit Management (LTCM), bankrott. Dieser Fonds verfügte über 2,2 Mrd. Dollar Grundkapital, konnte aber durch den Multiplikatoreffekt ("Leverage") mindestens 1200 Mrd. Dollar zur Spekulation einsetzen -- und er hatte sich verspekuliert. Das Herz des Finanzsystems war getroffen, das System stand vor der Kernschmelze. Die 16 größten Banken der Welt taten sich voller Panik zusammen, um den Fonds zu retten. Ohne diese Aktion hätten die betroffenen Banken schließen müssen, und das Geld wäre innerhalb von zwei bis drei Tagen versiegt.

Warum hat Präsident Clinton diese Gelegenheit nicht genutzt, um seine Erklärung vom 14. September, also nur einer Woche vorher, in die Realität umzusetzen? Weil Tony Blair und Gerhard Schröder, der gerade gewählt war, sich für einen "dritten Weg" entschlossen haben: für mehr Globalisierung, mehr IWF-Kontrolle, gleichzeitig mehr Geld drucken, die Spekulanten mit billigen Krediten ausstatten. Federal-Rerserve-Chef Greenspan hat dreimal die US-Zinsen gesenkt, um Geld in das bankrotte Finanzsystem zu pumpen.

Der Kollaps ging weiter: In Brasilien ist die Währung seit Jahresbeginn um 40% gefallen, wie ich es bei meinem Brasilien-Besuch letzten August prognostizierte. Damit stiegen die realen Auslandsschulden Brasiliens von 480 auf 750 Mrd. Dollar, und gleichzeitig wird die reale Wirtschaft von der Depression erfaßt.

Die spekulative Blase zieht Einkommen aus der realen Wirtschaft, der Landwirtschaft, der Industrie. Die Spekulation saugt der realen Wirtschaft das Blut aus. Man betrachte z.B. das Eigenkapital der Deutschen Bank im Verhältnis zur Spekulation. Deshalb haben wir das wahnsinnige Phänomen, daß die Aktien steigen, wenn Arbeitsplätze wegfallen und Industrie und Landwirtschaft kaputtgehen. Die Finanzkrise hat eine Depression in der realen Wirtschaft ausgelöst. So kollabierten z.B. die Exporte nach Südostasien um 40-60%.

Inzwischen sind aufgrund der schrumpfenden Produktion auch die Rohstoffpreise kollabiert. Der Ölpreis sank von 19 Dollar pro Barrel vor einem Jahr auf jetzt 8-9 Dollar. Man kann sich vorstellen, daß die ölproduzierenden Länder jegliche Basis für ihren Staatshaushalt verloren haben. Auch in Europa kommen jetzt die Einbrüche. Die führenden Automobilkonzerne wie BMW, Mercedes, VW, alle sagen, 1999 wird das annus horribilis.

Das wird so weitergehen, solange die Regierungen an ihrer neoliberalen und monetaristischen Politik festhalten. Wir sind ganz nahe an dem Punkt, an dem das System auf die eine oder andere Weise zugrunde geht: Entweder kommt eine Kernschmelze, eine Kettenreaktion, wonach in zwei bis drei Tagen alles Geld der Welt nichts mehr bedeutet. Oder die Regierungen müssen, um das verhindern, Geld ins System pumpen; dann haben wir auf globaler Ebene dasselbe wie in Weimar-Deutschland 1922-23, als Geld nichts mehr bedeutete, als ein Pfund Butter eine Milliarde Mark kostete.

Neues Bretton Woods

Dieser ganze Prozeß hat nicht erst mit der Asienkrise begonnen, sondern -- um genau zu sein -- am 15. August 1971, als Nixon den Dollar vom Gold abkoppelte. Lyndon LaRouche wies damals darauf hin, daß dies der Beginn einer Tendenz hin zur Spekulation sei, weil von da ab die Kreditschöpfung nicht mehr in den Händen souveräner Regierungen lag. Wir waren die Kraft, die diesen Prozeß Schritt für Schritt prognostiziert hat.

1974 kam die Ölpreiskrise; Willy Brandt rief den autofreien Sonntag aus. Aber es gab gar keine Ölkrise, die Tanker waren bis obenhin gefüllt! Es war ein Schwindel der Ölmultis, die den Preis hochtrieben, um politische Vorstellungen durchzusetzen. Die Auswirkungen für die Dritte Welt war katastrophal.

1979 kam als weiterer Schritt die Hochzinspolitik des US-Notenbankchefs Paul Volcker. In den 80er Jahren regierte "Reagonomics", die Wirtschaftspolitik Margaret Thatchers. Dazu kamen die "Junkbonds" (Ramschanleihen) und die feindlichen Übernahmen der Multis. Dies führte zu dem von LaRouche vorhergesagten Crash von 1987. Und danach kam die Derivatspekulation, der Tanz um das Goldene Kalb.

Jetzt sind wir an dem Punkt angelangt, an dem wir das System ersetzen müssen. Wir müssen feststellen, daß die neoliberale Politik gescheitert ist, so wie 1989 das kommunistische System gescheitert war. Dieses System ist nicht zu retten. Wenn Politiker versuchen, es beizubehalten, führt das in den Untergang der Zivilisation. Deshalb -- und das ist der eigentliche Zweck unseres Europawahlkampfs -- müssen wir unsere Ideen in Europa auf die Tagesordnung setzen: Wir brauchen ein neues Bretton-Woods-System, das an den bewährten Aspekten des alten Bretton-Woods-Systems von 1944 anknüpft.

Die Leute haben vergessen, daß z.B. die D-Mark bis 1958 nur begrenzt konvertibel war. Unter dem alten Bretton-Woods-System mit festen Wechselkursen konnte man auch auf internationaler Ebene langfristig investieren. Seitdem wir frei schwankende Wechselkurse haben und Währungen in einer Woche um 30%, in einem halben Jahr um 80% kollabieren können, ist keine langfristige Investition mehr denkbar. Das Risiko für den Unternehmer ist einfach zu hoch. Da hilft nur eines: Das Krebsgeschwür der spekulativen Blase muß "herausoperiert" werden. Zigtausend Milliarden Dollar Spekulationsgelder müssen aus den Büchern gestrichen werden. Es ist Spielgeld wie beim Monopoly, das mit Realwerten nichts zu tun hat

Dann müssen wir die meisten Schulden streichen. Deutschland ist auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene so verschuldet, daß die einfachsten sozialen Ausgaben nicht mehr finanzierbar sind. Jede vierte Steuermark geht für Zinszahlungen auf die Schulden drauf. Das muß ein Ende haben. Amerika ist der größte Schuldner der Welt und kann seine Schulden nicht bezahlen -- von der Dritten Welt ganz zu schweigen. Deshalb ist die Forderung des Papstes, anläßlich der 2000-Jahresfeier der Kirche die Schulden der Dritten Welt zu streichen, nicht nur moralisch, sondern auch ökonomisch absolut notwendig. Jeder Versuch, diesen Schuldenberg vor sich herzuschieben, macht eine wirtschaftliche Erholung unmöglich. Wir müssen dringend zu festen Wechselkursen, begrenzter Konvertibilität und einem System von Nationalbanken zurückkehren. In Deutschland gab es nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau eine Institution, die Projekte für das Gemeinwohl finanzierte. Sie ist bis heute eines der besten Modelle dafür, wie man aus einem Trümmerfeld ein Wirtschaftswunder macht. Viele erinnern sich noch an das Bild der Ruinen und Trümmerhaufen und daran, wie Deutschland nach 10-15 Jahren zum Wirtschaftswunderland wurde. Es gibt keinen Grund, warum man dieses Konzept heute nicht wieder in Deutschland, Europa, Osteuropa, Afrika und jedem anderen Teil der Welt anwenden sollte.

Die BAC-Fraktion

Aber wir haben es nicht nur mit einer Weltfinanzkrise zu tun, sondern, damit eng verknüpft, auch mit einer hochgefährlichen strategischen Krise. Man muß sehen, wer die Hauptdrahtzieher dieser Krise sind. Das Hauptproblem liegt in dem, was wir die "britisch-amerikanische Commonwealth-Partei" (kurz BAC) nennen: das ist die Finanzoligarchie, die die Londoner City und die Wall Street kontrolliert, aber mit ihren Kartellen z.B. auch etwa 80% aller Nahrungsmittelproduktion und -verteilung. Dasselbe gilt für den Rohstoffbereich.

Diese Kräfte sind britischen, holländischen, kanadischen oder amerikanischen Ursprungs -- nicht in der Tradition der Amerikanischen Revolution von Washington, Alexander Hamilton, John Quincy Adams oder Franklin Roosevelt, sondern in der Tradition des britischen Empire. Diese Finanzkräfte sind dabei, ein Weltimperium zu errichten, und werden dabei von einer hysterischen Energie angetrieben, weil sie genau wissen, daß ihr System am Abgrund steht.

Diese oligarchischen Kräfte sind nicht identisch mit Präsident Clinton. Es ist äußerst wichtig, das auseinanderzuhalten. Weil die Welt in so einem schlechten Zustand ist und die amerikanische Regierung oft schlechte Dinge tut, neigt die Bevölkerung dazu zu sagen: Das ist Amerika, das tut die Clinton-Regierung. Aber es wäre fatal, das so verkürzt zu sehen. Wir wissen aus allernächster Nähe, daß Präsident Clinton vom ersten Tag an von dieser Oligarchie bekämpft wurde, daß versucht wurde, ihn mit allen Mitteln von diesem Amt zu entfernen. Man hat Clintons Leute, die mit ihm aus Arkansas und anderswo kamen, teilweise unter Einschaltung des Justizministeriums aus Washington vertrieben. Sie wurden mit fingierten Anschuldigungen überzogen, z.B. der ehemalige Stabschef im Weißen Haus McLarty, der ehemalige stellv. Justizminister Hubbell u.v.m. Man kann beinahe sagen, daß Clinton im Weißen Haus der einzige ist, der Clinton-Politik macht. Es ähnelt einer klassischen Tragödie von Shakespeare oder Schiller.

Lyndon LaRouche hat 1992 aus dem Gefängnis heraus seine Präsidentschaftskampagne geführt und das Rekonstruktionsprogramm für Amerika auf den Tisch gelegt. Dieses Programm wurde 1995 und 1996 von einem Teil der Demokratischen Partei aufgegriffen, so u.a. von Ted Kennedy, der damals sagte: "Amerika braucht keine zwei Republikanischen Parteien". Doch im Frühjahr 1996 kam eine fundamentale Veränderung. Vizepräsident Gore, der immer der Mann der Oligarchie in der US-Administration war, erklärte: Ich verlange, daß Du, Clinton, meine Präsidentschaft im Jahr 2000 unterstützt, und wir müssen bis dahin den "mittleren Kurs" wählen, also statt demokratischer Positionen einen Mittelweg zwischen Republikanern und Demokraten vertreten.

Clinton kapitulierte und hat das Wohlfahrtsspargesetz nicht mit seinem Veto gestoppt. Dadurch verlor er einen großen Teil seiner Wähler, insbesondere in der schwarzen und hispanischen Bevölkerung und bei den Gewerkschaften, und die Demokraten verloren 1996 die Wahlen. 1997, als Außenministerin Albright, Verteidigungsminister Cohen und Generalstabschef Shelton in die Regierung kamen, war der Coup dann in vollem Gang.

Schleichend wurde eine neue NATO-Doktrin eingeführt. Außenminister Fischer -- der sich im übrigen bemüht, eine gute Imitation von Herrn Kinkel zu werden -- hat seit seiner Amtsübernahme immerhin einen klugen Satz gesagt, nämlich daß man die nukleare Erstschlagsdoktrin der NATO in Frage stellen müsse. Es geht nicht nur um die Expansion der NATO nach Osten. Heimlich, ohne öffentliche Debatte, verwandelte man die NATO in eine globale Interventionskraft mit Kapazitäten für den Luftkrieg, Sondereinsatzverbänden und "Informationskrieg" -- nicht mehr innerhalb des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses, sondern gegen sog. "Verbrecherstaaten" (rogue states). Wer so ein verbrecherischer Staat ist, das bestimmen die USA, die Briten und die Israelis. Genannt werden Irak und Nordkorea; aber in Wirklichkeit geht es um Rußland und China. Die wiederum haben das sehr wohl begriffen.

Die strategische Dimension der Irakkrise

Um noch einmal auf die Finanzkrise von 1998 zurückzukommen: Im September kam die Kernschmelze mit LTCM, dann das Liquiditätspumpen im Oktober. Im November war der Schlag gegen den Irak in voller Vorbereitung. Im letzten Augenblick, eine Stunde bevor die Bomben fallen sollten, hat Clinton persönlich die Sache abgeblasen. Dann fuhr er -- wir haben ihm dringend davon abgeraten -- in den Nahen Osten, um Gaza und Israel zu besuchen. Es war klar, daß dieser Besuch nichts bringen würde, weil man Israel hätte unter Druck setzen müssen und Clinton nicht dazu bereit war.

In seiner Abwesenheit organisierten Gore, Albright, Cohen und Shelton in Zusammenarbeit mit dem UNSCOM-Vertreter Butler, der einen lügnerischen Bericht über angebliche Verstöße des Irak vorlegte, einen Coup. Während Clinton sich unter Lebensgefahr in Israel und im Gaza aufhielt, plante man den Schlag gegen den Irak. Als Clinton den Rückflug mit der Airforce One antrat, hat man ihm gesagt: Jeder in Washington hat dem Angriff gegen Irak zugestimmt, und du wirst nicht der einzige sein, der sich widersetzt! So kam es zu dem Schlag gegen den Irak.

Im gleichen Augenblick aber saßen China und Rußland mit den anderen permanenten Mitgliedern im UN-Sicherheitsrat zusammen und sprachen über den Irak. Die USA und Großbritannien haben sich über all diese Beratungen hinweggesetzt. Das hat eine tektonische Veränderung, eine völlig neue strategische Lage hervorgebracht. Seitdem gibt es kein Völkerrecht mehr, kein Vertrauen, keine Diplomatie. Was sollen Unterredungen und Verhandlungen, wenn sich eine Weltmacht einfach darüber hinwegsetzt? Diese Erschütterung sorgte in Rußland und China für die Erkenntnis, daß da eine neue, hochgefährliche Macht am Entstehen ist, daß der Versuch unternommen wird, die USA und Großbritannien als neue hegemoniale Weltmacht zu etablieren, mit der NATO als globaler Eingreiftruppe.

Zuvor war Rußland durchaus noch bereit, im Kosovo in der Tradition des Dayton-Abkommens zu einem Abkommen mit dem Westen zu kommen. Aber nach der Bombardierung des Irak sieht Rußland keinen Grund mehr, im Kosovo Zugeständnisse zu machen. Wir haben es mit einer tief orthodoxen russischen Gegenreaktion zu tun; nicht zufällig sagte der Patriarch von Rußland, das "Amselfeld" sei das Herzstück der Orthodoxie.

Vor April sind noch weitere Angriffe auf Irak geplant, weil es die Witterungsbedingungen danach angeblich nicht mehr zulassen. Das wird klar, wenn man sich die derzeitigen Reiseaktivitäten der Außenministerin und des Verteidigungsministers anschaut. Ziel ist die Teilung des Irak durch Abspaltungen im Norden und im Süden sowie der Sturz Saddam Husseins mit Sondereinsatztruppen der NATO.

Das ist auch der Hintergrund der Festnahme von PKK-Chef Öcalan. Wenn Sie sich wundern, warum in Deutschland plötzlich Bürgerkrieg zwischen Kurden und Türken herrscht: Der Hintergrund ist, daß die Türkei unter Ministerpräsident Ecevit keinesfalls ihre Flugbasen zur Verfügung stellen und das türkische Militär keinen neuen Angriff auf den Irak mitmachen wollte. Da verfiel man auf diese manipulierte Operation, indem man Öcalan das Asyl in Italien, Deutschland und Griechenland verweigerte und ihn nach Kenia lockte, wo er mit Hilfe der CIA, des britischen und israelischen Geheimdienstes geschnappt wurde, um damit die Türkei für das Irak-Manöver zu ködern. Gleichzeitig wurde der Schiitenführer El Sadre im Irak ermordet, mit dem Ziel, auch den Iran gegen den Irak zu gewinnen. Es hat aber nicht funktioniert, denn der Iran hat kühl reagiert.

Hinter all dem steht das Ziel der Zerschlagung des Irak und des Sturzes von Saddam Hussein. Aber der Einsatz der Sondereinsatztruppen in einem solchen Gebirgskrieg kann genausowenig funktionieren wie die Einsätze der "Speznas" der damaligen Sowjets in Afghanistan. Sie erinnern sich: Der Afghanistan-Krieg leitete den Erosionsprozeß der Sowjetmacht ein. Es war das Vietnam der Sowjetunion. Und man kann jetzt schon sagen, wenn man sich das Territorium des "wilden Kurdistan" ansieht (Karl-May-Lesern als sehr unwirtliches Gelände bekannt): Dort sind jegliche Truppenverbände eine ideale Zielscheibe für kurdische Heckenschützen.

China und Rußland warnen

Das ganze ist ein Untergangsszenario. Die strategische Krise, die sich aus dem Schlag gegen den Irak vom Dezember entwickelte, ist enorm. Ich will Ihnen einige Reaktionen wiedergeben. Der russische Verteidigungsminister Sergejew hat schärfste Warnungen gegen einen NATO-Einsatz im Kosovo ausgesprochen, weil es zu einem neuen Vietnam im Herzen Europas führen würde.

Die chinesische Militärzeitung, in der solche Artikel bis vor kurzem noch undenkbar waren, warnte vor einem NATO-Einsatz im Kosovo, weil das der Steigbügel für eine globale Hegemonie der USA sei: Der erste Schritt sei die Osterweitung der NATO gewesen, der zweite die Eindämmung des russischen Einflusses in den Nachbarstaaten wie der Ukraine und Zentralasien. Der dritte Schritt sei, Rußlands Einfluß als Weltmacht vollkommen zu zerstören. Die Welt schrieb dazu, es sei überraschend, zu welchem Grad China sich mit den Sicherheitsinteressen Rußlands identifiziere.

Das sollte aber nicht überraschen, denn China betrachtet diese Entwicklung kritisch und sieht, daß das gleiche, was mit dem Irak geschah, jetzt auch mit Nordkorea passiert. Plötzlich ist Nordkorea ein "Verbrecherstaat", und es wird behauptet, Nordkorea sabotiere die Inspektion unterirdischer militärischer Anlagen. Der chinesische Ministerpräsident Zhu Rongji hat seine Besorgnis über amerikanische Erklärungen ausgedrückt, Nordkorea sei genauso gefährlich wie der Irak, denn das könne dazu führen, daß die USA auch Nordkorea bombardierten. Gerade ist ein Artikel erschienen, der mich etwas erschüttert hat. Es ist eine Analyse, die bisher nur wir veröffentlicht haben, und die am 26. Februar in der chinesischen Volkszeitung erschien. Dort werden die NATO-Strategie und die aggressiven Hedgefonds als Teil derselben Strategie beschrieben. Die Überschrift lautet: "Globaler Kapitalfluß und Projektion militärischer Macht".

Dieser Artikel birgt ungeheure Implikationen, denn sofort nach Beendigung des Impeachmentverfahrens begann in den USA eine Wahnsinnskampagne gegen China. Ein Buch erschien, das inzwischen zur Pflichtlektüre aller "Experten" in den USA gehört, mit dem Titel: Year of the Rat (Das Jahr der Ratte). Nach dem chinesischen Kalender war 1996 das "Jahr der Ratte", und es wird der Vorwurf erhoben, China habe damals Clinton durch Parteispenden zum Wahlsieg verholfen. Das Buch stellt China als Übel dar, als Feind, der Raketen auf amerikanische Städte richte. Alles ist falsch. Es ist ein Buch, das man nur mit Widerwillen liest, denn alle Axiome sind gelogen, und alle Argumente bauen auf diesen Lügen auf.

Dieses Buch wird gegenwärtig in Talkshows, Nachrichtenbriefen der fundamentalistischen Sekten usw. in Amerika massiv verbreitet. Infolge dieser Hysterie hat der US-Senat einstimmig beschlossen, Clinton solle China wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilen. Der amerikanische Senat hat noch nie etwas einstimmig beschlossen, aber dazu hat man sich nun herabgelassen. Wir stehen also wieder am Beginn eines Kalten Krieges.

Dieser neue Kalte Krieg findet unter Bedingungen der Endphase des Kollapses des Finanzsystems statt, deshalb ist er wesentlich gefährlicher als der frühere gegen die Sowjetunion, als das Wirtschaftssystem noch stabil war. Die Nutznießer dieses Systems wollen durch Aggression und Kriege von ihrer Schwäche ablenken. Ich kann es nicht dramatisch genug beschreiben.

Und wenn Sie die Wirklichkeit mit den Reden im Bundestag und den Aussagen der Rot-Grünen-Koalition vergleichen, dann kann ich nur noch einmal unsere eigene Bedeutung betonen: Diese Analyse wird von keiner anderen politischen Partei in die Diskussion gebracht. Wir steuern auf eine Katastrophe zu, ohne daß die Leute das wissen.

Das Produktive Dreieck

Zum Glück gibt es aber noch eine völlig andere Dynamik in der Welt. Und das bringt mich nun zu dem Punkt, warum ich sage: Auf der einen Seite sind wir ganz nah an der Katastrophe, aber wenn wir wollen und das Richtige tun, gibt es auch eine völlig andere Möglichkeit. LaRouche hat diese andere Dynamik als den "Club der Überlebenswilligen" bezeichnet. Es gibt Länder, die sich nicht durch die Globalisierung in den Abgrund reißen lassen wollen. Dazu gehören vor allem China, Rußland, Indien, und immer mehr Länder wie Pakistan und Malaysia, die entschlossen sind und den anderen Weg suchen. Diese Veränderung ist die direkte Folge desse, was LaRouche, die BüSo, wir als internationale Bewegung in den letzten zehn Jahren vorgeschlagen haben.

Es geht hauptsächlich zurück auf das Konzept des "produktiven Dreiecks" Paris-Berlin-Wien, das wir im November 1989 vorgestellt haben. Honecker hatte nicht recht behalten, daß der Sozialismus noch tausend Jahre fortdauern würde. "Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf", soll er noch am 6. Oktober gesagt haben. Aber schon am 9. November stellte sich heraus, daß er der Ochs oder der Esel war und der Kommunismus kollabierte.

Nachdem die Ost-West-Trennung aufgehoben war, machten die Wirtschaftsregionen um Paris und Metz, Sachsen, Böhmen und das Ruhrgebiet, die vorher durch die Mauer getrennt waren, nun wieder wie vor dem Krieg ein zusammenhängendes Gebiet aus. Wir sagten, durch entsprechende Investitionen in Avantgarde-Technologien könne man diese Region, die etwa die Größe Japans hat und bis heute die größte Ansammlung moderner Industrie darstellt, durch infrastruktur-"Spiralarme" zum Motor für die Entwicklung des Ostens machen. Ein "Spiralarm" führt von Berlin nach Warschau und St. Petersburg, ein anderer nach Kiew und Moskau, ein dritter in den Balkan bis zur Türkei. Ein anderer erstreckt sich über Sizilien, ein weiterer über die Iberische Halbinsel nach Afrika. So ermöglichte dieses "Produktive Dreieck" Infrastrukturadern zur Erschließung des Ostens und Südens.

Dazu forderten wir einen Marshall-Plan für Infrastrukturaufbau. Die Ökonomien des Ostblocks kollabierten nicht zuletzt deshalb, weil die Infrastruktur völlig vernachlässigt wurde, was sich u.a. darin äußerte, daß 40% der russischen Ernte verdarben, weil Infrastruktur und weiterverarbeitende Technologien fehlten. Wo Infrastruktur fehlt, siedelt sich keine moderne Industrie an. Deshalb haben wir vorgeschlagen, die veralteten Industrien des Ostblocks noch zu nutzen, um Infrastruktur zu bauen und damit die Erschließung Osteuropas zu ermöglichen. In der zweiten Phase sollte die Modernisierung des Ostens durch entwickelte Technologie aus dem Produktiven Dreieck erfolgen. Das war ein völlig anderes Konzept als der wirtschaftliche Kahlschlag, der leider tatsächlich betrieben wurde: Privatisierung, Reformpolitik, polnisches Modell, IWF-Reform -- mit dem Erfolg, daß heute der Osten total darniederliegt. Außer uns hat auch der damalige Chef der Deutschen Bank Alfred Herrhausen ähnlich gedacht. In einer Rede, die er eine Woche nach seiner Ermordung hätte halten sollen, nämlich im Dezember 1989, wollte er anregen, den Osten nach dem Modell der Kreditanstalt für Wiederaufbau unabhängig vom IWF zu entwickeln.

Die Eurasische Landbrücke

Als die Sowjetunion sich auflöste, haben wir dieses Konzept auf den gesamten eurasischen Kontinent ausgedehnt und drei Hauptstrecken vorgeschlagen: die Transsibirische Eisenbahn und die beiden Routen der alten Seidenstraße, die vom chinesischen Hafen Lianyungang bis Rotterdam gehen und sich in Kasachstan in zwei Adern spalten -- eine durch den Iran und die Türkei sowie eine andere durch Zentralasien und die Ukraine.

Diese Infrastrukturlinien sollten nicht einfach Eisenbahn- und Verkehrslinien sein, sondern Entwicklungskorridore bilden, die Industrie in die Rohstoffgebiete bringen. Das bedeutet Städtebau, Energieproduktion durch sichere Hochtemperatur-Reaktoren, Modernisierung der Landwirtschaft, es bedeutet, Wüsten in blühende Landschaften zu verwandeln und die landeingeschlossenen Gebiete Eurasiens wirtschaftlich zu erschließen.

Im Mai 1996 war eine Delegation des Schiller-Instituts zu einer großen Konferenz nach Beijing als Redner eingeladen. Dort präsentierte die chinesische Regierung ebendieses Konzept vor 34 teilnehmenden Nationen. Die Ideen, die wir dort vorstellten, und die der chinesischen Redner wiesen viele Parallelen auf. Es wurde dort davon gesprochen, daß dieses Konzept der Eurasischen Landbrücke eine neue Ära der Menschheit eröffne. Zum ersten Mal würden nicht länger geographische Vorteile über die ökonomischen Gegebenheiten entscheiden, sondern man könnte die landeingeschlossenen Gebiete der Welt erschließen und somit alle Länder der Welt gleichermaßen entwickeln.

Chinas Pläne

China hat zahlreiche Projekte entwickelt. Bekannt ist das Drei-Schluchten-Projekt, das die Wasserfluten des Jangtse regeln soll. Es gibt großartige Projekte entlang der Eurasischen Landbrücke, z.B. die Verbindung der Flußläufe des Jangtse und des Gelben Flusses und damit Bewässerungsmöglichkeiten für den trockenen Norden Chinas. China arbeitete 1996 schon an Tausenden von Projekten.

Aber die jüngere Entwicklung -- der "Club der überlebenswilligen Staaten" -- hat im Herbst 1997 begonnen. LaRouche sah im Sommer 1997 voraus, daß die Endphase der Zusammenbruchskrise des Weltfinanzsystems im Oktober einsetzen werde. Ich war im September nochmals in Beijing und habe dort an vielen Akademien und Instituten diese Prognose präsentiert. Wir haben diese Analyse gleichzeitig auch in Washington, Bonn und anderswo dargelegt. Man kann sagen, daß China das wichtigste Land war, das diese Analyse ernst genommen hat.

Als dann im Oktober (während Jiang Zemin in Amerika war) der große Krach begann, hat China als einziges Land der Welt die Konsequenzen daraus gezogen. Die chinesische Führung war sich nicht zu schade, im November die Wochenenden damit zu verbringen, Ökonomie zu studieren, um die Ursache der globalen Krise zu verstehen. Dabei wurden viele unserer Vorschläge studiert und auch übernommen, vor allem der wichtige Vorschlag LaRouches, unter keinen Umständen die chinesische Währung, den Yuan, abzuwerten.

China hat letztlich alle unsere Vorschläge übernommen: weg vom Trend zur Dienstleistung und dem reinen Konsumgüterexport nach Südostasien, hin zur Entwicklung des Binnenmarktes in der Tradition von Friedrich List, Orientierung auf den Hochtechnologiebereich und die Förderung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts als Haupttriebkraft in der Wirtschaft.

Im Oktober 1998 waren wir abermals eingeladen, auf einer Konferenz zur Eurasischen Landbrücke zu sprechen. Diesmal fand die Konferenz in vier verschiedenen chinesischen Städten statt, eine Art "rollende Konferenz": am ersten Tag in Beijing, am zweiten in Nanjing, am dritten in Lianyungang und am vierten Tag in der Hafenstadt Qinhuangdao.

Chinesisch-russische Partnerschaft

Im Oktober 1998 war Primakow in Rußland an die Macht gekommen. Rußland stand vor einer Katastrophe: Mafia, Kälte, Hunger. In Gesprächen mit hochrangigen Gesprächspartnern aus China habe ich es zu einem wichtigen Punkt gemacht, daß China helfen muß, Rußland durch den Winter zu bringen. China müsse mit Lebensmitteln helfen, aber auch in der extrem schwierigen psychologischen Stimmung helfen, in der sich das russische Volk befand.

Rußland ist ein stolzes Land, und es wurde vom Westen behandelt wie der letzte Dreck. Innerhalb von zehn Jahren von einer Weltmacht zu einem Rohstofflieferanten abzusinken, der keine Rechte haben soll -- das hat eine gefährliche psychologische Wirkung. Ich habe betont, daß es wichtig ist, den Russen ihren Stolz wiederzugeben, weil sich diese Verbitterung sonst gegen den Westen wenden kann.

Diesen Gedanken griff Jiang Zemin bei seiner Rußland-Reise Ende November 1998 auf, als er mit Primakow die strategische Partnerschaft zwischen China und Rußland beschloß. Er hielt eine großartige Rede in Nowosibirsk, einer der wenigen Wissenschaftsstädte der Welt, die früher Forschung für den sowjetischen militärisch-industriellen Komplex betrieb und nach wie vor über eine große Zahl hochqualifizierter Wissenschaftler verfügt, die für die Modernisierung der russischen Wirtschaft sorgen könnten. Jiang Zemin hat den Stolz der russischen Wissenschaftler angesprochen und gesagt, China und Rußland werden gemeinsam zur technologischen Avantgarde im nächsten Jahrhundert gehören. Damit war ein Bündnis besiegelt, das eine Perspektive für das 21. Jahrhundert weist.

Jiang Zemin fuhr anschließend nach Japan und versuchte Japan zu gewinnen. Die japanische Regierung sagte zu, sich mit beträchtlichen Investitionen an der Eurasischen Landbrücke zu beteiligen. Primakow reiste im Dezember dann nach Indien und konsolidierte dort auch die strategische Partnerschaft zwischen Rußland und Indien. Er sprach ab sofort vom strategischen Dreieck China-Rußland-Indien. Wir haben dabei eine wichtige Rolle gespielt, die Annäherung zwischen China und Indien hätte ohne unsere katalysierende Wirkung so nicht stattgefunden. Wir haben dazu eine Konferenz organisiert, in deren Folge es zum Meinungsaustausch kam.

Ein wichtiger weiterer Schritt war es, als der indische Ministerpräsident Vajpayee nach Pakistan reiste und dort die neue Buslinie zwischen Indien und Pakistan eröffnete. Damit sind 50 Jahre Spannungen zwischen Indien und Pakistan vorbei. Beide Staaten bekräftigten, daß sie keine dritte Kraft brauchen, um ihre Probleme zu lösen. Dies hat die Briten so verunsichert, daß es zum Topthema in den BBC-Nachrichten wurde. Wenn ihre alten Kolonien im Commonwealth sich untereinander gut verstehen, dann ist das für das britische Empire der schlimmste Unfall.

Mittel- und Südamerika

Im Dezember war ich in Mexiko, wo der ehemalige Präsident Lopez Portillo, mit dem wir seit 20 Jahren freundschaftliche Beziehungen pflegen, gemeinsam mit mir auf einer Konferenz über dieses Programm sprach. Ich habe gesagt, ich komme nach Mexiko, um klar zu machen, daß es eine Alternative gibt. Mexiko muß sich nicht dem Diktat der USA und des Freihandelsabkommens NAFTA unterwerfen, das zu schrecklichen Konsequenzen geführt hat, wie den sog. Maquiladoras entlang der Grenze zu den USA, wo die Arbeitskräfte bei 1000 Kalorien pro Tag in regelrechten Arbeitslagern ausgebeutet werden.

Die Eurasische Landbrücke ist ja nicht nur für Eurasien konzipiert, sie ist auch durch die Bering-Straße mit Nord-, Zentral- und Südamerika verbunden. Auch Afrika ist angeschlossen. Wir sprechen also von einem globalen Wiederaufbauprogramm. Lopez Portillo hat das unterstützt und gesagt: Jetzt muß die Welt auf den weisen Rat von Lyndon LaRouche hören.

Im Weggehen wurde Portillo von Journalisten gefragt, was er von der Politik des gegenwärtigen Präsidenten Zedillo halte. Darauf antwortete er, Zedillo führe mit dieser Politik das Land in den Ruin, und er habe die Ziele der mexikanischen Revolution verraten. Am nächsten Morgen sagte Präsident Zedillo, Portillos Meinung si rückwärtsgewandt und "nostalgisch". Während ich noch eine Woche lang in mexikanischen Städten Vorträge hielt, brach in den mexikanischen Medien eine nationale Debatte aus. Es gab Schlagzeilen wie: "PRI debattiert: Haben wir die Ziele der mexikanischen Revolution verraten oder nicht?" Was ist die Zukunft Mexikos -- wird es in der Globalisierung untergehen oder werden wir Teil des globalen Wiederaufbauprogramms der Eurasischen Landbrücke?

Natürlich ist unser Ziel, daß eine solche Debatte in allen europäischen Nationen stattfindet. Im Augenblick findet hier überhaupt keine Debatte statt, weder über die NATO-Ausweitung noch über den Finanzkrach, noch über die brennenden Fragen des 21. Jahrhunderts. Jeder weiß, 16 Jahre Kohl waren schlecht, und hundert Tage Rot-Grün haben bewiesen, die sind noch schlechter.

Im Januar ist die Brasilien-Krise ausgebrochen. Ich war im August letzten Jahres in Brasilien und hatte in Rio und Sao Paulo Konferenzen und private Treffen. Heute ist eine solche nationale Debatte in Brasilien im vollen Gang, und zwar zwischen dem ehemaligen Präsidenten Itamar Franco, der heute Gouverneur der drittgrößten Region ist, und dem amtierenden Präsidenten Cardoso. Cardoso ist der Fußsoldat des IWF. Er versucht, das Austeritätspaket bis zum letzten Buchstaben zu erfüllen. Itamar Franco sagt: Nein, er verteidige die Bevölkerung in meiner Provinz und zahle die Schulden an die Bundesregierung nicht. Nun gibt es eine Konfrontation um die Frage, die mit der Eurasischen Landbrücke auf der Tagesordnung steht.

Im Januar war eine Mitarbeiterin von uns in Malaysia und hat dort Präsident Mahathir interviewt. Schon im September 1997 hatte er George Soros als Finanzverbrecher beschuldigt, und die Asien-Ausgabe des Wall Street Journal hatte festgestellt, dahinter stehe LaRouche. Mahathir hat in dem Exklusivinterview klar Stellung bezogen. Als er gefragt wurde, was er davon halte, LaRouche zum Berater Clintons zu machen, antwortete er, sein eigener Vizepräsident Anwar Ibrahim, der wegen Korruption und sexueller Vergehen angeklagt ist, hätte versucht, LaRouche zu verleumden, er lasse sich aber davon nicht beeinflussen.

Europas Anteil an der Landbrücke

Es werden immer mehr Staaten -- China, Rußland, Indien, Kasachstan, Pakistan, Iran, Malaysia, Vietnam, Myanmar --, die sagen: nationale Souveränität, Wirtschaftswachstum, wissenschaftlicher Fortschritt, das ist es, was uns aus dieser Krise befreien wird. Diese Staaten bekennen sich also zu Werten, die bis vor ein paar Jahrzehnten unsere eigenen Werte waren. Sie wollen nichts weiter als das, was wir früher selbst als unser ureigenstes Recht empfanden: nationale Souveränität, wissenschaftlicher und technischer Fortschritt, Förderung von Industrie und Landwirtschaft durch staatliche Rahmenbedingungen, um die eigene Lebensgrundlage zu schaffen.

Wir Europäer müssen uns entscheiden, ob wir weiter an dem bankrotten System der Globalisierung teilnehmen und damit in den sicheren Untergang gehen wollen, oder ob wir mit unseren Kapazitäten, unseren Talenten, unserem enormen historischen, wissenschaftlichen und kulturellen Potential eine positive Rolle bei der Eurasischen Landbrücke spielen wollen. Das bedeutet einen radikalen Bruch mit der Politik, die zu dieser Krise geführt hat, mit allem, was sich in den letzten 30 Jahren dahingehend entwickelt hat. Das bedeutet, Maastricht muß weg, der Euro muß weg, die Sex-Drogen-Rock-Gegenkultur muß weg. Die überspitzte Betonung der Dienstleistungsgesellschaft muß weg, New Age und Frankfurter Schule müssen weg.

Die europäischen Regierungen müssen großangelegte Arbeitsbeschaffungsprogramme in Gang setzen: Vollwertige, produktive Arbeitsplätze müssen her, nicht diese lächerlichen 620-Mark-Jobs. Dazu brauchen wir großzügige Staatskredite für Hochtechnologie-Investitionen, Ausweitung von Maschinenbau, Landwirtschaft. Statt der Politik der "Agenda 2000", die die Landwirte in den Bankrott treibt, brauchen wir Paritätspreise, d.h. Preise, die die realen Kosten der Nahrungsmittelerzeugung decken und den Landwirten ein vernünftige Gewinnmarge bieten. Denn es geht um die Ernährung von uns allen. Der Maschinenbausektor muß betont werden, weil es der Bereich ist, wo technologischer Fortschritt in die Produktion umgegossen wird und zu einem Anstieg der Produktivkräfte führt.

Das Gesamtkonzept der Erschließung Eurasiens ist im Interesse von uns allen. Damit können wir die Arbeitslosigkeit in ganz Europa vollkommen beseitigen. Deutschland spielt dabei eine besondere Rolle, weil es wenige Länder gibt, die über Werkzeugmaschinenbaukapazitäten verfügen. Die meisten Länder der Welt haben keine Maschinenbaukapazität. Das ist aber der Motor der Wirtschaft.

Solche öffentlichen Infrastrukturprojekte sorgen für die Ankurbelung der Produktion. Die beteiligten Unternehmen, die Baufirmen, Materialproduzenten usw. werden z.B. mit Niedrigzinskrediten von der Kreditanstalt für Wiederaufbau bezahlt. Diese Unternehmen fangen an zu produzieren. Sie beschäftigen alle zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte, erteilen Aufträge an weitere Firmen und bringen dadurch die Wirtschaft in Schwung. Gleichzeitig können die Ehefrauen mehr Wurst beim Fleischer und mehr Brötchen beim Bäcker kaufen. Und im Endeffekt wird das Steueraufkommen größer sein als die ausgegebenen Kredite. Die einzige echte Quelle von Wertschöpfung ist die Arbeitskraft und die Produktivität, die Kreativität des Individuums, deshalb finanziert sich dieses Programm selbst.

Nur so kann Deutschland aus der Krise herausfinden: indem wir uns auf dieses strategische Dreieck hin orientieren. Die Alternative ist, daß wir bei 6, 8 oder 10 Mio. Arbeitslosen bleiben und das Land untergeht. Die Landbrücke kann verwirklicht werden: entweder sofort oder aber erst in zwei Generationen, mit einem großen Krieg dazwischen. Ich bin natürlich dafür, daß wir den Krieg diesmal auslassen.

Es ist sehr wichtig, daß wir den amerikanischen Präsidenten einbeziehen und die USA dazu gewinnen, dieses Konzept zu unterstützen. Wir planen Tausende Veranstaltungen in ganz Amerika, um der Anti-China-Kampagne etwas entgegenzusetzen und den Präsidenten aus seiner Isolation zu befreien. Es existiert heute eine Kombination von Kräften -- das strategische Dreieck China-Rußland-Indien sowie das Potential der USA und anderer Nationen --, um eine gerechte neue Weltwirtschaftsordnung zu bauen. Das hat es in der Geschichte noch nie gegeben: eine weltweite Allianz souveräner Nationen.

Eine neue Renaissance

Damit rücken wir den Ideen von Nikolaus von Kues nahe, der schon im 15. Jahrhundert die Konzeption hatte, daß eine Konkordanz, ein Friede in der Welt nur durch die maximale Entwicklung aller Mikrokosmen möglich ist. Der Frieden im Makrokosmos, der Welt als Ganzer, ist nur möglich, wenn sich alle Staaten entwickeln. Eine solche Idee ist nur verwirklichbar durch eine kulturelle und moralische Renaissance. Nun wird mancher denken, die Welt ist so verkommen und verdorben, wo soll jetzt die moralische Renaissance herkommen? Da muß man in die Geschichte zurückblicken und fragen: Wie hat sich die Menschheit in früheren dunklen Zeitaltern sozusagen am eigenen Schopf aus dem Morast gezogen, wie der Baron von Münchhausen sagen würde? Es gibt solche Beispiele, außer den dunklen Perioden in der europäischen Geschichte gibt es großartige klassische und Renaissance-Perioden -- angefangen mit der griechischen Klassik, vor allem Platons Ideen.

Mit Platon entstand überhaupt zum ersten Mal das Konzept der Idee. Wenn man seine Staatsschriften liest, kommt man auf die Idee der guten Regierung -- daß eine Regierung gerecht sein muß, daß das Staatswesen überhaupt nur funktionieren kann, wenn die Bürger Liebe zur Wahrheit und Gerechtigkeit haben. Platon legt dar, warum die Gerechtigkeit letztlich eine größere Kraft ist als die Ungerechtigkeit, auch wenn es manchmal so aussieht, als kämen die Ungerechten besser weg als die Gerechten.

Die Frage der Gerechtigkeit ist von allergrößter Aktualität. Wenn wir die Neuordnung der Gesellschaft anstreben, muß sich diese auf Gerechtigkeit gründen. Es müssen die Bedingungen dafür geschaffen werden, daß die Menschenrechte eines jeden Bürgers zur Geltung kommen. Jeder Mensch, jedes Kind muß die in ihm angelegten Fähigkeiten voll entfalten können. Das geht nicht ohne Verankerung des Staates im Naturrecht. Das war der Grund, warum sich die Menschen in der unmittelbaren Nachkriegsphase nach dem Schrecken der Naziherrschaft auf das Naturrecht besonnen haben. Es muß eine Verankerung von Gesetzen geben, die sicherstellt, daß wir nie wieder eine so schreckliche Entwicklung erleben. Dazu ist es wichtig, sich die besten Traditionen Europas, die griechische Klassik, die italienische Renaissance oder die deutsche Klassik anzusehen und zu verstehen, daß die Ideen, die dort zum Ausdruck kommen, die gleichen sind wie etwa in der konfuzianischen bzw. neokonfuzianischen Tradition in China oder in der vedischen Tradition in Indien.

Moses Mendelssohn

Wenn man sieht, wie Europa aus dem dunklen Zeitalter des 14. Jahrhunderts heraus durch die Wiederbelebung der Ideen der griechischen Klassik und der großen Kirchenfürsten wie Augustinus eine Renaissance geschaffen hat, dann wird der Weg offensichtlich. China ist augenblicklich dabei, genau das zu tun. Man hat sich von den falschen Wegen der Kulturrevolution abgewandt und besinnt sich zurück auf die besten Traditionen der 5000jährigen Geschichte.

Durch die Ideen von Leibniz im 17. Jahrhundert wurde die Antike wiederbelebt, Deutschland kam aus den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges zur deutschen Klassik und damit der letzten großen kulturell Blüteperiode der Welt überhaupt. Den Boden dafür legte die herausragende Leistung von Gottfried Ephraim Lessing und Moses Mendelssohn im 18. Jahrhundert. Die griechische Klassik wurde wieder gepflegt, antike Sprachen wurden studiert und das bereitete den Boden für Schiller, Humboldt und andere.

Man muß sich in die Lage damals zurückversetzen. Das intellektuelle Leben war damals genauso von schlechten Konzepten beherrscht wie heute. An der Preußischen Akademie der Wissenschaften unter Friedrich II. regierte die sog. "Aufklärung". Die Moral an den Adelshöfen war zersetzt durch Voltaires Werke, die sich über Leibniz (Candide), über Jeanne d'Arc und über alle schönen Vorstellungen lustig machten. Gegen diese "Aufklärung" haben Leute wie Mendelssohn und Lessing angekämpft. Ich möchte die Person von Moses Mendelssohn kurz beleuchten: Er war Jude, geboren in Dessau, 80 km von Berlin entfernt. Die Ghettos waren damals furchtbare Orte, wo Armut und Rückständigkeit herrschte. Hebräisch wurde nicht gesprochen, man lernte den Talmud auswendig, ohne die Sprache beherrschen. Moses Mendelssohn aber lernte Hebräisch nach der Grammatik, und er nutzte die erste Gelegenheit, nach Berlin zu gehen und sich nacheinander Musik, Literatur, Philosophie und viele Sprachen anzueignen.

Er begann gegen die vorherrschende Aufklärung Werke zu publizieren, für die Rückbesinnung auf die eigene europäische Tradition von Leibniz. Er las Platons Gesamtwerk im griechischen Original. Er begann Platons Dialog Phaidon zu übersetzen, um ihn dann aber mit eigenen Worten in der Sprache des 18. Jahrhunderts weiterzuentwickeln. Er sagt dazu, es ist vielleicht ein Anachronismus, daß ich meinen Platon zum Leibniz des 18. Jahrhunderts mache, aber ich begehe lieber einen Anachronismus, als daß ich ein Argument auslasse, das meine Gegner vielleicht überzeugen könnte. So schrieb er einen wunderbaren platonischen Dialog.

Er hat eigentlich die Voraussetzung für Schillers ästhetische Lehre geschaffen, indem er den alten platonischen Gedanken der Entwicklung des Charakters aufgriff, daß man die Leidenschaft in Übereinstimmung mit der Vernunft bringen muß. Dies hat Schiller dann aufgegriffen mit dem Gedanken der "schönen Seele" und der charakterlichen Schönheit als Ziel der Erziehung.

Durch die Arbeit von Lessing und Mendelssohn wurde die Aufklärung zurückgeworfen, und die deutsche Klassik konnte entstehen. Ebenso wie die italienische Renaissance war so die deutsche Klassik eine Gegenbewegung gegen eine dominierende Ideologie der Zeit. Natürlich ist dabei Lessing besonders wichtig, weil er als Denker der Ökumene, für den Frieden zwischen den Religionen wirkte. Sein Nathan der Weise war gewissermaßen die Gegenschrift zu Voltaires Candide.

Und mit Moses Mendelssohn hat ein Jude es geschafft, den "Bestseller" seiner Zeit zu schreiben: Phaidon war damals das meistgelesenste Buch. In dem Dialog behandelt er an Platon anknüpfend die Frage der Unsterblichkeit der Seele. Er sagt, die Moral hänge daran, ob der Mensch nur im Hier und Jetzt lebt -- wenn dies kleine Leben alles ist, was ich habe, dann muß ich das Maximale 'rausholen, den maximalen Gewinn einstreichen -- oder ob man an der Unsterblichkeit teilhat. Er stellt diese beiden Begriffe gegenüber und sagt: Wer die Unsterblichkeit der Seele leugnet und nur an das Hier und Jetzt glaubt, muß der nicht, wenn er vom Staat aufgefordert wird, im Verteidigungsfall sein Leben einzusetzen, alles tun, um den Staat zu stürzen, damit er zwei Tage länger leben kann? Muß er nicht die ganze Menschheit in den Abgrund ziehen? Wenn man das auf die Oligarchen anwendet, die heute bereit sind, die ganze Welt in den Abgrund zu stürzen, sieht man, daß dieses Argument etwas für sich hat. Das Haus Mendelssohn wurde zum Mittelpunkt für alle Humanisten.

Alexander und Wilhelm von Humboldt hatten den Vorzug, gemeinsam mit den Kindern von Moses Mendelssohn von ihm selbst unterrichtet zu werden. Diese Aktivitäten trugen dazu bei, daß der Bildungsstand in der Bevölkerung insgesamt enorm wuchs. Wenn man etwa Schillers philosophische Gedichte liest, die alle eine tiefe Kenntnis der griechischen Klassik voraussetzen, kann man sehen, daß das Wirken weniger Denker einen solchen Umschwung möglich machte.

Kulturelle Integration

Mendelssohn ist auch deshalb von solcher Bedeutung, weil er Jude und gleichzeitig Bestandteil der deutschen Klassik war. Das ist ein Hinweis darauf, was an der Debatte zwischen Walser und Bubis falsch ist. (Wobei ich sagen muß, daß Walser, als er sagte, daß die Holocaust-Debatte zu gegenwärtigen Zwecken instrumentalisiert wird, natürlich recht hatte.) Es wurde nämlich nicht erwähnt, daß die Geschichte der Juden in Deutschland nicht begrenzt ist auf zwölf Jahre Nazi-Zeit, sondern daß gerade der Beitrag der Juden im 18. und 19. Jahrhundert für die kulturelle und wissenschaftliche Tradition in unserem Land ungeheuer wichtig war. Nicht nur die Juden, uns alle schneidet man ab von den besten Traditionen, wenn man dies verneint oder reduziert.

Den Fall Moses Mendelssohn erwähne ich wegen der augenblicklichen Debatte über Ausländerintegration, doppelte Staatsbürgerschaft, und wie man damit umgehen soll: Deutschland war immer ein Einwanderungsland. Bei den demographischen Bedingungen, die bei uns inzwischen herrschen, ist völlig klar, daß die Deutschen ohne Einwanderung aussterben würden. Bleibt die Frage der Integration, und dafür ist Moses Mendelssohn ein gutes Beispiel: In dem Maße, wie sich die Bürger jeder Bevölkerungsgruppe, jeder Nation, jeder Hautfarbe den Universalschatz des menschlichen Wissens, die Universalgeschichte, die Universalkultur aneignen, hören sie auf, nur Bürger ihrer eigenen Nation zu sein, sondern werden auch Weltbürger.

Deshalb bin ich der Meinung, daß Schillers Ideal der Einheit von Patriot und Weltbürger im Rahmen der Eurasischen Landbrücke und der Neuen Weltwirtschaftsordnung zum ersten Mal eine praktische Idee wird. Wenn wir die europäische Kultur, aber auch die großen Kulturen anderer Nationen wie China, Indien u.a. zu unserer eigenen machen, dann werden wir universal, dann werden wir welthistorische Individuen. Das ist eine Perspektive, die absolut möglich ist, die Freude macht und in Reichweite vor uns liegt.

Dies ist der zündende Funke, um angesichts des Führungsvakuums in den europäischen Regierungen die Perspektive der Eurasischen Landbrücke auf die Tagesordnung zu setzen. Europa muß beim Zustandekommen der Eurasischen Landbrücke eine entscheidende Rolle spielen -- darin liegt unsere Identität für das 21. Jahrhundert.

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