April 2005:

Ohne Zusammenarbeit keine Zukunft für Europa oder Amerika

Oberst a.D. Jürgen Hübschen
... Sie fragten: "Warum sollen wir gehen? Wir wollen Bilder machen von Ihrem Präsidenten." Das war vor dem Gutenberg-Museum, beim kulturellen Teil des Besuchs. Und sie sagten: "Sie dürfen hier nicht bleiben. Wenn Sie nicht gehen, schneiden wir ihre Kabel durch." ... Als abschließender Beitrag zum Bush-Besuch in Mainz veröffentlichen wir das Interview der Nachrichtenagentur EIR mit Oberst a.D. Jürgen Hübschen.

Oberst (a.D.) Jürgen Hübschen war Verteidigungsattaché an der Deutschen Botschaft in Bagdad. Nach Generalstabsausbildung und verschiedenen Führungs- und Stabsverwendungen war Hübschen fünf Jahre bei der OSZE eingesetzt. 40 Jahre war er aktiver Offizier, inklusive einer einjährigen Ausbildung in den USA und zehn Jahren täglicher Zusammenarbeit mit amerikanischen Offizieren. Nach seinem Aussscheiden aus der Bundeswehr im Frühjahr letzten Jahres leitet er die Firma Peace Keeping & Security Policy Consulting. Jürgen Hübschen gab Nancy Spannaus vom Magazin EIR am 21. März ein Interview, das wir hier in deutscher Übersetzung und leicht gekürzt wiedergeben.

Hübschen: Das ist eine sehr schöne Frage. Denn genau das ist die Frage: Was geht wirklich vor in den Vereinigten Staaten? Ich habe da eine persönliche Meinung - eine sehr persönliche. Ich habe, wie Sie sagten, jahrzehntelang mit amerikanischen Freunden zusammengearbeitet. Und wenn man dann in ein Land von Freunden reist und muß sich am Flughafen Fingerabdrücke abnehmen und Bilder machen lassen, dann hat man das Gefühl, daß man ein Verbrecher oder etwas ähnliches ist. Ich war dicht daran, wieder umzukehren! Denn das ist - insbesondere für einen ehemaligen Offizier, der sein Leben lang für Recht und Gesetz eingetreten ist, schier unerträglich. Das war mein - sehr persönlicher - Eindruck.

Hübschen: Das weiß ich nicht. Aber sie behandelten genauso auch die Familie mit drei kleinen Kindern vor mir. Das fand ich äußerst seltsam. Das ist nicht das Verhalten eines freien Landes, das die gesamte westliche Welt repräsentiert.

Hübschen: Die Menschen sind sich nicht mehr sicher, was mit Amerika geschieht. Amerika war immer das Land, zu dem die Deutschen aufsahen, von dem sie ein bißchen träumten. Und für die Kinder war ein Stipendium in Amerika das größte.

Das ist vorbei. Vor fünf Jahren oder sagen wir sechs Jahren standen sie Schlange für solche Stipendien, und man mußte entscheiden, wer gehen durfte ... Heute sind Stipendien in Südamerika oder anderen europäischen Ländern gefragt, oder sogar in der asiatischen Region. Amerika steht nicht mehr oben auf der Wunschliste.

Und das ist einfach schlecht. Denn erstens müssen die Deutschen Amerika sehr, sehr dankbar sein, denn Amerika hat uns zu dem gemacht, was wir sind. Und dann haben wir mehr als 50 Jahre als enge Freunde zusammengearbeitet! Nicht weil wir zusammenarbeiten mußten, sondern weil wir zusammenarbeiten wollten. Und nun ist da dieser große Wandel.

Und der entscheidende Punkt ist, daß die Menschen in Deutschland nicht mehr wissen, ob das "wahre" Amerika noch existiert. Sie sehen nur das "neue" oder "andere" Amerika, oder wie immer man es nennen will, und sie denken: "Okay, das war's!" Und als Bush wiedergewählt wurde, da wurde es noch schlimmer ...

Hübschen: Ich glaube, das ist sehr schwierig zu sagen, denn die offiziellen Kontakte zwischen den beiden Ländern werden von den Regierungsvertretern wahrgenommen. Und sie sind derzeit nach meinem Eindruck auf ein Minimum reduziert. Es wird nur das getan, was notwendig ist, um nicht unhöflich zu sein.

Wir müssen aufhören, uns immer nur über die Vergangenheit zu beschweren. Wie Sie schon sagten, es wurden viele Fehler gemacht. Der Krieg war ohne Zweifel illegal. Aber wir müssen nach vorne schauen, wie wir die Zukunft gestalten können. Und wie wir unsere Beziehung und unsere Freundschaft sozusagen wieder aufbauen können. Und das kann meiner Meinung nach nur durch Organisationen außerhalb oder neben der Regierung geschehen, zwischen den Menschen, die für einige Organisationen arbeiten und nach Amerika kommen, und Amerikanern, die nach Europa kommen.

Wir müssen - nennen wir es "parallele Beziehungen" - zwischen den Ländern aufbauen...

Hübschen: Ja, ich glaube, das entscheidet alles. Wir müssen zu einer Situation zurückkehren, in der es nichts besonderes mehr ist, wenn ein amerikanischer Präsident Deutschland besucht, oder umgekehrt. Ich kann mich kaum noch erinnern, wann unser Kanzler zum letzten Mal hier in Amerika war. Ich weiß es nicht.

Aber ich habe noch nie so einen Besuch eines amerikanischen Präsidenten erlebt wie den letzten. Ich bin jetzt fast 60 Jahre alt. Ich habe mitangesehen, wie Präsidenten nach Deutschland kamen wie John F. Kennedy; ich sah Johnson, ich sah Nixon, ich sah Clinton. Ich sah den Vater des gegenwärtigen Präsidenten. Ich habe sie alle erlebt! Und es war immer ein Volksfest in Deutschland, wenn der amerikanische Präsident kam. Vor allem Kennedy, denn er ...

Hübschen: Ja, aber jeder sah in ihm jemanden, der einen festen Standpunkt vertrat. Er repräsentierte eine neue Generation, und das war einfach großartig! Als er 1961 nach Deutschland kam, war ich gerade 16 Jahre alt, und er war definitiv das Symbol des amerikanischen Traums.

Aber nun besucht uns ein amerikanischer Präsident, und man entvölkert die Region. Als er nach Mainz kam, war niemand da. Niemand war auf der Straße...

Hübschen: Man hat es nicht erlaubt. Es war ein völliges Sperrgebiet. Ich weiß von meinem Sohn, der beim Fernsehen tätig ist, daß Kameramänner seines Fernsehsenders irgendwo warteten. Sie hatten die Akkreditierung, sich dort aufzuhalten, und dann wurden sie von amerikanischen Sicherheitsbeamten fortgeschickt. Sie fragten: "Warum sollen wir gehen? Wir wollen Bilder machen von Ihrem Präsidenten." Das war vor dem Gutenberg-Museum, beim kulturellen Teil des Besuchs. Und sie sagten: "Sie dürfen hier nicht bleiben. Wenn Sie nicht gehen, schneiden wir ihre Kabel durch." Eine offene Drohung! Bei Opel wurde sogar die Produktion eingestellt.

Hübschen: Nein, vorsorglich! Sie sagten: "Wir stoppen die Bänder, und ihr kommt am Samstag wieder und holt eure normale Schicht nach." Die Zufahrtswege waren stundenlang gesperrt, und es wäre ohnehin unmöglich gewesen, rechtzeitig zur Arbeit zu kommen...

Und am nächsten Tag, oder sogar noch am gleichen Tag, flog Präsident Bush in die Slowakei, und dort hielt er sich mitten in der Menschenmenge auf. Und es hat mich geärgert, daß das möglich war, demonstrativ möglich, daß er sich unter die Menge mischte - offensichtlich ohne jedes Risiko. Aber in meinem Land mußten sie das Gebiet sperren, weil es offenbar aus amerikanischer Sicht als Risiko gilt, unter Deutschen zu sein.

Hübschen: Wenn ich hinzufügen darf: Es gibt keine Zukunft für Europa ohne Amerika. Und es gibt keine Zukunft für Amerika ohne Europa.

Hübschen: Damit stimme ich nicht überein. Die Europäer versuchen, ein Verbündeter auf der gleichen Augenhöhe mit dem "großen Bruder" auf der anderen Seite des Ozeans zu werden. Das ist auch im Sinne der Amerikaner. Sie sagten: "Ihr müßt auch Verantwortung übernehmen. Wir müssen die Lasten aufteilen." - "Europa", das heißt Norwegen, Spanien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien. Das ist nicht so einfach im Vergleich zu Amerika, das Texas, Virginia und Alaska usw. umfaßt. Es ist nicht dasselbe. Denn letztendlich können Sie hier ihren Bundesstaaten Befehle erteilen.

Aber in der Europäischen Gemeinschaft kann man keine Befehle erteilen, und deshalb muß man einen Konsens finden. Und deshalb ist das Ergebnis manchmal nicht befriedigend. Aber ich glaube, sie haben vieles erreicht.

Hübschen: Wir müssen uns bemühen, deutlich zu machen, daß "Amerika" nicht dasselbe ist wie die amtierende Regierung! Wir haben den gleichen Fehler im Irak gemacht. Wir haben den Irak und Saddam Hussein nicht auseinandergehalten. Saddam Hussein war nicht der Irak. Der Irak, das ist ein Volk mit 25 Millionen Menschen mit ihren Träumen und ihren Hoffnungen - genauso wie in Amerika: Amerika ist nicht Bush und die Neocons.

Hübschen: Die Menschen im Irak - man kann sagen, alle Araber - sind sehr stolz. Und Würde und Ehre, solche Werte, sind für diese Menschen sehr, sehr wichtig. Deshalb ist es für sie völlig inakzeptabel, wenn sie das Gefühl haben, daß jemand über sie herrscht.

Und dieses Gefühl haben sie. Die amerikanischen Truppen kamen herein, und die meisten Leute, die ich gesprochen habe, sagten, sie seien als Befreier begrüßt worden.

Hübschen: Ja. Die Amerikaner wurden als Befreier begrüßt. Aber inzwischen sind sie Besatzer.

Es ist also wichtig, deutlich zu machen, daß wir auf der einen Seite die, nennen wir es die amerikanisch geführte multilaterale Truppe, haben, und die unabhängige irakische Regierung auf der anderen. Denn es hat ja eine Wahl stattgefunden, und sie werden früher oder später auch ein Kabinett bilden... Wir sollten das ganz entschieden unterstützen. Es heißt aber auch, daß wir diese beiden Bereiche voneinander getrennt halten müssen.

Dann gibt es die sogenannte "grüne Zone", in der sich alle diese Einrichtungen befinden. Dort liegt die sogenannte amerikanische Botschaft. Ich sage "sogenannte", weil man sie mit ihren 3 000 Mitarbeitern nicht als Botschaft bezeichnen kann. Und dort hat auch die irakische Interimsregierung ihren Sitz. Es ist daher für die Menschen schwer zu sehen, wer eigentlich das Land regiert...

Wir brauchen eine separate Infrastruktur. Und wir müssen alle Symbole der Diktatur und der Tyrannei aufgeben, wie z.B. Abu Ghraib. Holt die Gefangenen aus Abu Ghraib und sprengt es. Damit die Menschen im Irak erkennen: "Oh, es ändert sich etwas!" Die ganzen Straßensperren müssen abgebaut werden, auch wenn das für kurze Zeit das Sicherheitsrisiko vergrößert. Aber man vermittelt den Menschen den Eindruck, daß wirklich eine neue Zeit begonnen hat. "Wir können uns frei bewegen, um unserer Arbeit nachzugehen und unsere Verwandten zu besuchen."

Die Kontrollpunkte müssen aufgegeben werden. Es gibt weder in Deutschland noch in Amerika Kontrollpunkte. Und wenn der Irak jetzt ein freies Land ist, warum soll es sie dann dort noch geben?

Das ist der eine Aspekt. Der andere Aspekt betrifft die amerikanischen Truppen im Lande... Die amerikanischen Soldaten können den Krieg nicht gewinnen, so wie sie ihn führen. Ein Großteil ist zu jung, und der andere Teil, die Nationalgarde und die Reserveeinheiten der Armee, ist überhaupt nicht ausgebildet. Es ist nicht fair, Truppen dieser Art für ein ganzes Jahr in den Irak zu senden. Dazu haben sie sich nicht verpflichtet, definitiv nicht. Und so zerstört es ihre Moral und ihre Fähigkeit, einen solchen Krieg zu führen.

Nach meiner Ansicht sollten die amerikanischen Soldaten oder die multinationalen Truppen an den Grenzen stationiert werden, damit sie so den Irak von der äußeren Grenze her sichern, damit keine weiteren Terroristen in das Land kommen. Das ist der eine Vorteil. Und der andere Vorteil ist, daß die Iraker sie nicht mehr jeden Tag überall sehen müssen.

Hübschen: Richtig. Ich glaube, so müßte man es machen. Und für den Wiederaufbau des Landes, glaube ich, sollte man eine Art Task Force zu gründen, in der verschiedene Länder der Welt als Sponsoren für den Irak auftreten. So haben z.B. die Deutschen in den 80er Jahren viel Infrastruktur im Irak gebaut. Die berühmte Haifa-Straße, von der jeder spricht, wurde von den Deutschen gebaut. Man würde also an die Deutschen herantreten, sich z.B. um den Wiederaufbau des Eisenbahnnetzes zu kümmern, das ebenfalls von deutschen Firmen gebaut wurde.

Hübschen: Richtig. Und das muß aufhören. Das gleiche gilt für die Ölindustrie: Es gibt so viele irakische Ingenieure, sie können ihre eigene Industrie wieder aufbauen. Das Problem sind die Ersatzteile - die könnten leicht aus allen unseren Ländern zur Verfügung gestellt werden...

Ich sehe eine Chance, das zu tun - über die Arabische Liga. Und das führende Land der Arabischen Liga ist Ägypten. So weit ich weiß, hat Ihre Organisation gute Kontakte zur ägyptischen Regierung. Das könnte ein Ansatz sein. Reden Sie mit den Ägyptern; die Ägypter bringen es vor die Arabische Liga; die Arabische Liga bringt es vor die irakische Regierung, und die irakische Regierung stellt einen formellen Antrag. Und wenn wir zustimmen, und eine Task Force aufbauen, dann sollte sie ein ständiges Büro im Irak unterhalten, und wir sollten jeden Tag deutlich machen, daß wir dort sind, um zu helfen, und nicht mehr, um zu beherrschen...

Hübschen: Ja, unbedingt. Ich habe fünf Jahre lang für die OSZE in Wien gearbeitet und für die OSZE eine Vereinbarung zwischen Rußland und Lettland begleitet. In diesen fünf Jahren habe ich einiges über die Russen gelernt.

Rußland durchlebt derzeit eine sehr harte Zeit, denn es hat das Gefühl, seit über zwölf Jahren zurückgedrängt zu werden, und das ist für alle ein wirklich großes Risiko. Sehen Sie nur auf die Landkarten. Sehen Sie, wo Rußland ist, und wie groß es ist.

Hübschen: Ja, das ist ein Aspekt. Rußland ist das einzige Land, das immer noch in der Lage ist, die Vereinigten Staaten zu zerstören. Und umgekehrt. Das Prinzip der gegenseitig zugesicherten Zerstörung gilt immer noch.

Wenn man eine neue Weltordnung einführen will, dann muß man über Rußland nachdenken, denn es ist ein wirklich wichtiger Teil davon. Und man muß Sicherheit im weiteren Sinne betrachten: Sicherheit, das bedeutet wirtschaftliche, soziale, kulturelle und militärische Aspekte. All das ist Sicherheitspolitik. Und das ist notwendig, um ein System aufzubauen, das unsere Welt in die Zukunft führt. Und dafür sind zwingend erforderlich: Amerika, Europa und Rußland - ich weiß, daß Rußland ein Teil Europas ist, aber es muß zusätzlich erwähnt werden, weil es so groß ist.

Hübschen: Das ist es. Wir haben von den Atomwaffen in Rußland gesprochen, aber wir sollten auch daran denken, was für Ressourcen in Rußland stecken...


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