| März 2002: |
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Oberst Kaltenbach berichtete in Mainz über die Erfahrungen aus der Friedensmission in Mostar. Beim Beobachter mischt sich Anerkennung für die Soldaten mit dem unguten Gefühl, daß sie letztlich vor eine unlösbare Aufgabe gestellt sind.
Im Bild: Bundeswehrsoldaten leisten im Rahmen der SFOR umfassende Aufbauhilfe in Bosnien-Herzegowina
Ende Januar lud der Reservistenverband Mainz zu einer Veranstaltung über die Erfahrungen der Bundeswehr aus der Friedensmission im Balkan ein. Dabei berichtete Oberst Kaltenbach aus Saarlouis über seinen Einsatz von Mai bis Dezember 2000 in Mostar, Bosnien-Herzegowina.
Angesichts des Krieges in Afghanistan und des neuen Einsatzes der Bundeswehr dort konnte man sich als interessierter Teilnehmer der Veranstaltung des Eindrucks nicht erwehren, daß in Afghanistan wie auf dem Balkan ein ähnliches Drehbuch abläuft: Erst werden verbrecherische Regime - Milosevic in Serbien oder die Taliban in Afghanistan - von den Anglo-Amerikanern direkt und indirekt unterstützt, anschließend werden sie weggebombt und zu guter Letzt dürfen die Deutschen dann die Trümmer zusammenkehren und Friedenserhaltung betreiben.
Leider fanden nicht viele Zivilisten den Weg zu dieser Veranstaltung, die vielleicht diesen Widerspruch stärker empfinden als viele Soldaten. Damit soll nicht die Notwendigkeit eines militärischen Friedenseinsatzes und der Bedeutung der CIMIC (Civil Military Cooperation/Zivil-Militärische Zusammenarbeit) abgestritten werden. Gerade wegen des gegenwärtigen Säbelgerassels - Stichwort "Achse des Bösen" - ganz im Plan für einen "Krieg der Zivilisationen" eines Huntington und Brzezinski darf es uns nicht egal sein, was auf dem Balkan passiert, wo die Spirale der kriegerischen Geopolitik nach dem Ende des Kalten Krieges begonnen hat.
Aber zurück zum Vortrag von Oberst Kaltenbach. Den meisten Zeitgenossen ist nicht bekannt, daß die Bundeswehr im Unterschied zu den Armeen anderer Nationen eine besondere Ausbildung ihrer Soldaten in humanitärer Hilfe und für den wirtschaftlichen Wiederaufbau, wenn auch in engen Grenzen, betreibt. Kaltenbach erklärte, aus welchen Komponenten eine Friedensmission besteht: Organisation der friedensunterstützende Maßnahmen; volle oder teilweise Entwaffnung der Konfliktparteien; und schließlich die eigentliche Friedenserhaltung, die zeitlich nicht so einfach festgesetzt werden kann, da sie von den politischen Umständen abhängt. Im Juni 1994 habe das Bundesverfassungsgericht die Zustimmung für den Einsatz deutscher Soldaten außerhalb des NATO-Gebietes an klar definierte Voraussetzungen gebunden. 1995, nach Abschluß des Abkommens von Dayton, kam dann der Einsatz der Bundeswehr in Bosnien-Herzegowina im Rahmen der SFOR.
Die Bundeswehr ist in der Südost-Region Bosnien-Herzegowinas zusammen mit Spaniern, Franzosen und Italienern eingesetzt. Um den Veranstaltungsteilnehmern eine Vorstellung über das Land zu geben, zeigte Oberst Kaltenbach einige Dias. Die bergige Landschaft ist zerklüftet und schwer zugänglich. Die nicht sehr entwickelte Infrastruktur ist immer noch völlig zerstört. Es gibt eine einzige Eisenbahnlinie, die nur von einer Betriebslokomotive genutzt wird, und auch diese mußte von der SFOR zu Verfügung gestellt worden. Luftbilder der serbischen Gebiete zeigten meist nur Ruinen. Kaltenbach sagte, daß ihn dies an archäologische Stätten der Hethiter oder Etrusker erinnerte. Die Bilder wurden sechs Jahre nach Kriegsende aufgenommen!
Die Schwierigkeiten mit dem Wiederaufbau erläuterte Kaltenbach am Beispiel der historischen Brücke in Mostar. Die EU habe 250000 DM für den Wiederaufbau der Brücke zur Verfügung gestellt, aber die lokalen Kroaten hätten den Bau sabotiert, und so gebe es bis heute nur eine Behelfsbrücke. Kaltenbachs ganzer Stolz ist der Aufbau eine Armenküche in einer ehemaligen Kaserne, die heute täglich 700 Menschen mit einer warmen Mahlzeit versorgt. Dies sei nur durch die finanzielle Unterstützung einiger Hilfsorganisationen möglich gewesen, besonders aber auch durch den freiwilligen, humanitären Einsatz der Soldaten. Franzosen oder Briten würden diese Art von humanitärer Hilfe nicht leisten, da sie das nicht als ihre Aufgabe als Soldaten betrachteten.
Der Auftrag der SFOR besteht darin, die Sicherheit der Bevölkerung, d.h. die Bewegungsfreiheit der Menschen und die Arbeitsfähigkeit der Regierung in Sarajevo zu gewährleisten. Ein großes Problem sieht Kaltenbach darin, daß die Kriegsverbrecher Mladic und Karadzic immer noch frei herumlaufen. Die Bundeswehr in Bosnien-Herzegowina habe aber keinen Auftrag zur Festnahme von Kriegsverbrechern und könne eigenständig auch nicht initiativ werden.
Nach dem militärischen Auftrag folgt für die Bundeswehr der politische Auftrag, und dieser heiße Wiederaufbau und Flüchtlingsrückkehr. Für Deutschland sei dies ein ganz wesentliches nationales Interesse. Deutschland hat von 1,3 Millionen Flüchtlingen aus dem Balkan 345000 aufgenommen, und davon konnten immerhin 295000 Flüchtlinge wieder zurückkehren. Dies sei wesentlich durch den Einsatz der Bundeswehr möglich geworden. Für diese zurückgekehrten Menschen müsse die SFOR die Sicherheit gewährleisten. Das umfasse Aufgaben wie das Räumen von Minen und die Gewährleistung des Zugangs zu vorhandenem Wohnraum. "Es ist zwar nicht immer einfach zu helfen, was die ethnischen Mentalitäten betrifft, aber ein vorzeitiger Abzug kann zum völligen Scheitern der langjährigen Friedensmission führen."
Am Ende der Veranstaltung kam doch noch eine Diskussion über den Krieg in Afghanistan und den 11. September auf. Einerseits wurde die internationale Lageentwicklung seit den Anschlägen in den USA überwiegend als katastrophal beurteilt, aber gleichzeitig wollten sich die Veranstaltungsteilnehmer nicht an Hintergründe des 11. September in Amerika heranwagen und blieben auch angesichts des drohenden Krieges der Kulturen meist passiv.
Doch genau hier liegt die Gefahr. Kann es angehen, daß unsere Soldaten in immer mehr Einsätze hineingezogen werden, die als Friedensmissionen an sich sinnvoll sind, aber zugleich demoralisierenden Sisyphus-Charakter haben? Die Bundeswehr wird gerufen, nachdem das politische und militärische Unheil angerichtet wurde - leider nicht nur von den Milosevics und Taliban dieser Welt, sondern von unseren eigenen anglo-amerikanischen Verbündeten. Der Balkan ist ein drastisches Beispiel hierfür.
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