Bereits der dreizehnjährige Moses Mendelssohn war fasziniert von Maimonides' Hauptwerk More Nebuchim (Führer der Verwirrten). Mendelssohns Lehrer David Fränkel hatte dieses Werk erstmals 1742 in Deutschland herausgebracht. Tag und Nacht studierte der junge Moses Mendelssohn mit wachsender Begeisterung dieses Werk, bis er sich dabei seine Gesundheit ruinierte. So schrieb er später: "Diesem Maimonides habe ich es zuzuschreiben, daß ich einen so verwachsenen Körper bekommen... er hat mir die Schädigung siebenfach vergolten, als er mir die Seele durch seine hohe Weisheit erquickte."
Was faszinierte den jungen Moses so sehr an seinem Namensvetter? Maimonides hatte den engen Denkhorizont seiner Zeit überschritten und gelehrt, daß man Vernunft und Glauben miteinander in Einklang bringen konnte. Sein hervorstechender Charakterzug war die Toleranz in einer Zeit, die alles andere als tolerant war.
An einen solchen Mann zu erinnern in Zeiten, in denen Juden und Araber wieder in einen blutigen Kampf verstrickt sind, aus dem seit Jahrzehnten niemand einen Ausweg zu finden scheint, in denen Fanatismus im Namen der Religion zu Terrorismus führt, ist ein Unterfangen, das Aufmerksamkeit verdient. So gibt die kleine Ausstellung im Jüdischen Museum der Stadt Frankfurt mit dem Titel "Moses Maimonides. Arzt, Philosoph und Oberhaupt der Juden" zumindest einen Einblick in eine Zeit, die bedrückende Parallelen zu unserer heutigen Zeit aufzeigt.
Die Familie Maimon gehörte zu den angesehensten Familien der Stadt, Moses' Vater Maimon ben Josef war ein bedeutender Talmudgelehrter, der seinen Stammbaum über 49 Generationen von Gelehrten zurückverfolgen konnte und dem Sohn eine umfassende arabische und hebräische Bildung vermittelte. Doch die "convivencia", das friedliche Zusammenleben von Juden, Christen und Muslimen wurde abrupt beendet, und damit endete auch die behütete Kindheit des jungen Moses.
Während das Christentum seine heiligen Kriege in Form von Kreuzzügen gegen den Islam führte, und in fast allen christlichen Staaten Europas ganze jüdische Gemeinden unter Todesandrohung zur Aufgabe ihres Glaubens gezwungen wurden, war es in Spanien eine fanatische islamische Gruppierung, die die friedliche Koexistenz der jüdischen Gemeinden mit Islam und Christentum beendete. Die Almohaden, d.i. die al-muwahhidun, die "Bekenner der Einheit und Ausschließlichkeit Gottes" hatten große Teile Nordafrikas erobert und waren schließlich 1147 bis zum südlichen Teil Spaniens vorgedrungen. Sie lehnten alles Fremde ab und stellten die nichtmuslimischen Bewohner vor die Wahl, die in ihren Augen einzig wahre Religion anzunehmen oder zu emigrieren. Viele Juden flüchteten daraufhin in den unter christlicher Herrschaft stehenden Norden Spaniens, andere konvertierten zumindest zum Schein zum Islam, wieder andere flüchteten übers Meer nach Nordafrika, so auch die Familie Maimon.
Im nördlichen wie im südlichen Teil Europas lebten die Juden jetzt unter existentieller Bedrohung. Während im Norden unter dem Kreuzbanner etliche jüdische Gemeinden ausgelöscht wurden, mußten ihre spanischen und nordafrikanischen Glaubensgenossen Ähnliches unter dem Banner des Halbmonds erleiden. Fanatismus und Fundamentalismus dominierten und beendeten das "Goldene Zeitalter" Spaniens, in dem die drei großen Religionen friedlich koexistiert hatten.
1148 verließ die Familie Maimon Córdoba, weil sie kein Lippenbekenntnis zu Mohammed ablegen wollten, und irrte zunächst von Ort zu Ort auf der Suche nach einer neuen Heimat. Doch da die Heeresmacht der Almohaden unerbittlich vorrückte, beschloß die Familie nach einem Jahrzehnt des ruhelosen Lebens Andalusien endgültig zu verlassen und den Schritt ins Exil nach Nordafrika zu wagen.
Der junge Moses nutzte die Möglichkeiten, Wissen zu erwerben, ausgiebig und beschäftigte sich mit dem Studium der Algebra, Geometrie, Mechanik und Astronomie. Schon die Talmudgelehrten sollen gesagt haben: "Wer die Fähigkeit besitzt, die Bahnen der Sonne und der Planeten zu erforschen, und es dennoch unterläßt, von dem sagt der Prophet: Das Werk Gottes wollen sie nicht schauen und das Werk seiner Hände beachten sie nicht." So ist eines der ersten wissenschaftlichen Werke des jungen Moses eine astronomische Berechnung des jüdischen Kalenders.
Auch beschäftigte er sich intensiv mit arabischer Medizin, in deren Studium er "eine der vorzüglichsten gottesdienstlichen Tätigkeiten" sah, da von der Gesundheit des Körpers und der allgemeinen Lebensweise die Erlangung der Erkenntnis abhängig wäre. Schließlich studierte er die unterschiedlichsten Werke der islamischen Theologie und Philosophie wie Al Farabi, Avicenna und Al Ghazzali, aber auch die aus dem Griechischen übersetzten Texte der antiken Philosophen wie Aristoteles und Platon.
Sein Bildungsziel war es, "Gott zu erfassen, soweit es einem Menschen möglich ist." Dabei hielt er es jedoch für falsch, mit dem Studium der Metaphysik zu beginnen, weil dann der Glauben nicht nur verunsichert, sondern zerstört werden könnte. Er gleiche einem Menschen, "der einen Säugling mit Weizenbrot, Fleisch und Wein ernähren wollte; denn damit würde er ihn zweifellos töten, nicht weil diese Nahrungsmittel schlecht oder der Natur des Menschen nicht angemessen sind, sondern weil der, der sie empfängt, zu schwach ist, sie zu verdauen, ehe er aus ihnen Nutzen ziehen kann." (More Nebuchim, I 33) "Der Gegenstand der Metaphysik ist sehr schwierig und erfordert außergewöhnlichen Scharfsinn und Tiefe."
Doch das intensive Studium und die enge Zusammenarbeit mit muslimischen Gelehrten wurde durch neue politische Entwicklungen jäh unterbrochen. Der neue almohadische Herrscher verlangte von Rabbi Juda Hakohen Ibn Sussan, dem Oberrabbiner von Fés, eine Bekehrung zum Islam. Ein Bekenntnis des berühmten Talmudgelehrten zum Islam hätte auf die gesamte jüdische Gemeinde eine verheerende Signalwirkung gehabt. So wählte der Rabbi den Tod und wurde am 8. April 1165 öffentlich hingerichtet. Die Hinrichtung des Lehrers und Freundes war für die Familie Maimon das Signal zur erneuten Flucht, so daß sie am 18. April 1165 Fés heimlich Richtung Ceuta verließen und von dort mit dem Schiff Richtung Akko ins Heilige Land aufbrachen.
Trotzdem wagte die Familie nach einem sechsmonatigen Aufenthalt in Akko die Reise nach Jerusalem. Nach einem dreitägigen Aufenthalt in der heiligen Stadt reiste man nach Hebron weiter, um am Grab der Patriarchen zu beten. Doch das Leben in Palästina war auf Dauer auch nicht möglich: Die ständige Angst vor erneuten Kreuzzügen bedrohte die Existenz, es gab keine Sicherheit und kein Auskommen. So sah sich die Familie Maimon gezwungen, die Wanderschaft fortzusetzen.
Dadurch wurde Moses Maimonides Familienoberhaupt. Sein Bruder David finanzierte mit seinem Edelsteinhandel den Lebensunterhalt der Familie und ermöglichte damit Moses die Fortsetzung seiner Studien. 1166 zog die Familie weiter nach Fustat, damals eine Vorstadt von Kairo, in der die größte jüdische Gemeinde Ägyptens mit siebentausend Familien bestand.
Hier traf Moses ben Maimon ein weiterer Schicksalsschlag: Sein geliebter Bruder David kam auf einer Geschäftsreise bei einem Schiffbruch auf dem Indischen Ozean ums Leben, Maimonides erfuhr dies jedoch erst ein Jahr nach dem Unglück. Jetzt stand er wirklich vor dem Nichts, da mit dem Unglück der Ernährer und auch das gesamte Vermögen der Familie verloren ging. Trotzdem schlug er die Übernahme des Amtes eines Gemeinde-Rabbiners aus, da er dieses Amt als Berufung betrachtete, nicht als Beruf, mit dem man Geld verdienen kann. Er wollte von seiner Hände Arbeit leben und zog den praktischen Beruf eines Arztes vor.
Das Heilen von Kranken betrachtete er als eine Mitzwa, ein göttliches Gebot, denn nur ein Gesunder konnte zum jüdischen Ideal der vollständigen Heilung der Welt beitragen. Bald war er als Arzt ebenso geachtet, wie er als Gelehrter geschätzt wurde. Er verfaßte zahlreiche medizinische Werke in arabischer Sprache - darunter ein Buch über das Asthma, eine Abhandlung über Gifte und eine "Diätetik", die unter dem lateinischen Namen "Regimen Sanitatis" 1477 in Florenz als erstes dort gedrucktes Buch in lateinischer Sprache erschien.
In dieser Abhandlung betont er die Beziehung zwischen Körper und Seele, die erste intensive Auseinandersetzung mit psychosomatischer Medizin. Sein medizinisches Können ließ bald Sultan Salah ad Dins (Saladin) Wesir Al Fadil auf ihn aufmerksam werden, der ihn an den Hof des Sultans holte. Saladins Sohn und Nachfolger machte ihn sogar zu seinem Leibarzt. Aufgrund seines Ansehens in der jüdischen Gemeinde und seiner Stellung als Arzt bei Hofe wurde Moses ben Maimon 1176 vom Sultan der Rang des Nagib verliehen. Dieses Ehrenamt als "Oberhaupt der Juden" bedeutete die Führung aller jüdischen Gemeinden im Fatimidenreich. Der Nagib hatte das Recht, Rabbiner und Vorbeter zu ernennen und in allen Städten Gerichtshöfe einzusetzen, die durch seine Autorität Urteile fällen durften.
Wie sehr sein Rat als "Rais Al Jahud", als "Oberhaupt der Juden" gefragt war, belegen die zahlreichen Briefe des Maimonides, in denen er auf entsprechende Anfragen die Halacha, das jüdische Gesetz, auslegt oder gar auf Fragen aus der Fremde antwortet. So wandte sich sogar die jüdische Gemeinde aus Jemen 1172 an ihn wegen Umtriebe gewisser "Erleuchteter", die behaupteten, der erwartete Messias sei bereits da und die Zeit des Judentums abgelaufen. Mit seiner Antwort warnt er sie, die Schrift zu wörtlich auszulegen und sich durch einen falschen Messias verunsichern zu lassen. Am Ende des Briefes schreibt er, daß "das Gemeinwohl es wert ist, daß man vor keiner Gefahr zurückschreckt." Diesen Satz könnte man als Maxime seines Lebens betrachten, der er bis zum Ende treu blieb.
Die ganze Seele des Menschen solle ohne Hindernisse an Erwerbung der moralischen und intellektuellen Tugenden arbeiten. Die Schönheit diene dazu, die Seele aufzuheitern, damit sie wieder Erkenntnisse aufnehmen könne, wie die Weisen sagen: "Eine schöne Wohnung, eine schöne Frau, und ein wohlgerichtetes Bett ziehmen den Gelehrten." Doch "durch anhaltende Betrachtung schwerer Dinge wird die Seele abgespannt und der Geist abgestumpft. Gleichwie der Körper durch Verrichtung beschwerlicher Arbeiten erschlafft, und erst, wenn er ruht und rastet, wieder in die rechte Verfassung kommt, so ist es ein Bedürfnis der Seele, auszuruhen und sich durch Ergötzung der Sinne beschäftigen zu lassen, z.B. durch Beschauung von Gemälden und anderen schönen Dingen, damit die Abspannung von ihr weiche; wie auch die Weisen sagen: Wenn die Gelehrten durch Studieren matt geworden waren, so redeten sie irgendetwas Erheiterndes." (von der Richtung der Seelenkräfte auf ein Ziel aus "Sprüche der Väter", pirque avot) .
Die Philosophie, die Suche nach Wahrheit, sollte als Ziel aller Erkenntnis zur rechten Gotteserkenntnis führen. Er sah keinen Gegensatz zwischen Religion und Philosophie. Er betrachtete sie als "Zwillingsschwestern". Während sich die Religion an alle Menschen richtet, um sie zu erziehen, wendet sich die Philosophie an diejenigen, die nach der wahren Lehre der Religion, über Gott, das All und die Bestimmung des Menschen suchen.
Maimonides versuchte sie aus ihrem Zwiespalt zu befreien, indem er ihnen zeigte, wie jüdische Offenbarung und Philosophie sich vereinbaren lassen, ja, er wollte sogar beweisen, daß die Bibel die Philosophie schon enthalte, daß Glauben und Vernunft eine Einheit bilden können. Sein Buch soll dem Ziel dienen, "mit der Fackel der Wissenschaft in das innere Heiligtum der Religion hineinzuleuchten".
Zunächst erläutert er seinen Gottesbegriff. Da die Bibel sich der Sprache des "einfachen Mannes" bedient, um sich dem gesamten Volk verständlich zu machen, redet sie in Gleichnisform - ist also mehrdeutig. Die Unwissenden halten sich an den exakten Buchstabensinn des Schriftworts, ihnen entgeht der tiefere Inhalt. (Das Problem des Fundamentalismus existierte damals wie heute!) Maimonides zeigt, daß die Schrift in Bildern spricht, um der Menge eine Kenntnis Gottes zu vermitteln.
Da der Mensch in seinem Vorstellungsvermögen immer von sich ausgeht, ist auch seine Gottesvorstellung anthropomorph, d.h. vermenschlicht. Er sieht ihn als körperliche, bewegte Gestalt, die zornig ist, straft, kämpft etc. Doch alle Gott vermenschlichenden Aussagen sind für Maimonides nur Umschreibungen. Weil der Mensch von Gott nur in der Sprache der Menschen sprechen kann, dürfen folglich alle in der menschlichen Sprache dargestellten göttlichen Dinge nicht wortwörtlich genommen werden. Das biblische Schauen Gottes ist ein geistiges Erfassen, nicht ein sinnliches Sehen.
Maimonides geht in seiner Gotteserkenntnis sogar noch weiter: Er behauptet, daß alle positiven Aussagen über Gott wie z.B. "Gott ist mächtig", Gott ist "gut", ebenfalls nur aus dem menschlichen Geist stammende Vorstellungen sind, die jedoch nicht der Wirklichkeit Gottes nahe kommen. Alle Namen, die wir von Gott gebrauchen, haben nur kausale Bedeutung. Er hat das Gute begründet, die Macht geschaffen. Doch können wir sagen, er ist so wie das von ihm geschaffene Gute? Die menschliche Erkenntnisfähigkeit kann nichts Näheres über die Vollkommenheit Gottes aussagen: "Wir können nur erkennen, daß er existiert, nicht aber, was er ist..."
Wahrer sind negative Aussagen über Gott, die Verneinung von Unvollkommenheiten, denn je mehr verneinende Aussagen wir machen, durch immer schärfere Unterscheidung Gottes von allen anderen Dingen kommen wir seiner Erkenntnis immer näher. (Diese negative Theologie wird später Nikolaus von Kues in seiner Docta ignorantia, der "gelehrten Nichtwissen" ebenfalls als Denkmethode zur Erkenntnis des Absoluten anwenden.) "Gepriesen sei Gott, dessen Wesen so ist, daß unser Denken bei seiner Betrachtung Unverstand, daß unsere Weisheit, wenn sie betrachtet, wie seine Werke notwendig aus seinem Willen hervorgehen, Torheit, und das Übermaß von Worten, wenn alle Zungen Gott durch Eigenschaften verherrlichen wollen, Gestammel und Ohnmacht sind!" (I,58)
Wir können nicht Gottes Wesen erkennen, sondern nur seine Wirkungen. Maimonides sagt dazu: "Du weißt, daß die Dinge eins mit dem anderen verknüpft sind, daß es nämlich nichts gibt als Gott und seine Werke, d.h. alles, was außer Gott im Dasein inbegriffen ist, daß es also keinen Weg gibt, Gott zu erkennen, als durch seine Werke, und daß es diese sind, die sein Dasein beweisen."
Daher war für Maimonides das Studium der Wissenschaften wie Logik, Mathematik, Naturwissenschaften und schließlich Metaphysik unabdingliche Voraussetzung, um zur Erkenntnis über das Wirken Gottes zu gelangen. Er benutzt auch hierzu wieder ein Gleichnis:
"Der König befindet sich in seinem Palast. Seine Untertanen sind teils Stadt-, teils Landleute. Von den Stadtleuten haben manche dem Haus des Königs den Rücken gekehrt und wollen woanders hingehen, manche aber wollen zum Hause des Königs. Sie schlagen auch den Weg dahin ein und wollen den Palast erfragen und vor den König treten, sind aber bis jetzt noch nicht so weit gelangt, daß sie auch nur die äußere Mauer des Hauses erblicken. Unter denen aber, die schon in das Haus eintreten wollen, sind einige, die noch ringsherum gehen, um das Eingangstor zu finden. Andere sind schon durch das Tor gegangen und stehen im Vorhof, wieder andere sind so weit gelangt, daß sie in das Innere des Hauses eintreten durften und sich also am gleichen Ort wie der König befinden, nämlich im Haus des Königs. Aber auch wenn man schon das Innere des Hauses erreicht hat, kann man den König nur dann sehen oder mit ihm reden, wenn man sich zuvor verschiedenen Mühen unterzogen hat...
Die außerhalb der Stadt Befindlichen sind Menschen, die keine Religion haben, weder eine, die man durch Forschung, noch eine, die man durch Überlieferung erlangt... sie sind wie unvernünftige Tiere zu betrachten... Die Stadtleute aber, die dem Haus des Königs den Rücken zugewendet haben, sind jene Leute, die zu unwahren Glaubensmeinungen gelangt sind, sei es infolge eines schweren Irrtums, sei es, daß sie von anderen auf einen Abweg verführt sind. Und diese sind noch weit schlimmer als die zuerst Erwähnten. Die aber zum König gelangen wollen und das Haus des Königs noch nicht zu Gesicht bekommen haben, sind die große Mehrzahl der Gesetzesgläubigen, nämlich der Unwissenden, die die Gebote ausüben. Diejenigen ferner, die bis zu dem Königspalast gelangt sind, aber um ihn herumgehen, sind die Talmudkundigen, die zwar auf dem Weg der Überlieferung die wahren Glaubenslehren angenommen und die praktische Gottesverehrung erlernt haben, aber mit dem Studium der Grundlehren des Gesetzes nicht bekannt sind, und die überhaupt nicht danach fragen, ob man die Wahrheit einer Glaubenslehre auch erweisen kann. Diejenigen aber, die sich darauf eingelassen haben, über die Grundlehren des Glaubens nachzudenken, sind die, die bereits in den Vorhof eingetreten sind... Wer aber dahin gelangt ist, den Beweis für alles zu kennen, wofür es einen Beweis gibt, von göttlichen Dingen zu erkennen, was zu erkennen ist, der ist bereits im Inneren des königlichen Hauses angelangt..."
Er fährt fort, mit Mathematik und Logik könne man den Palast nur umkreisen. Das Studium der Naturwissenschaft gewähre Zutritt zum Vorhof, die Beschäftigung mit Metaphysik führe in den Palast des Königs und erst die höchste Stufe der Vernunft führe vor den König.
Im Denken sah Maimonides die Existenz des Menschen. Die besondere Form des Menschen, die sein Wesen ausmachende Seele, ist die Vernunft. Diese Seele wird ihm bei der Geburt nur als Anlage, als potentielle Vernunft mitgegeben. Erst durch Denken, durch Aneignung von Erkenntnissen, wird die Seele zur Wirklichkeit. Die erworbene Vernunft, die nichts anderes ist als die Gesamtheit der Erkenntnisse, die man in sich aufgenommen hat, ist das eigentliche Wesen des Menschen. Das geistige Ich des Menschen, sein Wesen, ist identisch mit der Gesamtheit der Wesen, die er in sich aufgenommen hat. (Erinnert einen das nicht an Riemanns Konzept der Geistesmassen?) Daraus folgt: Wenn der Mensch Gott denkt, so wird sein Wesen mit der Idee Gottes identisch.
Maimonides sieht das höchste Ziel des Menschen darin, seine Vernunft immer weiter zu vervollkommnen, weil er nur durch seinen Intellekt den Intellekt Gottes erkennen kann. Für ihn ist wahrer Glaube nur, wenn die philosophische Gewißheit mit dem Glauben verbunden ist, "daß das Gegenteil des Geglaubten in keiner Weise möglich ist, wenn im Denken kein Raum zur Widerlegung dieses Glaubens vorhanden ist..."
Mit diesem Konzept der Verbindung von Philosophie und Religion hatte Maimonides eine ungeheure Wirkung auf die Nachwelt. Der Führer der Unschlüssigen wurde zu einem Führer und Wegweiser auch für die christliche Theologie. Albertus Magnus und Thomas von Aquin sahen in diesem Werk ein Modell und eine Herausforderung, die christliche Theologie ebenfalls in Auseinandersetzung mit der Philosophie zu versöhnen. Aber auch auf das Denken von Nikolaus von Kues, Leibniz, Moses Mendelssohn und Lessing hatte er großen Einfluß. Er steht mit ihnen in einer Reihe im Kampf gegen Dogmatismus, Fanatismus und Fundamentalismus. Sie alle eint das Streben nach Vervollkommnung, die kompromißlose Suche nach der Wahrheit.
Literatur
Moses Maimonides. Arzt, Philosoph und Oberhaupt der Juden (1135-1204) Katalog zur Ausstellung in der Börnegalerie im Museum Judengasse (Ausstellung noch bis zum 9. Januar 2005 geöffnet).
Abraham Heschel, Maimonides. Eine Biographie, Berlin 1935.
Maurice-Ruben Hayoun, Maimonides, München 1999.
Nahum Norbert Glatzer, Rabbi Mosche ben Maimon. Ein systematischer Querschnitt durch sein Werk, Berlin 1935.
Mose Ben Maimon, Führer der Unschlüssigen, Übersetzung und Kommentar von Adolf Weiss, Hamburg 1972.
Heinz Knobloch, Herr Moses in Berlin, Berlin 1993.
Dr. Hans Jürgen van der Minde, "Das goldene Zeitalter in Spanien. Geschichte des nachbiblischen Judentums", aus: Christen heute, 2003.
Jehonatan Gründfeld, "Leben und Werk des Mosche ben Maimon", http://www.talmud.de/.
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