Juli 2003:
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Rettet das Mainzer Orchester!

Mainzer Staatstheater mit Infostand
Ortrun Cramer berichtet über ein Anliegen, dem sich viele unserer Mitglieder auf ausgeteilten Petitionslisten anschlossen.

Das Bild zeigt im Hintergrund das Mainzer Staatstheater mit dem Banner "Mainz braucht sein Orchester", im Vordergrund einen Infostand der BüSo.

Eigentlich wollte ich am vergangenen Wochenende nur kurz zum Mainzer Johannis-Büchermarkt, einer wunderbaren Fundgrube für preiswerte gebrauchte Bücher, als ich plötzlich gebeten wurde, eine Unterschrift für den Erhalt des Mainzer Orchesters zu leisten. "Ja selbstverständlich braucht Mainz sein Orchester, aber was ist denn los?" Ein Geiger aus dem Orchester berichtete von Gerüchten, die bereits in der Presse verbreitet wurden: Das Philharmonische Orchester des Staatstheaters Mainz soll geschlossen und möglicherweise mit anderen fusioniert werden.

Rückfragen beim zuständigen Mainzer Kultusminister brachten nur insofern Klarheit, als man dort diese Gerüchte nicht dementieren wollte und statt dessen zu einer Pressekonferenz am 23. Juni ins Ministerium lud. Es mußte also wahr sein, deshalb die schnell organisierte Unterschriftensammlung.

Es hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Orchesterschließungen und -fusionen gegeben; eines der bekanntesten Beispiele war die Thüringische Philharmonie Suhl, ein ganz hervorragendes Orchester, das trotz internationaler Protestwellen und trotz eines Hungerstreiks der Musiker aufgelöst wurde. Daß aber das Orchester einer Landeshauptstadt geschlossen wird, das neben dem Dienst in Oper und Ballett auch sinfonische Konzerte bestreitet, und zwar in ausgezeichneter Qualität, ist dann doch etwas Neues. "Das hätte ich mir nie träumen lassen, ich habe mich meiner Stelle vollkommen sicher gefühlt", bekräftigte der Geiger auf dem Johannismarkt.

Eine weitere Besonderheit des Mainzer Orchesters soll nicht unerwähnt bleiben: Es steht seit der Spielzeit 2000/2001 unter der Leitung der Dirigentin Catherine Rückwardt. Sie ist die einzige Frau im Amt eines Generalmusikdirektors in Deutschland und eine ganz ausgezeichnete Dirigentin mit großer Ausstrahlung.

Die Mainzer Bürger und auswärtigen Besucher konnten am Sonntagabend, dem 22. Juni, einen Eindruck davon bekommen, wie gut ihr Orchester spielt: Im Rahmen des Johannisfestes präsentierten die Musiker auf einer schwankenden Plattform im Rhein ein buntes Programm vor einem großen, buntgemischten Publikum. Freunde, Angehörige und Mitglieder anderer Orchester, die aus Solidarität mit den Mainzern gekommen waren, sammelten Unterschriften unter den Zuhörern, die alle große Freude an dem ungewöhnlichen Konzert hatten.

Ein großer Sprung nach vorn?

Am Montagmittag gab dann Kultusminister Prof. Dr. E. Jürgen Zöllner, SPD, im Ministerium die Pläne bekannt. Pressevertreter und Mitarbeiter des Ministeriums mußten sich allerdings erst einmal am Orchester vorbeiquetschen, denn die Musiker waren in voller Mannstärke angerückt und spielten unter der Leitung von Catherine Rückwardt Wagners "Meistersingervorspiel" und anderes.

Doch nun zu Professor Zöllner: Flankiert von einigen Experten, die als Gutachter gehört worden waren, bevor nun das "Reformkonzept" vorgestellt wurde, präsentierte der Minister seinen Plan, der natürlich aus der wirtschaftlichen Not geboren war. Ab 2006 müssen nämlich im Jahresetat des Ministeriums rund 2 Millionen Euro eingespart werden. Einschränkungen an der Basis, d.h. bei lokalen Musik- und Gesangsvereinen, soll es nicht geben - so weit, so begrüßenswert. Aber dann: "Kulturpolitik darf sich nicht darauf beschränken, den Status quo zu bewahren, sondern muß sich weiterentwickeln. Weiterentwickeln heißt dabei unmißverständlich: ständige Verbesserung des kulturellen Angebots." Und diese "Weiterentwicklung" soll für die Orchesterlandschaft in Rheinland-Pfalz so aussehen, daß die Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz aus Ludwigshafen und das Philharmonische Orchester des Staatstheaters Mainz ab 2005 zu einer "Neuen Staatsphilharmonie" verschmolzen werden. Das neu entstehende Orchester soll dann 130-140 Mitglieder haben und damit zu den sechs größten Orchestern in der Bundesrepublik zählen. Außerdem soll es dann höhergestuft werden, zu einem A-Orchester mit Fußnote 1, der höchsten Qualitätsstufe. Zöllner entwirft Visionen von namhaften Dirigenten, die dieses Orchester dirigieren werden, von großen internationalen Verpflichtungen, die auch den Ruhm des Landes Rheinland-Pfalz in die Welt hinaustragen.

Aber halt: Diese Verschmelzung bedeutet zunächst einmal die Streichung von etwa 40 Stellen in den bestehenden Orchestern; außerdem soll es zukünftig nur noch einen Intendanten und eine künstlerische Leitung geben. (Gleichzeitig sieht der Reformplan vor, daß beim Staatsorchester Rheinische Philharmonie in Koblenz auch 20 Stellen gestrichen werden.) Für die betroffenen Musiker sollen Alternativen geschaffen werden, etwa als Instrumentallehrer an Musikschulen oder als Musiklehrer an allgemeinbildenden Schulen, "und einige wollen ja vielleicht auch gar nicht mehr weitermachen".

Neben dem Verlust der Arbeitsplätze für engagierte Orchestermusiker wird aber auch das Publikum seinen Preis zu zahlen haben, denn ganz offensichtlich kann ein Orchester nicht so viele Konzerte spielen wie zwei.

Es ging hoch her bei der Pressekonferenz. Zwar beteuerte Minister Zöllner immer wieder, es handele sich bei dem Reformkonzept lediglich um Vorschläge, die man rechtzeitig unterbreiten wolle, bevor man vielleicht schon bald unter dem Druck der wirtschaftlichen Verhältnisse zu drastischen und überstürzten Einsparungen gezwungen werde. Viele Beiträge bezogen sich auf die Finanzierung. Doch viele Frager, darunter nicht nur Journalisten, sondern auch betroffene Musiker und Mitarbeiter der Intendanz, äußerten berechtigte Zweifel, daß hier beschlossene Tatsachen präsentiert wurden. Denn wenn es wirklich um eine Diskussion ginge, wie der Minister sagte, warum seien dann die Verantwortlichen "vor Ort" nicht gefragt worden, sondern Gutachter aus Essen oder Darmstadt?

Ein Mitglied des Orchesters warf die Frage auf, daß es doch keineswegs garantiert sei, daß aus der Verschmelzung von zwei Orchestern automatisch ein Orchester der Spitzenklasse werde. Die Erfahrung lehre genau das Gegenteil.

Das entscheidende Dilemma ist aber, daß mit solchen "Reformen" in eine gewachsene Struktur eingegriffen wird, zu der das ganze System gehört: die professionellen Orchester in den Städten, die Opernhäuser, die Kirchenmusik, aber auch die vielen Laienensembles und auch die Chöre und Gesangsvereine - und selbstverständlich die Musikschulen und -hochschulen. Ohne diese "Pyramide", an deren Spitze dann Orchester wie die Berliner Philharmoniker oder das Gewandhausorchester stehen, ist eine lebendige Musikkultur nicht denkbar. Wer macht die Werke der klassischen Musik vor Ort lebendig, und zwar regelmäßig, vor einer Stammzuhörerschaft? Wer gibt jungen Schülern den Anreiz zu üben, um es den Künstlern gleichzutun, zumindest aber ein gutes Verständnis "von innen her" für die Musik zu entwickeln?

Ein großes Orchester, auch ein sehr gutes, das aber nur viel seltener zu hören ist (denn die Auslandsreisen nehmen ja auch noch zusätzlich viel Zeit in Anspruch), kann diese Aufgabe nicht erfüllen. Man muß nicht bis nach Amerika gehen, um zu verstehen, daß von einem Superorchester noch keine gewachsene Musikkultur ausgehen kann - wenn das Gros der Zuhörer erst mindestens 500 km fahren muß, um es einmal zu hören. Auch die zahlreichen Musikfestivals, Kultursommer und anderen "Events", die wir hier kennen, bieten keinen Ersatz.

Ein Sinfonieorchester ist kein erbauliches Belustigungsinstrument für eine verschwindend kleine und schrumpfende Minderheit; es ist ein notwendiger Bestandteil des kulturellen Lebens einer Stadt. Und deshalb sollte der Mainzer Kultusminister besser einmal die BüSo-Vorschläge für eine grundlegende Kehrtwende in der Wirtschaftspolitik studieren. Denn wirtschaftliches Wohlergehen und ein blühendes Erziehungs- und Kultursystem gehören nun einmal untrennbar zusammen!


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