August 2002:
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Die Sackgasse des Marxismus

Warum die Wissenschaft der Technologie dem Marxschen "Kapitalbegriff" überlegen ist

Bei der Sommerakademie des Schiller-Instituts im August 2002 setzte sich Jacques Cheminade, der Vorsitzende der französischen Partei Solidarité et Progres, der Schwesterpartei der BüSo mit dem "Mythos Marx" auseinander. Wir veröffentlichen eine leicht gekürzte Fassung seiner Rede.

Diskussionen am Rande der Sommer-Akademie in Oberwesel
Im Bild: Diskussionen am Rande der Sommer-Akademie in Oberwesel.

Warum beschäftigen wir uns am Ende unserer Sommerakademie mit einem scheinbar erledigten Thema? Die Antwort liegt in der politischen Herausforderung, der wir gegenüberstehen.

Zunächst einmal müssen wir uns in der gegenwärtigen revolutionären Situation von unseren eigenen Verblendungen befreien. Das betrifft auch die Frage des Zusammenbruchs des sowjetischen Machtbereichs 1989-1990. Obwohl dieser Prozeß in erster Linie auf die dem marxistischen System zugrunde liegenden axiomatischen Fehlannahmen zurückzuführen ist, verfallen auch wohlmeinende Leute in Osteuropa und der Dritten Welt manchmal in eine gewisse Art von Nostalgie. Sie versuchen sich vorzumachen, das ursprüngliche Werk von Marx, gereinigt von den Verirrungen im sowjetischen Rußland, und angewandt auf die heutige verheerende Wirtschaftssituation, könne helfen, eine Lösung zu finden...

Auch außerhalb der Schule bekennender Marxisten finden wir eine Art pseudomarxistischer Weltanschauung - bei früheren Marxisten oder solchen Menschen, die dem Marxismus bewußt oder unbewußt ausgesetzt waren. Ein besonders hervorstechender Aspekt dieser ideologischen Verirrung ist die rein negative Revolte gegen den "Kapitalismus", der gleichgesetzt wird mit Globalisierung, Industrie, Wissenschaft und Technologie: ein infantiles Ausrasten gegen alles, was groß erscheint. Ironischerweise taucht genau der Nihilismus, den die frühen Marxisten bekämpften, in dieser Form als Alterssenilität wieder auf.

Ein anderer Aspekt dieser Verirrung betrifft eine absolute Unterordnung unter das westliche System, von dem man glaubt, es habe Sowjetrußland besiegt und sei deswegen von den "objektiven Gesetzen der Geschichte" gesegnet. Und so finden wir nicht wenige frühere Parteifunktionäre, die sich in liberale Räuberbarone verwandelt haben. In beiden Fällen ist der akademische Lack ab, und der proletarische Kaiser steht ohne Kleider da.

Drittens, und das ist das Entscheidende, müssen wir uns mit dem fehlerhaften Menschenbild, das dem marxistischen Dogma zugrunde liegt, auseinandersetzen: der zweigeteilte Mensch, der subjektiv aus Bedürfnissen und Trieben besteht, aber objektiv durch die Anforderungen des sozialen Lebens und der Arbeit zum Klassenbewußtsein emporgehoben wird. Ein solcher Mensch wird nicht vom Standpunkt seines Geistes oder seiner Erkenntnisprozesse her definiert, sondern ist eine höhere Form eines gezähmten, aufgeklärten Tieres. Er ist eines selbstbewußten Wissens über die ihm innewohnenden schöpferischen Fähigkeiten beraubt und somit nicht in der Lage, wirklich revolutionäre Veränderungen in Kunst, Wissenschaft und im politischen Bereich hervorzubringen.

Lyndon LaRouche, dem es um ein höheres Konzept von Mensch und Natur geht, hat seinen eigenen Geist daran geschärft, dieses marxistische Desaster zu überwinden. Folgen wir seinem kompromißlosen Gedankengang, durch den er den Marxismus überwand und zu einer höheren Hypothese gelangte: die erweiterte Weltsicht der platonischen und Riemannschen Konzeption einer republikanischen physischen Wirtschaft.

Dieses Konzept ist nicht einfach ein Anhängsel oder eine verbesserte Form des Marxismus, sondern wurde im Gegenteil entwickelt, um das menschliche Denken - unser Denken - von seinen Ketten zu befreien.

Folgt man LaRouches Gedankengang, löst man sich gleich zweimal vom Marxismus, ob es einem nun gefällt oder nicht: sowohl was die Argumentation selbst betrifft, als auch durch die Methode, die sich auf die Erkenntnisprozesse im anderen Menschen konzentriert. Schon das lehnen wahre Marxisten grundsätzlich ab, weil es nur in den Bereich des "Überbaus" gehöre. Aber, und das muß grundsätzlich betont werden, diese Herangehensweise ist die einzig gerechtfertigte, denn sie geht von der Zielsetzung aus, etwas zu verbessern, und steht damit im völligen Gegensatz zu den vielen verschiedenen, vor sich hin brabbelnden Varianten des konterrevolutionären Zoos.

Eine Anekdote sagt oft mehr als eine lange Ausarbeitung. Eines Tages traf sich Lenin mit den anderen Mitgliedern der sowjetischen Führung. Einer von ihnen legte Beethovens Neunte Symphonie auf. Lenin sah ihn an und sagte: "Stell das sofort ab." Sein Freund stellte den Plattenspieler ab und fragte: "Kannst du uns sagen, warum du diese Musik nicht magst?" Lenins Antwort: "Ich mag die Musik sehr. Sie gehört zu den besten Errungenschaften der menschlichen Kunst. Aber genau deshalb ist sie so gefährlich für uns. Solches Empfindungsvermögen wird zwangsläufig unsere revolutionäre Kraft schwächen und uns zu Kompromissen bei der Erfüllung unserer Aufgaben verleiten." Im Gegensatz dazu der veranstaltete der amerikanische Staatsmann Abraham Lincoln Leseabende von Shakespeare-Dramen, um seine besten Mitarbeiter im Kriegskabinett zu inspirieren. Das verschafft uns einen ersten Einblick in das Problem.

Übereinstimmungen und Unterschiede

1847 verfaßte Marx das Kommunistische Manifest. Schon sechs Jahre zuvor hatte der deutsche Ökonom Friedrich List sein Nationales System der Politischen Ökonomie veröffentlicht, und sieben Jahre vorher waren die Prinzipien der politischen Ökonomie von Abraham Lincolns engem Mitarbeiter, dem amerikanischen Ökonomen Henry Carey erschienen. 1867 kam Band III des Kapitals" heraus. 1851 hatte Henry Carey die Schrift Harmonie der Interessen veröffentlicht, der drei Jahre später Über den ausländischen und einheimischen Sklavenhandel folgte. Dieses Werk ließ Carey, so berichtete Marx selbst, ihm zukommen. Wie geht Marx mit diesen herausragenden Schriften der physischen Ökonomie des 19. Jahrhunderts um? Anstatt sie zu zitieren, schreibt er überraschenderweise meistens ab oder entstellt den Sinn. Warum? Das ist eine gute Frage für den Anfang unserer Untersuchung.

Marx stimmte mit der radikalen Linken seiner Zeit darin überein, daß in der Art der "Appropriation" (Aneignung) der kapitalistischen Manufakturen die Ursache für die politischen Übel der Menschheit liege. Andererseits lehnt er die malthusianische Auffassung strikt ab. Die Entwicklung des Kapitalismus sieht er als historisch positiv. Trotz seiner Widersprüche und Ungerechtigkeiten sei er ein notwendiger Schritt in der Entwicklung der menschlichen Gattung gewesen.

Die Leiden und Widersprüche des kapitalistischen Systems können nach Marx in der Zukunft durch eine radikale Revolution beseitigt werden, bei der das Eigentum der Kapitalisten abgeschafft wird, so wie es in der französischen und amerikanischen Revolution mit den Adelstiteln geschah. Dann könne der Prozeß der technologischen Entwicklung ausgeweitet und fortgeführt werden.

Kritik des HistoMat

Aber hier ist Vorsicht geboten. Genau das, was Marx unter Fortschritt versteht und was die Grundlage für seine Ablehnung des Malthusianismus bildet, ist fragwürdig. Für ihn muß die vergangene, gegenwärtige und zukünftige Zivilisation vier aufeinander folgende gesellschaftliche Entwicklungsstadien durchlaufen; jedes Stadium ist gleichermaßen notwendig und unvermeidlich: römische Sklaverei, Feudalismus, Kapitalismus und Kommunismus.

Jede dieser Gesellschaftsformen ist notwendigerweise kontrolliert durch eine herrschende Klasse, welche die Beherrschten ausbeutet. Sie verbessert die allgemeinen Lebensbedingungen, solange sie den sozialen Mehrwert, den sie von den Beherrschten erpreßt hat, produktiv reinvestiert....

Wenn eine bestimmte Gesellschaftsform nicht mehr zur Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen der Menschheit beiträgt, stemmen sich Marx zufolge die herrschenden Klassen gegen die Veränderung der Gesellschaft und versuchen, die Kontrolle über den sozialen Mehrwert zu behalten. Somit entsteht ein Widerspruch zwischen Gesellschaftsform und menschlicher Entwicklung.

Wenn die unterdrückte Klasse sich in ihrer Auflehnung ihrer historischen Rolle bewußt ist und sich mit dem Gemeinwohl aller identifiziert, entsteht damit eine andere, gerechtere und effizientere Gesellschaftsform. Dann wird aus dem Aufstand eine Revolution, die wiederum ein neues Klassensystem hervorbringt, bis wieder eine Revolution notwendig wird, um die Entwicklung der Produktivkräfte voranzubringen...

Geschichte entsteht Marx zufolge aus den Widersprüchen zwischen dem Wachstum der Produktivkräfte, der Art der sozialen Besitzverhältnisse und ihrer Überwindung durch Revolutionen. Aber die entscheidende Frage ist, wie kann man das Wachstum der Produktivkräfte messen? Sein Hauptwerk Das Kapital steckt in dieser entscheidenden Frage voller Widersprüche.

Marxistische Moral

Vor der weiteren Untersuchung muß noch ein anderer wichtiger Punkt beachtet werden. Marx trennt seine historische Analyse von der Frage der Moral. Für ihn ist die Sklaverei - trotz des Buches, das er von Carey erhielt - ein notwendiger Schritt... Dank der "Akkumulation des Kapitals" durch Sklaverei und Leibeigenschaft sei der Kapitalismus in der Lage gewesen, groß zu werden. Für Marx ist es der Sklavenhandel, der die Grundlagen für die Größe Liverpools legte, wie er im ersten Buch Kapitals schreibt. Die britische Handelsüberlegenheit "nährt die Handelsüberlegenheit die Überlegenheit der Industrie. Daher kommt auch die führende Rolle des Kolonialreiches."

In der zusammen mit Engels verfaßten Schrift Die Heilige Familie lobt Marx den niederträchtigen Bernard de Mandeville (1670-1733) als "mutigen Schriftsteller und scharfen Denker". Wer ist Mandeville? Der Vorgänger des heutigen Raubtierliberalismus, des Dogmas, in dessen Namen die Staaten Osteuropas und Rußlands von der anglo-amerikanischen Oligarchie ausgeplündert worden sind!

In seiner Bienenfabel sagt eben dieser Mandeville, daß "private Laster" das "Gemeinwohl" befördern, oder anders ausgedrückt, daß die akkumulierte Gier der liberalen Bankiers die Gesamtentwicklung der Gesellschaft voranbringe. Lesern von Milton Friedman, Friedrich von Hayek, German Gref oder Jeffrey Sachs kommt diese Sprache sicherlich vertraut vor. Hören wir, was Marx dazu sagt:

Damit stehen wir, vom menschlichen Standpunkt betrachtet, einem fürchterlichen Kulturpessimismus und Zynismus gegenüber. Marx behauptet also, daß bösartige Menschen die rechtmäßigen und notwendigen Hebammen der Geschichte seien. Wenn man sich das einmal durch den Kopf gehen läßt, beginnt man zu verstehen, warum sich die russische Bevölkerung und die Eliten nicht entschiedener gegen die Ausplünderung durch die anglo-amerikanische Oligarchie wehrten. Der Apfel war sozusagen schon wurmstichig.

Der tendenzielle Fall der Profitrate

Was Marx da behauptet, ist überdies vom wirtschaftlichen Standpunkt betrachtet, ein völlig absurdes Geschwätz. Die Stufe der Sklaverei oder der Leibeigenschaft führt niemals zu einer höheren Entwicklungsstufe der Produktivkräfte. Sklaverei und Leibeigenschaft basieren beide auf der geistigen Zerstörung der menschlichen Gattung. Sie sind und waren immer ein Faktor des absoluten Rückschritts und führen nie zu einer höheren Produktionsstufe, weil etwa Kapital angesammelt und dann in Maschinen investiert würde. Warum sollte man in Maschinen investieren und damit menschliche Muskelkraft ersetzen, wenn es doch genügend Sklaven oder Leibeigene gibt, die die Arbeit verrichten?

Die Geschichte der Latifundien um Rom zeigt überdies, daß sich Staaten durch diese Methoden zugrunde richten. Die Bewirtschaftung der Äcker durch Sklaven und Hörige war völlig unzureichend und ineffizient. Als die Stadt nicht mehr in der Lage war, dies durch immer größere Ausplünderung im Römischen Reich zu kompensieren, brach das Produktionssystem des antiken Rom zusammen.

Damit haben wir unseren Finger auf den wichtigsten axiomatischen Fehler gelegt. Im folgenden werden wir untersuchen, wie dieser die ganze marxistische Analyse der "revolutionären Krise" infiziert hat. Das betrifft die Frage der "organischen Zusammensetzung des Kapitals" und den "tendenziellen Fall der Profitrate" in der Entwicklung der kapitalistischen Produktivkräfte.

Diagramm über Kapital und Arbeitskraft Marx erklärt im I. Buch des Kapitals: "Wo von der Zusammensetzung des Kapitals kurzweg die Rede ist, ist stets seine organische Zusammensetzung zu verstehen." Das Gesamtkapital als Wert ausgedrückt, sei die Summe des konstanten Kapitals C (Wert der Produktionsmittel, Maschinen, Ausrüstung, etc.) und des variablen Kapitals V (der Gesamtwert der Arbeit). Die organische Zusammensetzung des Kapitals wird ausgedrückt durch das Verhältnis C/V.

Für den Kapitalisten ist die Quelle des Reichtums die Ausbeutung der Arbeitskraft. Ein Teil von V geht an den Arbeiter, der dies braucht, um sein Produktivpotential wiederherzustellen (Nahrung, Wohnung, Gesundheitspflege, etc.). Der Rest, die Mehrarbeit oder der Mehrwert, bildet den Profit, den sich der Kapitalist auf Kosten des Arbeiters aneignet. Der Wert der kapitalistischen Ausbeutung wird S genannt (Mehrwert) und die Rate des Mehrwerts ist das Verhältnis S/V. Die Profitrate des Kapitalisten wird durch die Beziehung S/C+V dargestellt.

Wenn sich nun, so Marx, die Produktivkräfte z.B. durch Mechanisierung weiter entwickeln, steigt der Anteil von C im Gesamtkapital im Vergleich zu V. Die organische Zusammensetzung des Kapitals, ausgedrückt in C/V, wächst demnach. Aber das schafft ein erhebliches Problem für den kapitalistischen Eigner: denn nun sinkt V relativ betrachtet, und damit auch seine relative Profitrate, die sich ja nur aus V ergibt.

Marx behauptet nun, die Mechanisierung führe notwendigerweise dazu, daß der Profit des Kapitalisten verringert werde - das eherne Gesetz des "tendenziellen Falls der Profitrate"! Der Kapitalist versuche, dem entgegenzuwirken, indem er die Arbeitsbedingungen verschärft (längere Arbeitszeit), die Löhne unter das Niveau der notwendigen sozialen Reproduktion absenkt und die Anzahl der Industriearbeitsplätze verringert.

Zudem führe der Fall der Profitrate zu einer Konzentration des Kapitals in einigen wenigen Händen - also zu Monopolen, die die Arbeitskraft noch mehr ausbeuten, um ihre Geschäfte aufrechterhalten zu können. Das wiederum verringere die Kaufkraft der Arbeitskräfte und ruiniere genau den Markt, den der Kapitalismus zunächst eröffnet hatte.

Dies schaffe die Bedingungen für eine soziale Krise. Und wenn das Proletariat ein Bewußtsein über seinen Zustand als ausgebeutete Klasse erlange und sich selbst organisiere, um die Macht zu ergreifen, seien die Bedingungen reif, unter denen eine solche soziale Krise in eine Revolution verwandelt werden kann.

Im Käfig des feudalen Kapitalismus

Marx sagt also einen Zusammenbruch des "kapitalistischen Systems" voraus. Tun wir, die Freunde und Mitarbeiter von Lyndon LaRouche, das denn nicht auch? Sagen wir nicht auch eine unvermeidliche Krise voraus, und vollzieht sich diese nicht gerade jetzt, direkt vor unseren Augen? Ist Marx nicht einfach auf einem anderen Weg zu einer ähnlichen Schlußfolgerung gekommen wie wir?

So zu denken, wäre ein Selbstbetrug. Das Problem liegt in den falschen Grundannahmen des Marxschen Denkens. Marx ist zweifellos fasziniert vom technologischen Fortschritt. Er glaubt auch richtigerweise, daß ein solcher Fortschritt für die Menschheit notwendig ist. Er lehnt das, was heute malthusianische Ökologen und Grüne vertreten, völlig ab. Er weist auch verschiedentlich darauf hin, daß die physische Ökonomie getrennt von den finanziellen und monetären Aspekten studiert werden kann.

Aber, und das ist der entscheidende Punkt, er bleibt in den Fesseln seiner Ideologie, für die er sich einmal entschieden hatte. Seine Verankerung im britischen Wirtschaftsdenken, die vor allem durch seinen Mentor und Kontrolleur Friedrich Engels zustande kam, hindert ihn daran, seine Einsichten auch zur Geltung zu bringen. Er betrachtet den Prozeß von Geldemission, Kredit, Renten, Bankwesen und Wucher als integralen Bestandteil des britischen Systems und als wesensgleich mit der physischen Ökonomie - anstatt als Parasit.

Er sieht die Wirklichkeit durch die Brille des britischen Systems, als sei dies die einzig mögliche Weise, das Finanzwesen in einer kapitalistischen Ökonomie zu organisieren. Für ihn gibt es keine andere Erscheinungsform des Kapitalismus als im Verein mit der britischen Finanzoligarchie. Henry Carey und der französische Ökonom Laboulaye hingegen hatten das britische System als "feudale Form des Kapitalismus" charakterisiert.

Marx nahm das britische Handelsfinanzsystem von Adam Smith und David Ricardo, das System der Ostindien-Gesellschaft, als gegeben hin. Sicherlich analysiert er dies manchmal sehr kompetent und kritisiert auch dessen Funktionsweise, aber er umkreist das System, ohne die ihm zugrundeliegenden Kategorien zu widerlegen. Marx ist daher in gewisser Weise ein guter Finanzanalytiker, aber er erreicht nie den Rang eines Wissenschaftlers der physischen Ökonomie in dem Sinn, wie Gottfried Wilhelm Leibniz Wirtschaftswissenschaft definierte. Und deshalb ist sein Postulat der unausweichlich fallenden Tendenz der Profitrate bei steigender Entwicklung der Produktivkräfte schlichtweg falsch.

Marx denkt in den geistigen Kategorien eines britischen Finanzmanns. Er zieht nicht in Betracht, und kann dies aufgrund seiner Scheuklappen auch gar nicht, daß die technologische Zusammensetzung des Kapitals die Quelle wahren Profits darstellt.

Historisch betrachtet haben seit Marx gerade die Perioden, in denen C durch steigende Mechanisierung wuchs, keineswegs soziale Krisen hervorgebracht, sondern ganz im Gegenteil - wie die Zeit Roosevelts in den Vereinigten Staaten oder das gaullistische Frankreich der 60er Jahre - Zeiten relativen Wohlstands und sozialen Friedens, des Friedens durch Entwicklung!

Die Profitrate der Industriellen ging nicht zurück, sondern sie wuchs, weil die Profite durch C (bzw. durch die besondere Zusammensetzung von C) erzeugt wurden. Wie Leibniz 1671 in seiner Schrift Sozietät und Wirtschaft schrieb, ist es das Wachstum der technologischen Fähigkeit, dank der Beherrschung eines physikalischen Naturprinzips in Form verbesserter Maschinen (nichts anderes ist C) mit weniger Arbeitskraft mehr zu produzieren, was Profit erzeugt. Soziale Krisen hingegen entstanden genau dann, wenn die Finanztitel und Immobilienwerte, verglichen mit der Entwicklung der Produktivkräfte, massiv inflationiert wurden - ein Prozeß, den wir seit Anfang der 70er Jahre beobachten. Marx' Analyse beruht also nicht nur auf falschen Grundannahmen, sie ist auch politisch irreführend in bezug auf die heutige Weltkrise.

LaRouches Ansatz

Schauen wir uns statt dessen LaRouches "Kollapsfunktion" an. Im Unterschied zum marxistischen Schema ist diese sehr viel besser geeignet, das Problem zu verdeutlichen. Das Problem der fallenden Profitrate liegt nicht im Anstieg von C, wie Marx behauptet, sondern in der physischen Abnahme von C wegen der Ausplünderung durch den Finanzsektor - z.B. durch den Sog spekulativer Blasen. Es kommt zu einer Veränderung in der organischen Zusammensetzung des Kapitals, aber nicht im Marxschen Sinne, sondern als Ausdruck der technologischen Erschöpfung. C und auch V nehmen relativ ab, und statt dessen wächst eine Kategorie, die Marx nicht beachtet hat, massiv an: "d" - die Ausgaben für den nichtproduktiven Sektor. Dieses d, wie LaRouche es nennt, umfaßt zu einem großen Teil Finanz- und Grundrenten in Form nicht notwendiger Handels- und Finanzdienstleistungen, wie die Ausgabe von Finanzpapieren ohne physischen Gegenwert.

Diese parasitären Ansprüche befriedigen nur ihre Besitzer und schaden der technologischen Zusammensetzung des Kapitals, also dem, was an Maschinen und Ausrüstung in C enthalten ist, sowie der produktiven Arbeitskraft (V), die mit dem Zuwachs von C in engem Zusammenhang steht. Der Widerspruch besteht nicht zwischen C und V, sondern zwischen den ausbeuterischen oligarchischen Finanzrentiers, die sich von den Finanz- und Immobilienblasen nähren, auf der einen, und der Produktivkraft, also der produktiven Arbeitskraft und ihren Technologien, auf der anderen Seite. Genau das konnte Marx von seinem voreingenommenen Standpunkt aus nicht verstehen. Dasselbe Schicksal ereilt den Leser seiner Schriften, wenn er ihm blindlings folgt.

Ende der 60er Jahre hatte sich LaRouche umfassend mit dem Kapital beschäftigt. Besonderes Interesse richtete er auf Kapitel XXV des 3. Buches über "Kredit und fiktives Kapital". Dort beschreibt Marx, wie Finanzkapital einzig und allein durch die Macht, solches Papier in Umlauf zu bringen, geschaffen wird, also durch soziale Herrschaft, und ohne Verbindung zu einem realen physischen Wert. Er analysiert die Krise der britischen Eisenbahnen von 1847 in meisterlicher Art als Implosion einer Finanzblase, die als Wette auf die Entwicklung dieser Eisenbahnen entstanden war und keinerlei Nutzen für die reale Wirtschaft aufwies und schließlich sogar zu deren Lasten ging. Aber bevor er dazu kommt, beginnt er dieses Kapitel mit dem Satz: "Die eingehende Analyse des Kreditwesens und der Instrumente, die es sich schafft (Kreditgeld usw.) liegt außerhalb unseres Planes." Eine vielsagende Selbstbeschränkung...

LaRouche erkannte gleich, daß hier ein entscheidender Punkt angesprochen wurde. Seine Kenntnis der Arbeiten Rosa Luxemburgs, der brillantesten aller Marxisten, über die Akkumulation von fiktivem Kapital brachte ihn dazu, diesen Prozeß für das 20. Jahrhundert experimentell nachzuweisen. Zusammen mit Nancy Spannaus untersuchte er die Machenschaften der Miethaie in den Slums von New York. Deren Wuchergewinne hatten weder etwas mit einem fairen Profit zu tun, noch standen sie in einem Zusammenhang mit physischem Kapital, wie z.B. den Kosten für den Erhalt der Gebäude. Ihre Gewinne beruhten nur auf ihrer Macht, fiktives Kapital auf Kosten der physischen Grundlage zu erzeugen. Und ihre Profitrate pro Quadratmeter lag höher als das der Hausverwaltungen in den teuren Wohngegenden.

Dieser immer intensivere Plünderungsprozeß, vor allem durch Finanzoperationen und im Immobiliengeschäft, so folgerte LaRouche, führe zu Krisen wie 1929 oder dem Kollaps der Lombard-Banken im Italien des 14. Jahrhunderts. Unregulierte Märkte wie diese bringen spekulative Blasen hervor und geben den "Geldhändlern", wie Roosevelt sie nannte, freie Hand zur Plünderung des physischen Kapitals und der Arbeitskraft. Ende der 60er Jahre prognostizierte LaRouche, daß der damals einsetzende Prozeß der Finanzderegulierung, sofern er nicht gestoppt würde, zu einem "großen Knall" führen werde - einem allgemeinen Finanzkollaps gegen Ende des Jahrhunderts. LaRouches "Kollapsfunktion" veranschaulicht, wie sich dieser Prozeß seither entwickelt hat. Wir befinden uns nun mittendrin und stehen nun an einem Punkt, der dem Weimarer Kollaps im Juni-Oktober 1923 vergleichbar ist. Marx hätte das nicht voraussagen können.

Indem LaRouche die Wirtschaftsschule der physischen Ökonomie vom Standpunkt Platons und Leibnizens wiederbelebte, hat er die Wirtschaftswissenschaft von der britischen Ideologie befreit, von den Smiths, den Ricardos und wie sie alle heißen. Marx hingegen blieb innerhalb der Mauern ihres geistigen Gefängnisses und diente damit, bewußt oder unbewußt, ihren Interessen.

Physische Ökonomie

Zwar greift LaRouche in seinem pädagogischen Erläuterungen auf die Kategorien von Marx zurück, aber er definiert sie als physische Einheiten. So bezeichnet er den physischen Mehrwert S als die Differenz zwischen dem (in jedem Produktionszyklus geschaffenen) gesamtem physischen Kapital einerseits und C+V. Dieses C+V entspricht dem jeweiligen wissenschaftlichen und technologischen Niveau der Produktionsmittel plus dem wissenschaftlichen und technologischem Entwicklungsstand der menschlichen Arbeitskraft, bzw. den zum Erhalt dieser Arbeitskraft auf einem gleichen oder höheren Niveau notwendigen physischen Aufwand.

Aus S wiederum muß auch d gespeist werden, die legitimen Gemeinkosten, die im Bereich der physischen Arbeit entstehen. Der relative Mehrwert S'=S-d mißt die physische Produktivität einer Gesellschaft. S' ist sozusagen die "freie Energie" einer Wirtschaft, und kann nur unter den beiden folgenden Voraussetzungen wachsen:

durch die Entdeckung neuer Naturgesetzmäßigkeiten, die in Form neuer und effizienterer Produktionstechnologien und Maschinen Eingang in den Produktionsprozeß finden und/oder durch die Erschließung neuer Energieformen durch entsprechende Entdeckungen und Erfindungen. Diese qualitativ neuen Naturgesetzmäßigkeiten müssen von der Gesellschaft verstanden und assimiliert werden. In der Regel geschieht dies, indem die Arbeitskräfte mit neuen Generationen von Werkzeugmaschinen vertraut werden und diese bedienen lernen.

Die Ausgabe von Geld und Kredit soll bei dieser realwirtschaftlichen Herangehensweise durch den Staat geregelt werden. Über eine Nationalbank sollte es in Infrastrukturprojekte, wissenschaftliche Unternehmungen und deren technologische Anwendungen fließen und somit der ganzen Wirtschaft zugute kommen. Dies könnte man im europäischen Sprachgebrauch auch als Ökonomie im Dienste der Öffentlichkeit bezeichnen, die im Prinzip des Gemeinwohls wurzelt.

Was Marx angeht, so versteht er sich aufgrund seiner axiomatischen Fehlannahmen trotz seiner Ablehnung malthusianischen Denkens nicht als aktiver Teil eines solchen sich selbst entwickelnden physikalischen Universums. Für ihn gilt das materialistische und mechanistische Weltbild des Isaac Newton, in dem Fortschritt durch soziale Revolutionen definiert wird.

Die damit einhergehende Quelle technologischen Fortschritts zieht Marx gar nicht in Betracht, ganz so, als wäre dies völlig von der sozialen Realität der Arbeit abgekoppelt und würde irgendwie von oben her dazugefügt. Im Marxschen Universum lebt der eine auf Kosten des anderen, weil er einen Teil der Energie des sozialen Systems verbraucht. Was hier zählt, ist nicht die Erzeugung freier Energie, wie bei der Herangehensweise LaRouches, sondern die Macht, zu herrschen. Marx läßt die Fähigkeit des Menschen beiseite, die Zukunft der eigenen Gattung, sowie der lebenden und der unbelebten Prozesse verantwortlich zu gestalten. Indem der Mensch Hypothesen entwirft, sie untermauert und anwendet, und damit die Gestaltungskraft pro Flächeneinheit und pro Kopf erhöht, kann die Welt potentiell immer mehr Menschen erhalten.

Vom Standpunkt der Wissenschaft und Wirtschaft aus betrachtet, hat nicht Karl Marx Großes in der Wissenschaft der physischen Ökonomie geleistet, sondern Wladimir Wernadskij. Abschließend kann man sagen, daß für Marx wissenschaftlich-technischer Fortschritt nicht die "treibende geistige Kraft" der Arbeit ist, sondern eher eine Art deus ex machina, der von außen eingreift, um die Uhr des Universums wieder aufzuziehen, eine Auffassung, die sich stark an Isaac Newton anlehnt.

Drei axiomatische Fehler des Marxismus

Wir müssen nun noch drei Punkte anführen, von denen der dritte bei weitem der wichtigste ist, denn er führt uns zurück zu unserem Ausgangspunkt - zu dem, was jenseits der Ökonomie liegt.

Erstens hat der grundlegende Fehler, von dem der Marxismus ausgeht, zu einer Kette von Fehlern und Schrecklichkeiten in der menschlichen Geschichte geführt. Schon allein deshalb muß das beendet werden. Aber, so mögen einige fragen, wie konnte es dann dazu kommen, daß einige Revolutionen marxistischer Prägung dennoch funktioniert haben?

Die Antwort liegt darin, daß diese erfolgreichen Revolutionen nicht in erster Linie marxistischer Natur waren. So hat Lenin die russische Revolution gewonnen, weil er trotz seiner erkenntnistheoretischen und menschlichen Schwächen über einen subjektiven Willen verfügte, der ihn die Begrenzungen des objektiven marxistischen Schemas überschreiten ließ. Nach marxistischer Analyse kam eine sozialistische Revolution im rückständigen Rußland eigentlich gar nicht in Frage.

Aber Lenin verstand dreierlei: erstens war in diesem rückständigen Land, und zwar in Petersburg, ein wirtschaftlich entwickelter Bereich vorhanden, aus dem einige Arbeiterführer kamen. Zweitens waren Kerenskij und die Menschewiki Handlanger britischer Interessen, die den verhaßten Krieg weiterführen wollten. Wenn er, Lenin, Friedensverhandlungen mit Deutschland versprach, so kalkulierte er, hätte er die vielen Armeedeserteure auf seiner Seite. Und drittens war er sich sicher, daß er unter der nichtmarxistischen Parole "Alles Land den Bauern" diese hinter sich vereinigen könnte.

Mao Tse-dong und Tschu En-lai gewannen die chinesische Revolution als eine antifeudale Bauernbewegung, und spielten die Widersprüche der imperialistischen Fraktionen untereinander aus. Castro gewann in Havanna, weil er von der New York Times unterstützt wurde und ihm die Korruption des damaligen kubanischen Machthabers Batista und des amerikanischen Mafia-Bosses Meyer Lansky zugute kam. All diese Vorgänge folgten also keineswegs der marxistischen Lehre, und deshalb greift der vorherige Einwand auch nicht.

Zweitens: Indem Marx versäumt, die schöpferische Kraft des menschlichen Denkens, die sich auch in technologischen Verbesserungen ausdrückt, als selbstbewußtes Prinzip des Universums anzuerkennen, weist er damit im selben Atemzug das zurück, was er als "Transzendenz" bezeichnet... Der Begriff "transzendent" besagt in diesem Zusammenhang, daß es unmöglich ist, das Erzeugungsprinzip eines bestimmten Systems innerhalb dieses Systems zu finden. Nur der menschliche Geist besitzt die Fähigkeit, durch die Entwicklung von Hypothesen ein Denksystem nicht nur in Frage zu stellen, sondern auch die grundlegenden die Axiome eines neuen zu entdecken.

Das ist ein absolut entscheidender Punkt, denn auf jeder technologischen Existenzstufe ist der Mensch abhängig von dem, was wir normalerweise als Rohstoffe aus Landwirtschaft und Bergbau bezeichnen. Da aber Menge, Qualität und Verfügbarkeit von natürlichen Ressourcen, die sich zur Herstellung von Rohstoffen eignen, von der Natur her relativ begrenzt ist, sieht sich jede Gesellschaft damit konfrontiert, daß ihre natürlichen Ressourcen zur Neige gehen, je länger man auf ein und derselben Ebene der Produktionstechnologie verharrt.

Dieses Problem der Erschöpfung der Ressourcen ist nur durch Fortschritte in der Technologie zu lösen, und daher ist dies der Weg jeder moralisch überlebensfähigen Zivilisation. Verbesserungen auf einer bestimmten technologischen Ebene erhöhen die Arbeitsproduktivkraft pro Kopf und steuern damit den Auswirkungen der Erschöpfung der Ressourcen entgegen. Technologische Revolutionen hingegen durchbrechen die vorhandenen "Grenzen des Wachstums" und befreien die Menschheit von den Begrenzungen, die einer niedrigeren technologischen Ebene innewohnten.

Unter der "relativen potentiellen Bevölkerungsdichte" einer Gesellschaft versteht man die Anzahl von Menschen, die auf einer gegebenen Fläche erhalten werden können. Ihr Wachstum, d.h. die Möglichkeit, immer mehr Menschen unter menschenwürdigen Umständen zu erhalten, wird durch die menschliche Geistestätigkeit ermöglicht.

Die schöpferischen Kräfte des individuellen Geistes führen zu wissenschaftlichen Entdeckungen neuer grundlegender physikalischer Prinzipien und setzen diese dann in verschiedene Technologien um.

Die Weiterexistenz der menschlichen Gattung hängt völlig von wissenschaftlich-technologischen Revolutionen dieser Art ab. Das Entscheidende bei der menschlichen Arbeitskraft ist nicht die Muskelarbeit des Menschen oder die für die Arbeit aufgewandte Zeit. Sogar die Beherrschung einzelner Fähigkeiten als solcher ist nicht ausschlaggebend. Der entscheidende Aspekt der Arbeit ist der Fortschritt der Qualität der Arbeit, ihr technologischer Fortschritt, erzeugt durch die einzigartige schöpferische Qualität des individuellen menschlichen Geistes.

Marx lehnt diesen Begriff von "Transzendenz" völlig ab. Er ordnet sich Ricardos Begriffswelt unter, und deshalb liegt er mit seiner Definition von "Arbeitswert" völlig falsch. Weil Marx sich weigert, die menschliche Fähigkeit zur Bildung neuer Hypothesen, die sich in der technologischen Zusammensetzung des Kapitals ausdrückt, ins Zentrum seines System zu rücken, kann er nur zu einem "umgekehrten Sozialdarwinismus" aufrufen. Er fordert die "Auswahl der geeignetsten Klasse", die sich aufgrund irgendeiner historischen Notwendigkeit für das angebliche Gemeinwohl einsetzen werde. Dieser Punkt verdient eine genauere Untersuchung. Wenn Marx "Transzendenz" ablehnt, geschieht dies auf Grundlage eines mangelhaften Menschenbildes.

Engels pries ihn bei seinem Begräbnis als einen der beiden großen Männer des 19. Jahrhunderts neben Charles Darwin. Das war zwar in gewisser Hinsicht unfair, aber bei genauerer Betrachtung gar nicht so falsch.

Ein falsches Menschenbild

Marx baut nicht nur auf den "wirtschaftswissenschaftlichen" Kategorien der britischen politischen Ökonomie des 21. Jahrhunderts von Smith, Bentham und Ricardo auf, sondern übernahm auch das unmenschliche Menschenbild dieser Schule. Sein grundlegender Fehler in der Wirtschaftswissenschaft liegt in seiner fundamentalen Fehleinschätzung der Natur des Menschen. Marx geht ausdrücklich, so wie Aristoteles in seiner Politik, von den "materiellen Interessen des Individuums" aus.

So preist Marx den Wissenschaftsempirismus eines Francis Bacon und die britischen und französischen Materialisten des 19. Jahrhunderts, und damit genau die Begründer der gegen Leibniz gerichteten "Aufklärung". In seiner Schrift Die Heilige Familie lobt er Bacon ausdrücklich: "Nach seiner Lehre sind die Sinne untrüglich und die Quelle alles Wissens. Die Wissenschaft ist Erfahrungswissenschaft und besteht darin, eine rationale Methode auf das sinnlich Gegebene anzuwenden." Und die französischen Materialisten haben laut Marx die wahren Leistungen dieser Strömung vollbracht: "Die Franzosen begaben den englischen Materialismus mit Esprit, mit Fleisch und Blut, mit Beredsamkeit. Sie verleihen ihm das noch fehlende Temperament und die Grazie. Sie zivilisieren ihn... Wie der kartesische Materialismus in die eigentliche Naturwissenschaft verläuft, so mündet die andre Richtung des französischen Materialismus direkt in den Sozialismus und Kommunismus."

Trotzdem steuert Marx sein eigenes Scherflein Sophismus bei. Er versucht, den mechanistischen Materialismus "dialektisch" durch die Einfügung Hegelscher Konzepte zu "überwinden". Betrachtet man seine Stufen der historischen Entwicklung - Sklaverei, Feudalismus, Kapitalismus, Kommunismus - erkennt man einen deutlichen Widerschein der linearen Hegelschen Dialektik. Hegel rechtfertigt die Gegenwart als wahr, und zwar mit dem Argument, daß sie chronologisch am nächsten liege! Der in Trier - der deutschen Stadt, in der die amerikanische Revolution als Symbol für den Fall des Feudalismus vielleicht am stärksten bewundert wurde - geborene Marx wurde 1836 an der Universität Berlin von Hegel und Karl Friedrich von Savigny an die Hand genommen, beides geschworene Feinde des französischen republikanischen Wissenschaftsgenies Lazare Carnot und der Amerikanischen Revolution. Marx hat hier den britisch-französischen Materialismus und das Hegelsche dialektische Geschichtsverständnis zusammengefügt.

Für ihn hat der Mensch eine subjektive Vorstellung seiner hedonistischen Interessen, aber objektiv ist er ein soziales Wesen. Als soziales Wesen ist er, Atomen vergleichbar, der Interaktion mit anderen ausgesetzt. Diese korrigieren seine subjektiven Vorstellungen und führen ihn näher an die objektive Realität heran. In diesem Prozeß der Sozialisation entdeckt er seine objektiven Klasseninteressen, und wenn er weiter die Leiter emporklettert, kann er die objektiven Interessen der Gesellschaft als Ganzer erkennen und sein Schicksal durch eine Revolution in die Hand nehmen - als eine Art Feuerbachscher "Vatermord". Der Mensch ist in diesem elaborierten Konstrukt, das so ausgeklügelt und steril ist wie das des Ptolemäus, nichts anderes als ein domestiziertes Tier einer höheren sozialen Qualität, eine Art britisch-französisches Tier, das sich durch sein Klassenbewußtsein als Mensch tarnt.

Indem er dies tut, stellt Marx sich in völligen Gegensatz zur deutschen Renaissance eines Lessing, Mendelssohn und Schiller. Um es noch einmal zu betonen: er fördert den britisch-französischen Materialismus, angeregt durch Savignys Positivismus, die Hegelsche Dialektik und Feuerbachs revolutionären Romantizismus. Für Marx sind Menschen nicht "Brüder", wie für Schiller und Beethoven, sondern "Partikel", die sich durch soziale Stellung und Machtbeziehungen untereinander definieren.

Der Betrüger Marx

Bei Marx findet die Kritik, die List und Carey gegen das britische System erhoben, keine Erwähnung. So stellt sich die Frage: Geschah das mit Absicht oder nicht? Die Antwort lautet: Es war eindeutig Absicht.

Carey hatte Marx seine Prinzipien der Politischen Ökonomie (1840) und Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (1848) geschickt. Hat Marx diese Werke gelesen? Das wissen wir nicht, aber wir wissen, daß er Careys Werke Harmonie der Interessen, Über den ausländischen und einheimischen Sklavenhandel sowie Lists Nationales System der Politischen Ökonomie (1841) genau kannte.

Marx äußerte sich nicht zu diesem Material, aber er bereitete sich allem Anschein nach darauf vor, Carey anzugreifen. Einen Angriff auf List unternahm er 1845. Marx stellt sich gegen List und Carey und die Schule der Physischen Ökonomie, auf die Seite des britischen Systems. Insbesondere Carey hatte nachgewiesen, wie die britische Rentiersoligarchie durch ihre Kontrolle über eine Zentralbank das halbprivate Monopol von Schulden, öffentlichem Kredit, Steuern und Währung schützte und den Staat damit zur Melkkuh umfunktionierte. Marx, der innerhalb des britischen Systems operierte, gefiel das nicht.

Hier ist es nützlich, auf gewisse Enthüllungen des Dichters Heinrich Heine hinzuweisen, der darüber schrieb, daß deutsche und britische Bankiers "linke" Provokationen gegen die republikanische Bewegung finanzierten. Marx, der Heine damals nahestand, weigerte sich, dieses Argument zu bedenken, und brach alle Beziehungen zu dem Dichter ab.

Aber am schwersten wiegt, daß Marx die Geschichte der politischen Ökonomie verfälscht. Für ihn beginnt sie erst mit der Veröffentlichung von Adam Smiths Wohlstand der Nationen (London, 1776), einem Manifest der britischen Ostindien-Gesellschaft. Mehr als anderthalb Jahrhunderte, nachdem Leibniz 1671 seine Schrift Sozietät und Wirtschaft veröffentlicht hatte, wußte Marx über den französischen Colbertismus, über Lazare Carnots "Theorie der Maschinen", die Ecole Polytechnique, die wirtschaftlichen Gründerväter der Nationalstaaten nichts zu berichten! Thomas Morus, Ludwig XI., Sully, Laffemas oder Montchrétien kommen gar nicht vor, ebenso nichts Ernsthaftes über die industrielle Entwicklung der Vereinigten Staaten und den Kampf des amerikanischen republikanischen Systems gegen das System des britischen Feudalismus.

Ist Marx also ein Betrüger? Die Antwort lautet: Ja.

Er war umgeben von britischen Agenten wie Friedrich Engels, der Marx auf seine schlimmsten mechanistischen Aspekte reduzierte, und David Urquhart. Dieser Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes leitete eine Abteilung des Britischen Museums, in dem Marx arbeitete. Marx ist kein "Betrüger" im üblichen Wortsinn oder in bezug auf die eine oder andere Frage. Sein Betrug ist sein Menschenbild. Und das ist gefährlich, denn akzeptiert man diese falsche Grundannahme, ist man gefangen.

Die Rolle der Kunst beim Fortschritt der Menschheit

Damit zum dritten und wesentlichen Punkt. Kehren wir noch einmal zu der Anekdote über Lenin und die Neunte Symphonie zurück. Und lassen wir die Schriften von Marx und Engels zum Themenkomplex "Kunst und Literatur" sowie die künstlerischen Produktionen des Kommunismus vor unserem geistigen Auge vorüberziehen. Was man hier findet, ist bestenfalls Nichtigkeit: auf der einen Seite der nihilistische Schwulst eines Majakowskij und auf der anderen Seite die akademischen Gemälde des sozialistischen Realismus oder etwa Tscholokows Erzählungen. Begabtere Künstler wie Ossip Mandelstam, Anna Achmatowa und andere waren entweder keine Kommunisten oder sogar erklärte Antikommunisten.

Ist das nun purer Zufall oder steckt mehr dahinter? Soviel sollte klar sein: Mit dem marxistischen Menschenbild ist kein Wachstum der produktiven Arbeitskraft möglich. Dies gilt für das wissenschaftliche Feld, also das Prinzip neuer Entdeckungen, und noch viel mehr für die Qualität der Emotionen, die mit klassischen Kunstformen untrennbar verbunden sind. Marx scheitert dabei, die Natur dieser inneren Erkenntnisprozesse zu erfassen, durch die alle bewiesenen prinzipiellen Entdeckungen hervorgebracht wurden. Dies gilt insbesondere für die Werke der klassischen Kunst.

"Profit" im wirklichen physischen Sinn, ist nichts anderes als die angewandte Lösung eines ontologischen Paradoxes in der Erscheinungsform einer neuen Technologie, womit die menschliche Gesellschaft auf dem Kurs ständig erweiterter Entwicklung gehalten wird. Und keine Gesellschaft kann diesen Profit hervorbringen, wenn sie nicht über die Einsicht in ein begründbares Prinzip geistigen Lebens durch die klassische Kunst verfügt.

Ein ontologisches Paradox entsteht, wenn eine neu erworbene Idee im Widerspruch zu einer früher gewonnenen Überzeugung desselben Gedankengebäudes steht. Der menschliche Geist kann sich nicht mit solchen absoluten Widersprüchen zufriedengeben. In der Naturwissenschaft kann ein solches Paradox nur gelöst werden, indem ein neues, experimentell bewiesenes Naturprinzip gefunden wird.

In der klassischen Kunst bezeichnet man diese Art von Paradoxa als "Metapher". Der normale Sprachgebrauch erlaubt die Darstellung eines solchen Paradoxons nicht. Deshalb müssen wir es in der Form eines scheinbaren Widerspruchs in der Bedeutung der Begriffe ausdrücken. Die Auflösung der Widersprüche liegt in der Vollendung des Kunstwerks - coincidentia oppositorum - im Geist des Hörers oder Lesers selbst. Der scheinbar unüberbrückbare Widerspruch zwischen zwei sich gegenseitig ausschließenden Bedeutungen, und ihre Aufhebung kennzeichnen die Metapher. In der Musik taucht dieses Prinzip auf, wenn bestimmte formale ironische Wendungen - wie etwa der Gebrauch verschiedener Tonarten - durch die motivische Durchführung eines Stückes aufgelöst werden. In der großen Malerei eines Leonardo, Piero della Francesca oder van Eyck, aber niemals in den Gemälden des sozialistischen Realismus, erfüllen beispielsweise zwei verschiedene primäre Lichtquellen oder die Kombination mehrerer Perspektiven in einem Bild die Funktion der "Metapher".

Diese formalen Paradoxa fordern die souveräne Erkenntniskraft des menschlichen Geistes heraus. Dieser Prozeß geschieht nur im souveränen Geist des Individuums, und nicht an der Tafel oder im Computer.

Alles wirklich menschliche Wissen, wie es über Generationen überliefert wurde, basiert auf solchen Erkenntnisprozessen. Konzepte, die so erzeugt werden, bezeichnet Platon als "Ideen". Wir kennen diese Methode aus der Erfahrung der klassisch-humanistischen Bildung. Ideen werden nicht, wie ein bekennender Marxist glaubt, durch ein Medium der Kommunikation vermittelt, sondern einzig und allein im Geist des Schülers hervorgebracht. Er erreicht dies nur, wenn eine bestimmte Qualität von Leidenschaft damit verbunden ist, ohne die er oder sie nie die Motivation und Konzentration aufbringen oder erhalten könnte, die notwendig ist, das Paradox zu lösen.

Aber die Entdeckung wissenschaftlicher Prinzipien als solcher reicht nicht aus, um die bestimmende Rolle der Leidenschaft im Prozeß der Entdeckung zu erklären, wie LaRouche betont. Ihre Bedeutung kann man nur verstehen, wenn man die Rolle der klassischen Kunstformen bei der Kultivierung des Geistes mit hinzuzieht. Hier haben wir es mit dem Konzept der fundamentalen Emotion der Wahrheitssuche zu tun, ausgedrückt durch den griechischen Begriff agapé, den auch der Apostel Paulus verwendete.

Ohne die Entdeckung wissenschaftlicher Prinzipien kommt keine technologische Entwicklung zustande, aber ohne die Leidenschaft, wie sie in einzigartiger Weise in den verschiedenen Formen der klassischen Kunst nachvollziehbar zutage tritt, gäbe es keine wissenschaftlichen Entdeckungen. Bedenken Sie, daß Einstein täglich eineinhalb Stunden Geige spielte! Jetzt sehen wir, was Marx und den Marxisten fehlt: Sie leben in einem kulturell pessimistischen Universum und sind deshalb zu keiner wirklichen Freude fähig!

Daß dieser Zugang Marx verschlossen blieb, erkennt man am deutlichsten daran, daß er Platon, den Judaismus und das Christentum völlig mißversteht. Konzentrieren wir uns hier auf seine Sicht der sokratischen Methode, die Marx in diesem wichtigen Zitat mit dem Ausdruck "negative Dialektik" meint:

"Tod und Liebe sind die Mythen von der negativen Dialektik, denn die Dialektik ist das innere einfache Licht, das durchdringende Auge der Liebe, die innere Seele, die nicht erdrückt wird durch den Leib der materialischen Zerspaltung, der innere Ort des Geistes. Der Mythus von ihr ist so die Liebe; aber die Dialektik ist auch der reißende Strom, der die Vielen und ihre Grenze zerbricht, der die selbständigen Gestalten umwirft, alles hinabsenkend in das eine Meer der Ewigkeit. Der Mythus von ihr ist daher der Tod.

Sie ist so der Tod, aber zugleich das Vehikel der Lebendigkeit, der Entfaltung in den Gärten des Geistes, das Schäumen in den sprudelnden Becher von punktuellen Samen, aus welchen die Blume des einen Geistesfeuers hervorsprießt. Plotinus nennt sie daher das Mittel zur Seele, zur unmittelbaren Vereinung mit Gott, ein Ausdruck, in dem beides und zugleich die theoretische Erkenntnis des Aristoteles mit der Dialektik des Plato vereint sind.

Wie aber diese Bestimmungen in Platon und Aristoteles gleichsam prädeterminiert, nicht aus immanenter Notwendigkeit entwickelt sind, so erscheint ihre Versenkung in das empirisch einzelne Bewußtsein bei Plotin als Zustand, der Zustand der Ekstase." (aus: Karl Marx, Hefte zur epikureischen, stoischen und skeptischen Philosophie - Sechstes Heft)

Jawohl, "Ekstase"! Für Marx existiert kein Unterschied zwischen Platon und Aristoteles, und dann behauptet er auch noch, Platons Dialektik, die Entwicklung von Ideen, vollziehe sich in einem Zustand der Ekstase!

Marx entlarvt sich damit selbst und beweist, daß er keine Ahnung von den Grundlagen der platonischen Dialektik hat. Tatsächlich weiß er noch nicht einmal, was eine "Idee" im Sinne der Lösung eines Paradoxons überhaupt ist. Innerhalb eines marxistischen Systems konnte es folgerichtig auch keine Kunst geben!

Was bleibt uns übrig, als den armen Karl Marx mit einem Lächeln des Bedauerns in seinem Zimmer im Britischen Museum zurückzulassen, in der Hoffnung, daß David Urquhart ihn einmal einen Moment in Ruhe ließe? Schließen wir mit einem Gedanken, über den ich oft mit meinem Freund Jurij Gromyko diskutiert habe. Was wir im Westen wie im Osten dringend brauchen, ist eine Psychologie des menschlichen Schaffens, die sich mit den schöpferischen Kräften des menschlichen Geistes in Kunst, Wissenschaft, Technologie und Ökonomie beschäftigt.

Lyndon LaRouche hat unserem Jahrhundert durch seine Entdeckungen den Weg gewiesen. Es ist an der Zeit, ihm mit mehr Kühnheit zu folgen. Nicht als arroganter junger Mensch, der denkt, er wisse schon alles, oder wie ein müder alter Mann, der einfach hinterher trottet, sondern als ein Mensch, der darauf brennt, seinen eigenen einzigartigen menschlichen Funken zu verteidigen und ihm Ausdruck zu verleihen.

An einem Zeitpunkt der Geschichte, an dem nur eine Veränderung des gegenwärtigen Weltfinanzsystems die Zivilisation retten kann, können wir es uns nicht erlauben, im Urteil zu irren oder in moralischen Fragen nachsichtig zu sein. Marx und der Marxismus liefern keine Lösung für die gegenwärtige weltweite Krise, genauso wenig, wie sie eine Alternative zu den Abscheulichkeiten der oligarchischen Herrschaft des 19. Jahrhunderts geboten haben. Sie verwirren die Leute. Um effektiv zu sein und auf die Herausforderungen unserer Zeit antworten zu können, bleibt uns deshalb nur übrig, sie fallenzulassen. Wir haben eine viel bessere Waffe in der Hand, um den Weg in eine sichere Zukunft zu bahnen. Und das ist keine akademische Angelegenheit, sondern eine Frage von Leben oder Tod.


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