Dezember 2002:
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Das Warten auf den "Mega-Anschlag"

Wir wissen, daß Du schwimmen kannst
Die Terroranschläge in Mombasa haben jenen in Regierung und Sicherheitskräften Israels Auftrieb verliehen, die die Palästinenserfrage ein für allemal lösen wollen - auch mit Gewalt.

Nach den Anschlägen auf israelische Touristen in Kenia am 28. November forderten Mitglieder der israelischen Regierung Vergeltung auch mit Maßnahmen, die "bisher in der Öffentlichkeit nicht vertretbar waren". In diesen Äußerungen, auf die wir unten näher eingehen, sehen erfahrene Israel-Kenner eine Drohung, die in Palästina schon lange praktizierten "gezielten Morde" überall auf der Welt gegen Menschen jeglicher Nationalität durchzuführen.

Besonders beunruhigend ist, daß Scharons Falken diese völkerrechtswidrigen Vergeltungsmorde nicht nur als internationale Außenseiter im Alleingang praktizieren möchten, sondern zur Rechtfertigung auf ihr Bündnis mit den USA verweisen - und das nicht ohne Berechtigung. Schließlich hat der amerikanische Vize-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz im Fernsehsender CNN öffentlich erklärt, die USA praktizierten nun ebenfalls gezielte oder sog. "präventive Morde" an Terroristen. Nach den Anschlägen von Kenia ist zu befürchten, daß solche illegalen "Racheakte" immer mehr Überhand nehmen.

Vergeltung angekündigt

Am 28.November explodierte in einem vornehmlich von Israelis bewohnten Hotel im kenianischen Mombasa eine Autobombe, und fast zeitgleich wurden auf ein startendes israelisches Flugzeug zwei Raketen abgefeuert. Bei dem Anschlag auf das Hotel kamen 15 Menschen ums Leben, darunter drei Israelis, hundert Personen wurden verletzt. Das Flugzeug wurde glücklicherweise nicht getroffen und blieb mit 261 Passagieren und Besatzungsmitgliedern unversehrt.

Eine bis dahin unbekannte Gruppe namens "Armee Palästinas" übernahm in einem Faxschreiben die Verantwortung für die Anschläge. Sie wolle, "daß die Welt die Stimme der palästinensischen Flüchtlinge wieder hört, und Licht auf den zionistischen Terrorismus im Westjordanland und Gazastreifen werfen". Ob das Bekennerschreiben echt ist, ist unbekannt.

Israels Verteidigungsminister Schaul Mofas kündigte Vergeltung an: "Unser Arm wird sie erreichen. Wenn irgendjemand Zweifel hatte, daß die Bürger Israels sich gegen die Mörder von Kindern nicht wehren können, wird sich das ändern. Die Rache ist unser." Außenminister Benjamin Netanjahu sagte: "Dies zeigt, daß die Terrororganisationen und die Regime dahinter sich mit Waffen rüsten können, mit denen sie überall zu jeder Zeit für massenhafte Opfer sorgen können. Heute beschießen sie israelische Flugzeuge, morgen vielleicht amerikanische oder britische oder die anderer Länder. Es zeigt, daß es keine Kompromisse mit dem Terror geben darf."

Ministerpräsident Scharon betraute den neuen Mossad-Chef Meir Dagan mit den Ermittlungen. In den 70er und 80er Jahren war Dagan Leiter der sog. Operation Caesarea, einem Killerkommando von etwa 40 Soldaten, die sich als Palästinenser verkleideten und PLO-Vertreter ermordeten. (Oft waren die Opfer gemäßigte PLO-Führer, die relativ offen für Friedensgespräche waren.)

Scharon bezeichnete den gescheiterten Raketenangriff auf das Flugzeug als "Mega-Anschlag". Wir haben schon öfter gewarnt, Scharon wolle einen sog. "Mega-Anschlag" als Vorwand für einen neuen Nahostkrieg nutzen. Jetzt, wo der Vorstoß für den Irakkrieg in den Vereinten Nationen abgebremst wurde, ist diese Gefahr noch gewachsen. Denn nicht nur die Washingtoner Kriegspartei will den Irakkrieg, ihr Verbündeter Scharon will ihn genauso oder vielleicht noch mehr.

"Andere Spielregeln"

Die Pläne von Scharons Fraktion erfuhr man aus den Reden von Mitgliedern seines "Sicherheitskabinetts" auf einer Konferenz für nationale Sicherheit, die vom 2.-4. Dezember am Interdisziplinären Zentrum Herzliya stattfand.

Der Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrates und frühere Mossad-Chef Ephraim Halevy erklärte dort, der Angriff auf das Flugzeug sei "eine beträchtliche Eskalation, die man nicht ignorieren darf... Die Arbeitshypothese ist, daß sich im Falle eines Mega-Anschlags die lange geltenden Verhaltensregeln schlagartig ändern... Es ist anzunehmen, daß die Weltöffentlichkeit die Änderung der Regeln und des Aktionsniveaus verstehen, akzeptieren und verinnerlichen wird." Nach einem Mega-Anschlag entstünde "eine internationale Dynamik, welche Optionen eröffnet, die bisher in der Öffentlichkeit nicht vertretbar waren".

Ein Militär, der Halevys Rede hörte, betonte: "Das ist nicht bloß die Meinung irgendeines Experten. Das ist die Meinung Scharons. Halevy ist Scharons Bote. Er wird auf geheime Missionen geschickt, und wenn er redet, drückt er die Meinung seines Chefs aus."

Halevy selbst verschwieg, welche neuen, bisher nicht vertretbaren Optionen er meinte. Aber diese Zeitung hat in früheren Artikeln beschrieben, um was es sich dabei handeln könnte - Dinge, von denen Scharon bisher abgehalten wurde, wie die Ermordung Jassir Arafats, Militärschläge gegen Syrien und den Libanon sowie ein regionaler Krieg, in dessen Verlauf die Palästinenser nach Jordanien vertrieben würden.

Das "Bequemste" wäre ein Schlag gegen Arafats Hauptquartier in Ramallah.

Am 5. Dezember erklärte Scharon vor Zeitungsherausgebern, Al Qaida sei in den besetzten Gebieten aktiv geworden: "Wir verfügen über Informationen, wonach Al-Qaida-Angehörige sich in den besetzten Gebieten aufhalten. Die Information besagt, daß eine kleine Gruppe in den Gazastreifen gekommen ist. Wir wissen, daß sie im Libanon aktiv sind und eng mit Hisbollah zusammenarbeiten. Wir wissen, daß sie in der Region sind. Es gibt keinen Zweifel, daß Israel Ziel von Anschlägen ist."

Der palästinensische Sicherheitschef im Gazastreifen Raschid Abu Schbak wies dies zurück: "Die israelische Führung versucht mit solchen Rechtfertigungen, bei den Amerikanern einen Vorwand für einen Angriff auf den Gazastreifen zu finden." Schbak enthüllte dann, der Mossad habe versucht, in Gaza zum Schein eine "Al-Qaida-Zelle" aufzubauen (siehe dazu den Artikel auf dieser Seite).

Auf derselben Konferenz sagte der neue Verteidigungsminister Mofas, in Kenia sei ein Mega-Anschlag nur wie durch ein Wunder verhindert worden. Und im Konflikt mit den Palästinensern müsse Israel "sich früher oder später der Frage stellen, ob wir nicht auf eine militärische Lösung einschwenken sollten". Ein enger Vertrauter Mofas' sagte am 5.Dezember der Jerusalem Post, diese Äußerung sei so verstehen, daß "Arafat aus der Geschichte verschwinden soll". Auch Scharon sei dafür. Unterschiede bestünden nur hinsichtlich des geeigneten Zeitpunktes, da man sich derzeit einem amerikanischen Vorgehen gegen den Irak nicht in den Weg stellen wolle. Stabschef Mosche Ja'alon warnte derweil, der Konflikt mit den Palästinensern könne Israels Friedensverträge mit Ägypten und Jordanien gefährden.

Die israelischen Sicherheitskreise sprechen von Verbindungen der Attentäter von Kenia zu angeblichen Al-Qaida-Kreisen im Libanon, die unter dem Schutz der Hisbollah stünden. Damit rücken auch Syrien und der Iran als Unterstützer der Hisbollah ins Visier potentieller Militäraktionen.

Am 29.November schrieb Ze'ev Schiff in der Tageszeitung Ha'aretz: "Mossad und Schin Beth müssen nun auch außerhalb der Staatsgrenzen tätig werden - und nicht nur defensiv." Weil die "Armee Palästinas" ihr Bekennerschreiben über die Fernsehstation der Hisbollah im Libanon Al Manara verbreitete, müsse Hisbollah die Mitglieder der Gruppe kennen. Die Hisbollah kooperiere im Libanon mit einer Gruppe, die Verbindungen zu Al Qaida habe.

Weitere Eskalationsstufen

Sollte Israel "gezielte Morde" im Libanon ausführen, würde das Vergeltungsanschläge der Hisbollah und damit eine weitere Eskalation auslösen. Dies böte Scharon einen Vorwand für Angriffe auf syrische Stellungen im Libanon und auf Syrien selbst.

Am 7. Dezember starben im Südlibanon zwei libanesische Drogenhändler, Ramzi Nahra und sein Neffe Elii Issa, durch eine Autobombe. Nahra diente mehreren Herren, Israel wie der Hisbollah. Israel wurde für den Anschlag verantwortlich gemacht, da die Bombe wie ein Stein aussah und Israel 1997 zwei Hisbollah-Führer im Bezirk Al Kafor mit einer ebensolchen Bombe getötet hatte. 24 Stunden später verwundete eine Bombe zwei israelische Soldaten. Eine bisher unbekannte libanesische Gruppe übernahm die Verantwortung für den Anschlag, der als Vergeltung für die Ermordung Nahras bezeichnet wurde.

Am 8.Dezember behauptete der Londoner Sunday Telegraph, der öfter Mossad-Desinformation verbreitet, es gebe enge Verbindungen zwischen Hisbollah und Al Qaida. Er zitierte eine anonyme "westliche Quelle" (wahrscheinlich ein Mitglied des israelischen Teams, das in Kenia bei den Ermittlungen helfen soll), die Hisbollah arbeite eng mit Al Qaida zusammen und sei in jenem Teil Afrikas sehr aktiv. Beide Gruppen verfolgten die gleichen Ziele. Ein Sprecher der Hisbollah wies diese Anschuldigungen scharf zurück und sagte, Israel versuche mit derartigen Behauptungen nur, eine Atmosphäre für Angriffe auf den Libanon zu schaffen.


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