Wer wollte bestreiten, daß angesichts der gegebenen Verhältnisse das Schicksal der Welt vom Ausgang der Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten bestimmt werden wird? Und welcher klar denkende Mensch wollte leugnen, daß die Welt weitere vier Jahre einer Regierung Bush - mit Cheney, Rumsfeld, Ashcroft und Co. - aller Voraussicht nach nicht heil überstehen würde?
Das Thema, das sich sehr bald ins Zentrum der strategischen Lage schieben und alle Haushaltskalkulationen zunichte machen wird, ist der sich zuspitzende Verfall des Dollars. Zusammenbrüche der Immobilien-, Anleihe- und Aktienmärkte, Banken und Währungen werden Elemente des systemischen Kollapses des Weltfinanzsystems sein, den alle Anstrengungen der Regierung Bush nicht werden verhindern können. Auch die Fassade eines Aufschwungs der amerikanischen Wirtschaft wird sich nicht bis zum November 2004 aufrecht erhalten lassen.
Keiner der neun Konkurrenten meines Ehemannes Lyndon LaRouche bei der Bewerbung um die Nominierung zum demokratischen Präsidentschaftskandidaten hat auch nur den geringsten Schimmer, wie auf die Finanzkrise zu reagieren ist. Sie alle stehen entweder unter dem Einfluß der Finanzkräfte, deren System gerade zusammenbricht, oder ihre ideologischen Überzeugungen sind Teil des Problems.
Die Chancen stehen gut, daß sich Lyndon LaRouche als der oder einer der führenden Bewerber auf der Seite der Demokraten durchsetzen wird. Dieser Umstand wird zum bedeutendsten strategischen Faktor noch während des Wahljahrs werden, da sich der Finanzkrach voraussichtlich nicht bis nach der Wahl hinausschieben lassen wird. Die Notwendigkeit einer internationalen Notkonferenz auf Regierungsebene, die ein neues Bretton-Woods-System beschließt, um den Absturz des Weltwirtschafts- und Finanzsystems ins Chaos zu verhindern, wird sich wahrscheinlich schon in den nächsten Monaten ergeben. Dann wird der Status des Präsidentschaftswahlkampfes LaRouches das wichtigste Element bei der Entscheidung sein, welche Rolle die USA, selbst unter einer Regierung Bush, dabei einnehmen werden.
Von enormer Bedeutung wird in diesem Zusammenhang die voraussichtliche Wiederwahl Präsident Putins in Rußland sein. Die neuen Mehrheitsverhältnisse in der Duma und vor allem der Wahlerfolg der erst vor wenigen Monaten gegründeten Partei "Rodina" unter dem Vorsitz des Ökonomen Sergej Glasjew reflektieren die Überzeugung der russischen Akademie der Wissenschaften und anderer patriotischer Kräfte, daß die Zeit der neoliberalen Ausbeutung Rußlands durch die mit westlichen Finanzkreisen verbundenen "Oligarchen" vorbei ist und Rußland wieder auf soziale Gerechtigkeit, Wachstum der Realwirtschaft und wissenschaftlich-technischen Fortschritt setzen muß. Da China und neuerdings verstärkt auch Indien ebenfalls auf rapides Wachstum setzen, ergeben sich für Deutschland durchaus strategische Rahmenbedingungen, die in den kommenden dramatischen Krisensituationen eine Neuorientierung der Politik ermöglichen.
Aber es sind, ehrlich gesagt, nur diese internationalen Umstände, die zu solcher Hoffnung berechtigen.
Denn das Sparpaket, das Regierung und Opposition gerade beschlossen haben, ist Ausdruck des neoliberalen Wirtschaftsparadigmas, das für die Krise verantwortlich ist, und es wird die Lage nur noch schlimmer machen. Das relativ Gute ist: Bundeskanzler Schröder hat durchaus erkannt, daß die Zukunft für die deutsche Wirtschaft auf den Exportmärkten Chinas und Asiens generell liegt. Aber bisher bewegt sich seine daran orientierte Politik auf einem recht pragmatischen Niveau. Schröders Reisen nach China und in andere asiatische Staaten, auf denen er stets von großen Wirtschaftsdelegationen begleitet war, schaffen Möglichkeiten für den Export und Joint Ventures, aber was bisher völlig fehlt, ist eine Vision, wie wir durch die eurasische wirtschaftliche Integration eine Friedensordnung für das 21. Jh. schaffen können, die das Antlitz unserer Erde völlig verwandeln kann.
Das von LaRouche vorgeschlagene neue Bretton-Woods-System und der Ausbau der Eurasischen Landbrücke, der Eurasien infrastrukturell und wirtschaftlich integrieren soll, ist der offensichtliche praktische und konkrete Rahmen, der auch in Deutschland relativ kurzfristig produktive Vollbeschäftigung herbeiführen kann. Und wenn man an die Weiterführung der Eurasischen Landbrücke über Ägypten und Gibraltar nach Afrika, und über die Bering-Straße nach Nord-, Mittel- und Südamerika denkt, dann liegt hier auch das einzig praktikable Konzept, um den afrikanischen Kontinent und Lateinamerika vor dem Untergang zu retten.
Was der pragmatisch denkende Politiker als "Idealismus" deuten möchte, ist in Wirklichkeit die einzige realistische Herangehensweise. Die existentielle Krise, in der sich unsere Zivilisation heute befindet, rührt nicht zuletzt daher, daß alle führenden Imperien, Nationen und Kräfte auf pragmatische Weise "ihre Interessen" durchzusetzen versuchen. Die Entwicklungsgeschichte des Völkerrechts, das heute von der Regierung Bush so empörend mit Füßen getreten wird, zeigt aber, daß eine Friedensordnung nur dann von Dauer sein kann, wenn jeder dabei nicht das "eigene Interesse", sondern das Interesse der anderen in den Vordergrund stellt.
Als der Westfälische Friede eine rund 150 Jahre dauernde Periode von Religionskriegen in Europa beendete, gelang dies eben nicht auf einer pragmatischen, sondern durchaus philosophisch inspirierten Grundlage. Das Grundprinzip, das von nun an alle Politik und Außenpolitik auf das Prinzip der Liebe und der Verwirklichung des Interesses des anderen gegründet sein müßte, war der Beginn des modernen Völkerrechts.
In die Prinzipien des Westfälischen Friedens floß die Philosophie des Nikolaus von Kues ein, der die Idee entwickelt hatte, daß eine Konkordanz im Makrokosmos nur möglich ist, wenn sich alle Mikrokosmen auf die bestmögliche Weise entwickeln können; wenn jeder Mikrokosmos es als sein ureigenes Interesse betrachtet, daß die anderen Mikrokosmen ihr ganzes Potential entfalten, und wenn dies auf Gegenseitigkeit beruht. Nikolaus entwickelte in seinem Denken der "coincidentia oppositorum", des Ineinsfallen der Gegensätze, auch den Begriff, daß das Eine eine höhere Qualität repräsentiert als das Viele. Wenn man davon ausgeht, daß das Gemeinwohl der einen Menschheit primär ist und eine höhere Ordnung repräsentiert, dann ist offensichtlich, daß eine Friedensordnung für das 21. Jh. nur möglich ist, wenn alle Mikrokosmen, in diesem Fall also alle Nationen, ihr ganzes Potential entwickeln können.
Auch wenn es völlig gegen den Zeitgeist geht und in unserer dekonstruierten, kulturpessimistischen Welt vielen als ein Anachronismus vorkommen mag, muß nach dem Prinzip des Westfälischen Friedens die Außenpolitik auf Liebe basieren, wenn der Frieden gewahrt werden soll. Liebe bedeutet, uneigennützig das Interesse des anderen zu befördern, wie z.B. Eltern wollen, daß sich ihre Kinder geistig und emotional auf die beste Weise entwickeln.
Wenn wir begriffen haben, daß wir eine Menschheit und durch universelle Prinzipien miteinander verbunden sind, dann können wir uns über die Verschiedenheit freuen und empfinden sie als Bereicherung unseres eigenen Wesens.
Europa besitzt eine großartige Geschichte, eine stolze Tradition von Kultur und Wissenschaft, aber von hier aus wurde auch wiederholt an politischen Handlungen teilgenommen, die anderen Ländern, vor allem den sogenannten Entwicklungsländern, Schaden zugefügt haben, während sie unseren vermeintlichen Interessen dienten.
Jetzt ist die Menschheitsgeschichte an einem Punkte angelangt, an dem wir alle in einem Boot sitzen. Wir werden entweder alle gemeinsam einen Ausweg finden oder aber in ein finsteres Zeitalter stürzen.
Heute ist eine "Zivilisation der Liebe" notwendig, von der Papst Johannes Paul II. oft gesprochen hat. Wir brauchen Staatsmänner und -frauen, die von einer leidenschaftlichen und zärtlichen Liebe zur Idee der Völkergemeinschaft erfüllt sind. Wenn Europa es als seine Mission akzeptiert, daß wir den anderen Völkern und Nationen bei ihrer Entwicklung helfen, also ihr Interesse zu verwirklichen, können wir eine wirkliche Friedensordnung errichten. Mit der Entscheidung, wer der nächste Präsident in den USA wird, mit den zu erwartenden Veränderungen in Rußland und der existentiellen Frage, ob sich Europa zu einer Politik auf der Ebene des Erhabenen und der Liebe entscheiden kann, wird das Jahr 2004 die Weichen für das 21. Jh. stellen.
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