Dezember 2001:
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Das Ende des Mythos der "New Economy"

Nicht nur der Crash der "Technologieaktien" seit März 2000 hat den Glauben in die Verheißungen des modernen Wirtschaftsmärchens von der "New Economy" erheblich erschüttert.

Seit Mitte der neunziger Jahre wurde uns die spekulative Blase an den amerikanischen, und dann auch weltweiten, Technologiebörsen als Beginn eines ewig währenden Börsenbooms verkauft. Dieser sei nun garantiert, weil die amerikanische Wirtschaft als erste Volkswirtschaft der Welt den schicksalhaften Durchbruch zur "New Economy" geschafft habe: ständiges inflationsfreies Wirtschaftswachstum ohne zyklische Rezessionen. Grund dafür seien die durch Informationstechnologie, "Shareholdervalue" und Globalisierung ermöglichten Produktivitätsfortschritte, welche den Unternehmen auf viele Jahre dramatisch ansteigende Gewinne sicherten.

Der Schuldenberg der US-Unternehmen Der Crash der Technologieaktien seit März 2000 hat den Glauben in die Verheißungen des modernen Wirtschaftsmärchens von der "New Economy" bereits erheblich erschüttert. Zu Beginn des Jahres 2000, als die Aktienmärkte vor Euphorie geradezu überkochten und das wirtschaftliche Schicksal Deutschlands im 21. Jahrhundert ganz in der Hand der "Web-Designer" von Bangalore zu liegen schien, hatte der Autor eine vernichtende Kritik an der "New Economy" sowie den damit einhergehenden Vorstellungen vor der Informationsgesellschaft verfaßt ("Mythos Informationsgesellschaft", erschienen bei der Nachrichtenagentur EIR im März 2000). Den dort vorgebrachten Argumenten und Gedankengängen ist auch 18 Monate später wenig hinzuzufügen. Vielmehr ist nun die Zeit gekommen, eine Endabrechnung vorzunehmen, zumal die schockierenden Revisionen der amerikanischen Regierung, aus offenkundigen Gründen, sowohl von der Wall Street wie den internationalen Finanzmedien weitgehend ignoriert wurden.

Produktivität und Gewinne: Der "Boom", den es nie gab

Im Sommer 2001 hat sich in den USA etwas Überraschendes zugetragen: Die Regierung mußte ihre Produktivitäts- und Gewinnzahlen für die Jahre 1998, 1999 und 2000 stark nach unten korrigieren, so daß das vermeintliche Erfolgsmodell der "New Economy" nun sozusagen von offizieller Stelle zu Grabe getragen wurde. Die Revision ist so kräftig, daß man im Nachhinein eigentlich nur von Betrug sprechen kann.

Nach dem am 27. Juli vom Bureau of Economic Analysis (BEA) veröffentlichen Bericht über das Volkseinkommen und die Zusammensetzung des Wirtschaftsprodukts (National Income and Product Accounts, abgekürzt NIPA) fielen Produktivitätswachstum und Unternehmensgewinne in den Jahren 1998 bis 2000 wesentlich niedriger aus, als alle vorherigen offiziellen Statistiken behauptet hatten. Die Korrekturen des NIPA-Berichts waren so kräftig, daß sowohl bei Produktivität wie bei Gewinnen von dem vielbeschworenen "Boom" überhaupt nichts mehr übrig bleibt.

So wurden die Gewinne für das Jahr 1998 um 37,6 Mrd. Dollar, die für 1999 um 30,8 Mrd. Dollar und die für 2000 sogar um 69,8 Mrd. Dollar nach unten revidiert. In diesen Zahlen stecken aber noch die durch den Rausch an den Aktienmärkten inflationierten Gewinne des Finanzsektors. Betrachtet man nur die Nichtfinanzunternehmen, so betrugen die Gewinnrevisionen in den drei aufeinanderfolgenden Jahren 1998-2000 28,0 Mrd. Dollar, 62,6 Mrd. Dollar und 86,1 Mrd. Dollar. Im Jahre 2000 machte die Gewinnrevision fast 15 Prozent der zuvor behaupteten Gewinne aus.

Tabelle 1: Gewinne der US-Unternehmen ohne Finanzsektor (in Mrd. Dollar):


Jahr  vorher  nachher  Differenz 
1996  463,3  463,3 
1997 504,5 504,5 -
1998 506,8 478,8 28,0
1999 530,4 467,8 62,6
2000 577,9 491,8 86,1

Quelle: NIPA-Bericht, BEA

Nach den alten Zahlen waren die Unternehmensgewinne außerhalb des Finanzsektors zwischen 1996 und 2000 um insgesamt 24,7 Prozent angestiegen. Angesichts der von der Wall Street und den Chefetagen der Technologieunternehmen im diesem Zeitraum entfachten Euphorie ist schon diese Zahl eigentlich recht bescheiden. Aber nach der Revision bleibt von den 24,7 Prozent Wachstum am Ende nur noch ein Viertel übrig, nämlich 6,1 Prozent oder auf das Jahr gemittelt mickrige 1,5 Prozent.

Daß die aggregierten Gewinnzahlen noch Jahre später revidiert werden, ist an sich keine Überraschung. Aber daß die Korrektur diesmal so kräftig ausfiel, belegt, daß selten zuvor soviel gelogen und vorgetäuscht wurde wie bei den Ankündigungen und Hochrechnungen der amerikanischen Unternehmensgewinne der vergangenen Jahre.

Im Verarbeitenden Gewerbe gingen die Gewinne zwischen 1997 und 2000 den neuen Zahlen zufolge sogar von 195,2 auf 155,2 Mrd. Dollar oder um 20,5 Prozent zurück. Bei den Herstellern langlebiger Güter - das entspricht in etwa dem Investitionsgütersektor - schrumpften die Gewinne in diesen drei Jahren um durchschnittlich 32,8 Prozent, also um fast ein Drittel.

Besonders katastrophal verlief die Gewinnentwicklung im Sektor Elektrotechnik, zu dem unter anderem die Technologieunternehmen der Computer- und Chipproduktion zählen. Hier gingen die Gewinne bis zum Jahr 2000 fast auf Null zurück.

Tabelle 2: Gewinne bei den Industriesektoren, die langlebige Güter herstellen (in Mrd. Dollar):


1997 1998 1999 2000 1997-2000
Primärmetalle 5,8 6,2 2,6 3,1 -46,6%
Metallwaren 16,3 16,6 16,7 14,3 -12,3%
Maschinenbau 13,8 16,1 9,4 7,9 -42,8%
Elektrotechnik 22,8 7,6 6,2 3,7 -83,8%
Fahrzeugbau 4,0 5,2 6,7 5,1 +27,5%
übrige 31,2 29,1 34,2 29,1 -6,7%
Gesamt 94,0 80,7 75,8 63,2 -32,8%
Quelle: NIPA-Bericht, BEA.

Wie bei den Gewinnen so mußte die US-Regierung auch die Zahlen für das Produktivitätswachstum der amerikanischen Wirtschaft kräftig nach unten korrigieren, etwa für das Jahr 2000 von 4,3 Prozent auf 3,0 Prozent. Für die Jahre 1996 bis 2000 bleibt damit ein mittlerer jährlicher Produktivitätsanstieg der amerikanischen Wirtschaft von 2,5 Prozent. Dies ist nur ein schwacher Abglanz der Jahre 1961 bis 1965 des Apollo-Programms (+3,8%) und kein Vergleich mit den deutschen, französischen und japanischen Produktivitätszahlen der fünfziger und sechziger Jahre.

Aber auch die genannten 2,5 Prozent Produktivitätswachstum kommen nur durch massive Eingriffe statistischer Schönheitschirurgen zustande. Denn mit der Meßgröße Produktivität wird im wirtschaftlichen Sprachgebrauch nichts anderes gemeint als einfach das Verhältnis von Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu Arbeitsstunden. Und bekanntlich ist das BIP der USA in den vergangenen Jahren durch eine Serie statistischer Tricks, die man jeweils als "Anpassungen" bezeichnete, künstlich immer mehr aufgebläht worden. Hierzu zählt etwa die "hedonische Preisanpassungsmethode", die selbst dann ein grandioses Wachstum der Computer- und Chipindustrie anzeigt, wenn deren Verkäufe in Wirklichkeit stagnieren. Auch die erst vor kurzem vollzogene Umbewertung von Softwareausgaben - früher eingestuft als Vorleistung, damit nicht BIP-relevant, heute Einstufung als Investition, daher voll BIP-relevant - hat kräftig zur, zumindest statistischen, Ausweitung des BIP beigetragen und damit zugleich die Produktivitätszahlen künstlich erhöht.

2001: Größter Gewinneinbruch in 10 Jahren

Die Gewinne der Jahre 1996 bis 2000 waren schon recht dürftig. Aber selbst von diesem mittelmäßigen Niveau aus geht es seit Jahresbeginn 2001, eigentlich schon seit dem vierten Quartal 2000, rasant abwärts. Im oben angeführten NIPA-Bericht vom 27. Juli sind bereits die aggregierten Gewinne des US-Unternehmenssektors für das erste Quartal enthalten. Gegenüber dem ersten Quartal des Vorjahres rutschten die Gewinne um 8,2 Prozent ab. Am schlimmsten traf der Gewinnschock das Verarbeitende Gewerbe. Auf das Jahr hochgerechnet - in US-Statistiken wird so etwas stets gemacht - ergeben die Gewinne des ersten Quartals einen Wert von lediglich 411,6 Mrd. Dollar, also 16,3 Prozent weniger als die Gewinne des Jahres 2000 und tatsächlich viel weniger als in irgendeinem der Jahre 1996 bis 2000. Besonders dramatisch schmolzen die Gewinne wiederum bei den Herstellern langlebiger Güter zusammen, um satte 66 Prozent innerhalb von 12 Monaten.

Wie man in Tabelle3 sieht, kann es bei Unternehmensgewinnen anders als bei Aktienkursen auch Rückgänge um mehr als 100 Prozent geben, nämlich dann, wenn nicht nur alle Gewinne "futsch" sind, sondern sogar Verluste gemacht werden. Schließlich stürzten im ersten Quartal ganze Industriesektoren wie der Automobilbau oder die Elektrotechnik in die roten Zahlen.

Tabelle 3: Gewinne bei den Industriesektoren, die langlebige Güter herstellen (in Mrd. Dollar):


1.Q 2000 1.Q 2000 Veränderung
Primärmetalle 3,0 -2,0 -167%
Metallwaren 19,2 9,3 -52%
Maschinenbau 6,1 4,5 -26%
Elektrotechnik 5,3 -1,5 -128%
Fahrzeugbau 6,3 -2,9 -146%
übrige 33,0 17,4 -47%
Gesamt 72,9 24,8 -66%
Quelle: NIPA-Bericht, BEA.

Soweit das erste Quartal. Doch der Absturz der Unternehmensgewinne hat im zweiten Quartal erst so richtig an Fahrt gewonnen, und im dritten Quartal zeichnet sich bereits ein weiterer Rückgang ab. Zwar liegen für das zweite Quartal noch keine aggregierten Zahlen vor. Aber bei den 500 großen US-Unternehmen, die im S&P-500-Index aufgeführt werden, sind die Gewinne im zweiten Quartal gegenüber dem vorherigen um durchschnittlich 17 Prozent gefallen, der größte Einbruch in 10 Jahren. Und für das dritte Quartal geht die Finanzagentur Thomson Financial auf Basis der vorliegenden Meldungen von einem neuen historischen Rekord bei der Zahl der Gewinnwarnungen aus. Thomson Financial erklärte, es gebe nicht das geringste Anzeichen für eine Stabilisierung beim Rückgang der Unternehmenserträge: "Die Gewinne taumeln weiterhin abwärts."

Kaum für möglich gehaltene Rekorde bei "Gewinnmeldungen" einzelner Unternehmen wurden schon im zweiten Quartal gebrochen, allesamt von Technologieunternehmen. Am 15. Juni 2001 schockte der weltgrößte Hersteller von Telekom-Ausrüstungen, Nortel Networks, die Welt mit der Bekanntgabe eines Quartalsverlustes von 19,2 Mrd. Dollar. Der Verlust war zwölfmal höher, als man erwartet hatte, und betrug 420 Prozent des Quartalsumsatzes. In der gleichen Woche konterte der amerikanische Glasfaserhersteller JDS Uniphase und meldete einen Jahresverlust von 50,6 Mrd Dollar, das sind 1530 Prozent des Jahresumsatzes von 3,3 Mrd. Dollar. Doch der "Neue Markt" in Deutschland braucht sich hier nicht verstecken.
So meldete der Softwarehersteller Brokat einen Verlust, der zwar "nur" 825 Millionen Euro, aber immerhin 2900 Prozent des Umsatzes erreichte.

Wenn die Gewinne der Unternehmen fallen, schwindet damit sowohl der Antrieb wie eine wichtige finanzielle Ressource für Investitionen. Ein Unternehmen, das nicht investiert, schafft keine neuen Arbeitsplätze und ruiniert über kurz oder lang seinen Kapitalstock, wobei dann zahlreiche Arbeitsplätze verlorengehen. Vom Beschäftigungsniveau hängen wiederum die Einkommen und die Verbraucherausgaben ab. Diese Wirkungskette ist auch in angelsächsischen Ländern gültig, in denen man manchmal glaubt, zum Konsumieren bräuchten die privaten Haushalte kein Einkommen, denn dafür gäbe es ja schließlich Konsumentenkredite.

Der Kollaps der Unternehmensgewinne ist also nicht nur ein Problem der Aktienmärkte, sondern geht mit einem allgemeinen Schrumpfungsprozeß der Wirtschaft einher, der längst das Maß einer üblichen Rezession überschritten hat.

Die Industrieproduktion fiel im Juli 2001 zum zehnten Monat in Folge und damit solange wie schon seit 19 Jahren nicht mehr. Im ersten Quartal war sie um 6,8 Prozent gefallen, im zweiten Quartal noch einmal um 4,2 Prozent (jeweils auf Jahresbasis).

Tabelle 4: Entwicklung der Produktion in ausgewählten Industriesektoren. Jeweils im Vergleich zum vorhergehenden Quartal, aber auf ein Jahr hochgerechnet.


1.Q 2001 2.Q 2001
Maschinenbau -8,2% -14,2%
Elektrotechnik -7,1% -19,0%
Computer -3,5% -8,7%
Telekomausrüstungen -1,7% -17,5%
Chips -9,6% -26,4%
Quelle: Federal Reserve

Auslastung des Industreisektors geht stark nach unten

Die Kapazitätsauslastung der amerikanischen Industrie ist im Juli 2001 auf 77,0 Prozent gefallen, den niedrigsten Wert seit 18 Jahren. Noch erheblich schlimmer sieht es in den meisten Hochtechnologiebranchen aus. Im Computersektor fiel die Kapazitätsauslastung auf 66,9 Prozent, bei den Chipherstellern sogar auf 61,8 Prozent.

Die Investitionen der amerikanischen Unternehmen sind im ersten wie im zweiten Quartal jeweils auf Jahresbasis um 12,3 Prozent gefallen. Im zweiten Quartal sanken dabei die Bauinvestitionen um 9,8 Prozent und die Ausrüstungsinvestitionen einschließlich Software sogar um 15,1 Prozent, der stärkste Einbruch seit 1982. Am schwersten betroffen waren die Investitionen in Informationstechnik und Software.

Wenig Hoffnung bereiten die Auftragseingänge. Im Juli sanken die Auftragseingänge für langlebige Güter auf den tiefsten Stand seit Mitte 1998. Besonders im Technologiesektor geht es weiter dramatisch bergab. Die Auftragseingänge für Halbleiter schrumpften innerhalb eines Monats um weitere 26,0 Prozent. Bei den Computerherstellern gingen die Aufträge im Juli um 4,1 Prozent und damit seit Dezember 2000 insgesamt um fast 30 Prozent zurück.

Der amerikanische Verbraucher versinkt in Schulden

Glaubt man den Stellungnahmen der Federal Reserve sowie maßgeblicher Wallstreet-Auguren, dann hängt das Überleben der amerikanischen Wirtschaft ganz allein davon ab, daß der Verbraucher die Nerven behält und auch weiterhin unverdrossen konsumiert. Schließlich entfällt lediglich ein Drittel des Endverbrauchs der amerikanischen Wirtschaft auf Unternehmen und Regierung, die zwei übrigen Drittel aber auf die privaten Haushalte.

Es lohnt sich also in jedem Fall, die Entwicklungen der vergangenen Monate aus der Perspektive des US-Verbrauchers zu betrachten. Ganz besonders stellt sich natürlich die Frage, was aus seinem Vermögen und aus seinen Schulden geworden ist. Die Einsichten, die sich hierbei ergeben, sind schockierend und erübrigen den Blick auf irgendwelche Verbrauchervertrauensindizes. Der einzige Schluß, der sich aus dieser Untersuchung ziehen läßt, lautet: Der vermeintliche Retter der amerikanischen Wirtschaft hat den Kopf längst unter Wasser und wird unweigerlich in kürzester Frist ertrinken.

  • Arbeitsplätze

    Angesichts täglicher Meldungen von Massenentlassungen seitens der großen Unternehmen kann es nicht überraschen, daß die Arbeitslosigkeit in den USA rasant in die Höhe schnellt. Ein besonders krasses Beispiel hierfür ist Lucent Technologies. Als Ableger der ehemaligen Bell Laboratories war das Unternehmen, das Glasfasern und andere Ausrüstungen für die Telekomindustrie herstellt, noch vor nicht allzu langer Zeit ein strahlendes Symbol der "New Economy". Inzwischen steht das Unternehmen bereits mit einem Bein im Bankrott. Die Unternehmensführung hat angekündigt, im Rahmen eines Notprogramms die Belegschaft von 106000 Beschäftigten praktisch auf die Hälfte, das heißt auf 56000, zu reduzieren.

    Nach Challenger, Gray & Christmas kündigten die US-Unternehmen allein im Juli 2001 den Abbau von 206000 Arbeitsplätzen an, 65 Prozent mehr als im Vormonat und 222 Prozent mehr als im Vorjahr. Seit Jahresbeginn wurden damit 983000 Arbeitsplatzverluste angekündigt, mehr als die seit 1993 bestehende Statistik von CG&C jemals zuvor in einem Vergleichszeitraum verzeichnet hatte.

    Insgesamt stieg die offizielle Zahl der Arbeitslosen in den USA nach Angaben des Amtes für Arbeitsstatistik (BLS) im August auf 6,96 Millionen, das sind 1,2 Millionen mehr als im Jahr zuvor. Die Arbeitslosenrate kletterte dadurch innerhalb eines Monats von 4,5 Prozent auf 4,9 Prozent und erreichte damit den höchsten Stand seit September 1997. Besonders dramatisch war die Entwicklung im Industriesektor, dessen Beschäftigung im August um 141000 Personen schrumpfte, mehr als in irgendeinem anderen Monat seit Juli 1998. Damit ist die Beschäftigung im Industriesektor nun schon seit 13 Monaten in Folge rückläufig, wobei sich die Talfahrt im August noch einmal erheblich beschleunigte.

    Aber selbst diese Zahlen sind noch geschönt. Da das BLS zwei Gruppen von vornherein aus ihrer Betrachtung herausläßt, ist das wahre Ausmaß der Arbeitslosigkeit in den USA erheblich größer. Die erste dieser vom BLS ausgeschlossenen Kategorien betrifft Menschen, die "unmittelbar eine Arbeit suchen", und die vom BLS nicht zum Kreis der Erwerbspersonen gezählt werden. Erwerbspersonen sind sowohl die Erwerbstätigen als auch die Arbeitslosen. Wer aber keine Erwerbsperson ist, kann per Definition nicht arbeitslos sein. Aus diesem Grund tauchen die rund fünf Millionen "unmittelbar eine Arbeit Suchenden" in der Arbeitslosenstatistik nicht auf.

    Zweitens schließt das BLS aus der Zahl der Arbeitslosen auch die rund 4 Millionen Personen aus, die "aus wirtschaftlichen Gründen teilzeitbeschäftigt" sind. Das sind Beschäftigte, die eine Vollzeitarbeit suchen, aber "aus wirtschaftlichen Gründen" - weil keine Vollzeitstellen verfügbar sind - gezwungen sind, einen Teilzeitjob anzunehmen. Teilzeit bedeutet, daß nicht mehr als 19 Stunden pro Woche gearbeitet werden; tatsächlich arbeiten viele dieser Teilzeitbeschäftigten aber weniger als 19 Stunden pro Woche. Sie sind eigentlich arbeitslos bzw. fast arbeitslos.

    Zählt man beide Kategorien hinzu, erhält man statt der offiziell knapp 7 Millionen eine realistischere Arbeitslosenzahl von rund 16 Millionen bzw. eine Arbeitslosenrate von 11 Prozent.

  • Verschuldung

    Der plötzliche Wegfall Hunderttausender Arbeitsplätze wirkt sich unmittelbar auf das Gesamteinkommen der privaten Haushalte aus. Zugleich drückt der starke Anstieg der Arbeitslosigkeit auf das allgemeine Lohnniveau. Mithin werden die verfügbaren Einkommen fallen. Da die Sparrate in jüngster Zeit ohnehin in den negativen Bereich abgestürzt ist, d.h. die Ausgaben sind höher als die verfügbaren Einkommen, kann das bisherige Ausgabenvolumen nur dann aufrechterhalten werden, wenn es zu einem noch größeren Anteil als in der Vergangenheit über Kredite finanziert wird.

    Aber seit Beginn der neunziger Jahre haben sich die Schulden der privaten Haushalte ohnehin verdoppelt. Am Jahresende 2000 beliefen sie sich auf 7063,8 Mrd. Dollar. Im ersten Halbjahr 2001 stiegen sie um weitere 302,6 Mrd. Dollar, wobei insbesondere die Hypothekenkredite förmlich explodierten. Trotz sinkender Zinsen hat sich der Anteil der reinen Zinszahlungen am Einkommen von 2,2 Prozent im Jahre 1995 auf inzwischen 3,2 Prozent erhöht. Die gesamten Schuldendienste der privaten Haushalte haben sich auf 14,5 Prozent ihres Einkommens erhöht, den höchsten Wert aller Zeiten. Bei einem Fünftel der schwächeren Einkommensgruppen müssen bereits mehr als 40 Prozent für Schuldendienste aufgewendet werden. Hypotheken sind hierbei nicht eingerechnet. Zum ersten Mal in der Geschichte Amerikas sind die Schulden der privaten Haushalte größer als ihr Jahreseinkommen.

    Tabelle 5: Schulden der privaten Haushalte in den USA, Beträge am Jahresende in Mrd. Dollar:


    1990 1995 2000 1990-2000
    Hypotheken 2531,7 3383,0 4916,0 +94,2%
    Konsumentenkredite 805,1 1122,8 1566,5 +94,6%
    übrige Schulden 398,6 408,0 581,3 +45,8%
    gesamt 3735,4 4913,8 7063,8 +89,1%
    Quelle: Federal Reserve.

  • Implosion der Finanzvermögen

    Aktienvermögen der Haushalte bricht ein Nach offiziellen Angaben der Federal Reserve ("Flow of Funds") ist das Finanzvermögen der amerikanischen Haushalte von 35,97 Billionen Dollar am Ende des ersten Quartals 2000 auf 31,63 Billionen Dollar am Ende des ersten Quartals 2001 abgesunken. Dieser Verlust von 4,34 Billionen Dollar bedeutet einen Rückgang des Finanzvermögens der privaten Haushalte von 12,1 Prozent innerhalb eines Jahres. Wie man sich leicht denken kann, entfällt der Löwenanteil dieser Vermögensimplosion auf den Aktienbesitz der privaten Haushalte. So schrumpfte der Marktwert der von ihnen gehaltenen Aktien im betrachteten Zeitraum von 9,38 auf 5,92 Billionen Dollar, ein Absturz um 3,46 Billionen Dollar oder 36,9 Prozent binnen Jahresfrist. Ein gewisser Teil dieses Rückgangs mag auf rechtzeitige Aktienverkäufe seitens der privaten Haushalte zurückzuführen sein, der bei weitem größere auf den Verfall der Aktienkurse.

    Der Crash an den Börsen läßt aber nicht nur das gegenwärtige Finanzvermögen der amerikanischen Haushalte zusammenschmelzen. Er nimmt ihnen auch einen erheblichen Betrag ihrer zukünftigen Rentenbezüge. Schließlich sind die USA Vorreiter in der privaten Altersversorgung. Das wichtigste Instrument hierzu sind die sogenannten "401-k"-Fonds. Die Bezeichnung "401-k" bezieht sich auf den entsprechenden Abschnitt im US-Steuergesetz, mit dem seit 1981 den Beschäftigten die Option einer privaten Altersvorsorge geboten wird. Danach können Beschäftigte einen festen Anteil, maximal 15 Prozent, ihres Bruttolohnes steuerbegünstigt in einen privaten Pensionsfonds ihrer Wahl einzahlen; manchmal zahlt auch der Arbeitgeber nochmals die gleiche Summe ein. Natürlich wollten, und durften, die "401-k"-Fonds auch am scheinbar unaufhaltsamen Boom der Aktienmärkte teilhaben. Inzwischen sind mehr als die Hälfte aller "401-k"-Gelder am Aktienmarkt investiert.

    Aufgrund des Kursrutsches an den Börsen sind nun die Vermögen der "401-k"-Fonds zum ersten Mal seit ihrer Einrichtung vor 20 Jahren zurückgegangen. Das auf Altersvorsorge spezialisierte Bostoner Beratungsunternehmen Cerulli Associates gibt in seiner jüngsten Statistik an, daß das durchschnittliche 401-k-Guthaben von 46740 Dollar am Jahresende 1999 auf 41919 Dollar zum Jahresende 2000 gesunken sei. Im ersten Halbjahr 2001 haben die Beschäftigten nach Cerullis Schätzung weitere 600 Dollar verloren. Das durchschnittliche 401-k-Guthaben ist also auf etwa 41300 Dollar geschrumpft, das entspricht 11,6 Prozent Verlust innerhalb von 18 Monaten.

    Einbruch bei den privaten Pensionsfonds Nach Angaben der Federal Reserve fiel das Vermögen der privaten Pensionsfonds (dazu zählen sämtliche "401-k"-Fonds und daneben noch ein paar andere Kategorien von Fonds) vom Ende des 1. Quartals 2000 bis zum Ende des 1. Quartals 2001 von 4,823 Billionen auf 4,285 Billionen Dollar, ein Rückgang um 538 Mrd. Dollar oder 11,2 Prozent. Ein Teil dieses Rückgangs geht darauf zurück, daß Investoren ihre Gelder rechtzeitig aus den Fonds abzogen. Aber ein nicht unwesentlicher Teil dieser Pensionsgelder hat sich mit dem Crash an den Börsen in Luft aufgelöst.

  • Die Immobilienblase

    Der mehrere Billionen Dollar große Schwund der Aktienvermögen hätte schon längst zu einem starken Einbruch der Verbraucherausgaben geführt, wäre nicht im gleichen Zeitraum eine zusätzliche finanzielle Blase geschaffen worden, welche nun statt der Aktien ein rasch steigendes Vermögen vorgaukelt: die elf Billionen Dollar schwere Blase des US-Immobilienmarktes. So stiegen die Marktpreise für Eigenheime innerhalb eines Jahres um 8,9 Prozent, der steilste Anstieg seit 1979.

    Hintergrund dieser Entwicklung ist die teilweise Umschichtung von Aktien in Immobilien, die Senkung der Hypothekenzinsen infolge der aggressiven Zinssenkungen der Federal Reserve sowie die Lockerung der Kreditbedingungen der Banken bei Hypothekenkrediten. Statt der normalerweise üblichen Anzahlung von 20 Prozent des Kaufpreises fordern die Banken zum Teil nur 3 Prozent und geben auch hochverschuldeten Familien weitere Kredite.

    Wenn aber nun der Marktwert der Immobilien steigt, zeigen sich die Banken auch gegenüber denjenigen, die bereits ein Haus auf Kredit erworben haben, gönnerhaft: Entsprechend dem Anstieg des jeweiligen Immobilienpreises gewähren sie ihrem Altkunden einen höheren Hypothekenkredit. Dabei wird ein Schema verwendet, das zunächst einen unmittelbaren Effekt zur Steigerung der Konsumausgaben verspricht: der Eigentümer der Immobilie erhält einen erhöhten Kredit, mit dem er einerseits den alten Kredit ablöst. Der Rest wird ihm dann, teilweise oder ganz, in bar ausgezahlt. Solche Praktiken sind in den USA keineswegs neu, aber in den vergangenen Monaten wurden sie in einem bislang beispiellosen Ausmaß angewendet. Es wird geschätzt, daß in den ersten sechs Monaten des Jahres 2001 Hypotheken im Umfang von 495 Mrd. Dollar refinanziert wurden und die Konsumenten hiervon, nach Rückzahlung der alten Hypotheken und weiterer Schulden, 33 Mrd. Dollar einbehielten. Natürlich vergrößert dies die Hypothekenschulden der Privathaushalte - mit verheerenden Konsequenzen für letztere, sobald die Immobilienblase platzt.

    Doch geht es bei diesem Hypothekentrick nicht allein darum, den hoffnungslos überschuldeten Verbraucher bei Laune zu halten. Vielmehr wird die Federal Reserve bereits seit geraumer Zeit von der Panik getrieben, daß die Pyramide der Verbraucherschulden im Verlaufe des immer schärfer werdenden Wirtschaftseinbruchs früher oder später unkontrolliert auseinanderfällt und das amerikanische Bankensystem ruiniert. Die Banken legen daher Wert darauf, daß mit der Ausweitung der Hypothekenkredite der betreffende Kunde zumindest einen Teil seiner Konsumkredite ablöst. Man könnte fragen, welchen Sinn es denn habe, auf diese Weise Konsumkredite in Hypothekenkredite zu verwandeln. Ganz einfach: Konsumkredite sind ungesichert, Hypothekenkredite nicht.

    Der Nationale Bundeshypothekenverband ("Fannie Mae") und der Bundeswohnungsbaukredit-Hypothekenverband ("Freddie Mac"), beides halbstaatliche Institutionen, haben Hypothekenkredite in riesiger Höhe garantiert. Fannie Mae ist eine "privatisierte" Bundeseinrichtung mit "impliziter" Bundesgarantie, die Hypotheken garantiert und den Banken und Sparkassen Hypothekenkredite abkauft. Sie finanziert dies, indem sie die Hypotheken bündelt und als "Hypotheken-besicherte Wertpapiere" vermarktet, wobei die Rückzahlung der Hypotheken durch die Hausbesitzer als Sicherheit dient. Fannie Mae und Freddie Mac halten zusammen Hypotheken-besicherte Wertpapiere und Hypothekengarantien im Wert von 2,4 Billionen Dollar.

    Man kann es auch kürzer fassen: Die Vorbereitungen für eine Verstaatlichung fauler Kredite amerikanischer Großbanken sind bereits im vollen Gange.

    Zieht man die historisch beispiellose Verschuldung von Unternehmen und privaten Haushalten sowie den Zerstörungsgrad wesentlicher Infrastruktureinrichtungen infolge jahrzehntelanger Vernachlässigung in Betracht, so kommt durch Umkehrung der Kernthese der "New Economy" immerhin etwas Wahres heraus: Die heutige amerikanische Wirtschaft ist derart heruntergekommen, daß die in Gang gesetzte Abwärtsspirale keinen zyklischen Aufschwung mehr zuläßt. Ohne radikale Wirtschafts- und Finanzreformen, im Sinne der erfolgreichen Wirtschaftspolitik der führenden Industrieländer in der Wiederaufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg, droht der Absturz in die Depression.


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