| September 2001: |
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Zwei Tage im Jahr ist für die BüSo in Rheinland-Pfalz ein besonderer Termin:Ein Zeichen dafür ist die Tatsache, daß sich die internationale Gemeinschaft damit abfindet, daß in Afrika ein Völkermord stattfindet, der unfaßbar ist. Jeden Tag sterben 50000 Kinder unnötig an Hunger und Seuchen. Oder daß in Ländern, die ein hervorragendes Gesundheitswesen besaßen - Schweden, Deutschland, die USA - dieses Gesundheitswesen zerstört und die Euthanasie erneut salonfähig wird.
Es besteht die Gefahr, daß sich vom Nahen Osten aus ein allgemeiner Religionskrieg ausbreitet, der 30 oder 50 Jahre dauern und die ganze islamische Welt erfassen könnte, bis hin nach Indien mit seiner umfangreichen islamischen Bevölkerung, Zentralasien, Indonesien. In der früheren Sowjetunion gibt es, glaube ich, 60 Millionen Moslems, und es läßt sich denken, welche Explosivkraft ein solcher Religionskrieg hätte.
Stellen Sie sich vor, daß gleichzeitig eine Kernschmelze des Finanzsystems stattfindet, die Wirtschaft in Depression und Massenarbeitslosigkeit versinkt, während jeden Augenblick ein Krieg im Nahen Osten auszubrechen droht, der sich zu einem Weltkrieg ausweiten könnte. Nimmt man dazu die Tatsache, daß es Leute gibt, die sich - ohne zu wissen, was am Ende dabei herauskommt - solche bösartigen Szenarien ausdenken, wie etwa Samuel Huntington, der den "Kampf der Kulturen" propagiert: Christen gegen Moslems gegen Hindus gegen Konfuzianer - alle sollen im Endeffekt gegeneinander kämpfen, weil es zwischen ihnen angeblich keinen gemeinsamen Nenner gibt.
Leider ist einiges von dem, was in diesen Denkfabriken ausgearbeitet wird, nicht nur Theorie, sondern es gibt Leute, die das praktisch verwirklichen. Sie spielen den Haß unter den einzelnen Gruppierungen mit Hilfe ihrer Agenten gegeneinander aus. Der ganze Nahe Osten ist bekanntlich seit langem eine Spielwiese der britischen Geheimdienste, die umfangreiche historische Erfahrung haben, wie man solche Konflikte schürt.
Ohne Frage hängt das Schicksal der Menschheit am seidenen Faden.
Ich erlebe es persönlich mit, wie mein Mann (Lyndon LaRouche) Tag für Tag mutige Ideen und Konzepte hervorbringt. Wohlmöglich ist es ihm zu verdanken, daß in den letzten Wochen ein Nahostkrieg verhindert oder zumindest hinausgeschoben werden konnte, weil er in Washington und international in einem Memorandum warnte, Israel selbst könne einen solchen Krieg nicht überleben. Das erfordert großen Mut, denn die Leute, die auf einen solchen Krieg hinauswollen, sind sehr gefährlich. Als wir diese Analyse verbreiteten, reagierten einige Kreise in Israel und sagten: "Stimmt, wir können wirklich nicht so weitermachen." Viele andere in der Region, Ägypten, Jordanien reagierten, und Europäer, Russen und einige Kreise in Amerika intervenierten und sorgten dafür, daß eine Provokation auf dem Tempelberg unter Kontrolle blieb.
Dieser Roman wurde 1894 geschrieben. So lange reicht das verrückte Denken einiger Leute also schon zurück. Die Frage ist: Wissen die Politiker, auf was sie sich da einlassen? Kürzlich lobte Madeleine Albright, als sie noch Außenministerin war, H.G. Wells als den Mann, der sich die Idee einer Weltregierung ausgedacht hat. Und was soll man von Joschka Fischer halten, der sich unter Frau Albrights Fittichen so wohlfühlte? Verstehen Leute wie er die Tragweite solcher Äußerungen? Ich weiß es nicht, die Frage bleibt offen.
Aber es geht noch weiter. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel und Claudia Roth von den Grünen pilgern zu den Wagnerfestspielen nach Bayreuth, die ein reiner Kult sind. Viele zieht es dorthin. Das tiefere Problem dabei ist, unseren Politikern fehlt eine Leidenschaft für die Menschheit. Sonst würden sie nicht bei einem System mitmachen, das Menschen umbringt, wie es täglich in Afrika geschieht. Wenn selbst Daniel Cohn-Bendit zu dem Schluß kommt, die Grünen hätten jede Perspektive verloren, weil sie sonst nicht bei der Globalisierung mitmachen würden, zeigt das, wie sehr sich das Spektrum verschoben hat. Aber das nur am Rande.
Man sieht, wie kleingeistig und selbstsüchtig die meisten Politiker sind, die bestenfalls an die nächste Wahl denken, oder daran, wieviele von ihren ideologischen Lieblingsvorhaben sie durchbringen können. Wieviele Hekatomben von Windmühlen verschandeln inzwischen die Landschaft? Oder wieviele Landwirte wurden schon davon abgebracht, Nahrungsmittel zu erzeugen?
Doch leider ist die Bevölkerung nicht viel besser. Sie lebt in einer Fantasiewelt. Die meisten Menschen sind moralisch nicht wirklich erwachsen geworden. Sie befinden sich immer noch auf der Ebene von Kindern oder Jugendlichen, sie haben noch die gleichen Wünsche wie Teenager. Man sieht alternde "68er" herumlaufen, die sich ihre letzten drei Haare zu einem langen Pferdeschwanz zusammengebunden haben. Sie tauchen bei den "Oldie-Parties" auf, um sich sehen zu lassen und gehen dann voll im "Rhythmus" mit. Das sind offensichtlich Leute, die niemals erwachsen geworden sind. Sie wechseln direkt von der Pubertät in die Senilität, mit höchstens einer Minute dazwischen.
Unser Problem ist, daß sich leider nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung auf einer höheren Ebene als dieser befindet, und wenn man versucht, die Menschen auf eine höhere moralische Ebene zu heben, was wir mit unserer politischen Organisierungsarbeit beständig tun, erhält man zur Antwort:"Ich habe dringendere persönliche Angelegenheiten, um die ich mich kümmern muß. Ich habe eine Familie und mein Geschäft. Ich habe keine Zeit für anderes".
In Zeiten der Krise kann sich dieses kombinierte Problem der Führung und der breiten Bevölkerung, wenn es nicht gelöst wird, für die Zukunft der Gesellschaft als fatal erweisen. In großen Krisen werden Gesellschaften untergehen, wenn man nicht die richtige Kombination findet, so daß die Bevölkerung die Wirklichkeit verstehen lernt. Und ich kann sagen, nachdem ich Teile der Welt wie Lateinamerika, Afrika, Rußland gesehen habe: Die Deutschen begreifen die Wirklichkeit nicht.
Die dringendste Aufgabe besteht darin, außergewöhnliche Persönlichkeiten heranzubilden, die ihr Selbstinteresse nicht in der Spaßgesellschaft sehen, sondern in den Folgen ihres Handelns für die Zukunft. Die Schlüsselfrage ist also, was wir tun können, um die selbstsüchtigen, habgierigen Vertreter der 68er Generation, Generation X oder Y in verantwortungsvolle Führungspersönlichkeiten für die jetzige gewaltige Krise zu verwandeln.
Friedrich Schiller hat eine Methode dazu entwickelt. Sie besteht darin, wie er in Die Schaubühne als moralische Anstalt sagt, die großen Fragen der Menschheit - in der klassischen Kunst, der Wissenschaft und der Diskussion der Geschichte - nach den Prinzipien der großen klassischen Tragödie auf die Bühne bringen, so daß die besten Menschen direkt darauf reagieren. Dann wird die Vernunft allmählich in milderen Strahlen auf die ganze Gesellschaft ausstrahlen, heißt es in den Briefen über die ästhetische Erziehung.
Schiller hat die besondere Qualität des Erhabenen am besten herausgearbeitet. Ich werde zuerst dieses Konzept des Erhabenen in der Theorie besprechen und dann einige Beispiele betrachten, wie Schiller dieses Konzept im Drama anwendet. Schiller hat eine sehr präzise Definition dieses Begriffes entwickelt, und ich möchte Sie ermutigen, erneut zu lesen, was er darüber geschrieben hat.
"Erhaben", sagt er, "nennen wir ein Objekt, bei dessen Vorstellung unsere sinnliche Natur ihre Schranken, unsere vernünftige Natur aber ihre Überlegenheit, ihre Freiheit von Schranken fühlt: gegen das wir also physisch den kürzeren ziehen, über welches wir uns aber moralisch, d.i. durch Ideen erheben." Als sinnliche Wesen haben wir zwei Triebe, führt er weiter aus: einen Trieb, der auf das Überleben gerichtet ist - den Existenztrieb - , und einen zweiten, der auf die Erkenntnis, das Vorstellungsvermögen zum Begreifen der Welt abzielt. Dies erzeuge eine doppelte Abhängigkeit: Die erste fühlen wir, wenn unsere Existenz bedroht, unser Leben in Gefahr ist; die zweite empfinden wir, wenn etwas uns daran hindert, die Realität so zu verstehen, wie sie wirklich ist.
Es ist nun die Vernunft, die eine doppelte Unabhängigkeit von der Natur ermöglicht. Denn in der Theorie können wir die bestehenden Bedingungen überwinden, wir können über das hinaus denken, was wir derzeit wissen. Wir können neue, tiefere Ebenen der Erkenntnis erreichen. Und in der Praxis können wir über unser Verlangen triumphieren und die bestehende Bedingung überwinden. Wir können sagen: Ich bin nicht von diesen Umständen abhängig, und dann macht unser Wille uns frei.
Diesen ersten Fall der Unabhängigkeit nennt Schiller "theoretisch groß", das Erhabene der Erkenntnis. Ein Gegenstand hingegen, bei dem wir die Unabhängigkeit unseres Willens erfahren, ist "praktisch groß, ein Erhabenes der Gesinnung". Bei dem Theoretisch-Erhabenen erleben wir eine Zunahme an Erkenntnis, das Praktisch-Erhabene vermehrt unsere Fähigkeit, die Naturbedingungen zu überwinden.
Schmerz ist dem Selbsterhaltungstrieb als ein Warner mitgegeben. Wenn wir mit einer Gefahr konfrontiert sind, von der unser Verstand weiß, daß jeder Widerstand vergebens ist, dann löst dies Angst aus. Der Gegenstand, mit dem diese Gefahr verbunden ist, wird als furchtbar, als schrecklich empfunden, aber er ist nur für uns als sinnliche Wesen schrecklich. Das Praktisch-Erhabene bezieht sich auf einen solchen Gegenstand, dem sich unsere physische Kraft nicht gewachsen fühlt. Das Theoretisch-Erhabene hingegen bezieht sich auf einen Gegenstand, auf die Vorstellung eines Unendlichen, bei dem sich unser Erkenntnisvermögen, unsere Vorstellungskraft inadäquat fühlt.
So ist z.B. ein Ozean in Ruhe ein Beispiel des Theoretisch-Erhabenen, ein Ozean im Sturm hingegen ein Beispiel des Praktisch-Erhabenen. Ein sehr hoher Turm kann ein Erhabenes der Erkenntnis bewirken. Es ist übrigens sehr interessant, daß Schiller hier das Bild des sehr hohen Turms benutzt, denn auch Nikolaus von Kues verwendet dieses Bild in einer ähnlichen Bedeutung. Nikolaus sagt, daß derjenige, der von einem sehr hohen Turm herunterblickt, sich nicht auf der Ebene der aristotelischen Widersprüche befindet, sondern daß er von diesem Turm der Vernunft "den Sucher, das Gesuchte und den Prozeß des Suchens" sehen kann.
Schiller sagt, daß das Theoretisch-Erhabene eine Herausforderung für das Vorstellungsvermögen darstellt, über bis dahin existierende Ebenen der Erkenntnis hinauszugehen. Das Praktisch-Erhabene hingegen ist die Herausforderung an unsere Kraft trotz der Bedrohung unserer Existenz. Jedes Scheitern bei unseren Versuchen in der Erkenntnis ist unangenehm, aber es verursacht keinen Schmerz (zumindest solange wir wissen, daß unsere Existenz nicht von diesem Scheitern betroffen ist und unsere Selbstachtung nicht leidet), wohingegen etwas, was unsere physische Existenz bedroht, auch Schmerz in der sinnlichen Wahrnehmung und Schrecken in der Vorstellung bedeutet.
Schiller sagt, der furchtbare Gegenstand sei wichtiger für unsere sinnliche Wahrnehmung als ein unendlicher, weil unser Selbsterhaltungstrieb eine lautere Stimme habe als unser Erkenntnistrieb. Leider lebt Schiller nicht mehr, so daß ich diesen Punkt nicht mehr mit ihm diskutieren kann. Ich bin sicher, wenn Schiller meinen Ehemann Lyn sehen könnte, würde er zustimmen, daß für Lyn ein Scheitern bei der Lösung eines Notwendigen in der Erkenntnis schlimmer wäre als selbst eine Bedrohung seiner physischen Existenz. Er empfindet mehr Schmerz darüber, was die Konsequenz für zukünftige Generationen wäre, wenn wir einen falschen Kurs in der Gegenwart nicht ändern, als über etwas, das ihn persönlich betrifft. Ich bin aber sicher, daß Schiller mir in diesem Fall zustimmen wurde, denn er hat in seinen Dramen bewiesen, daß die Person, die erhaben handelt, genauso denkt.
Alle Freude und das Interesse über das Erhabene basiert auf der Fähigkeit der Vernunft, frei sein zu können. Deshalb macht das Schreckliche einen lebhafteren Eindruck auf unser ästhetisches Vorstellungsvermögen als das Unendliche. Denn das theoretisch Große vergrößert unsere Sphäre, unseren Horizont, aber das Praktisch-Erhabene vermehrt unsere Kraft. Es ist etwas ganz anderes, ob man im Reich der Vorstellung unabhängig ist, oder ob man wirklich frei ist von allem Schicksal, allen Zufällen und Notwendigkeiten.
Die Frage der physischen Existenz stellt sich sinnlichen Wesen ganz direkt. Das Praktisch-Erhabene befreit sie von dieser Abhängigkeit. Das Erhabene dieser Überlegenheit der Vernunft ist nicht identisch mit der Überlegenheit bei der physischen Kraft. So hat z.B. ein Mensch, der von einer Herde wilder Bullen bedroht ist, sie aber umlenken kann, nichts Erhabenes. Alle natürlichen Mittel sind vom Erhabenen ausgeschlossen. Wo physische Kräfte ausreichen, ist die innere Unabhängigkeit der Macht der Vernunft nicht notwendig.
Für das Erhabene ist es notwendig, daß alle Mittel des physischen Widerstandes erschöpft sind, denn es ist nur die innere Freiheit des Geistes, von der das Erhabene herrührt. Reale und ernsthafte Gefahr bedroht die Freiheit des Gemüts. Der erhabene Gegenstand muß schrecklich sein, aber nicht wirkliche Angst auslösen, denn Angst repräsentiert einen Zustand des Leidens und der Gewalt und eliminiert die Möglichkeit des Erhabenen. Das Erhabene gefällt von einem freien Standpunkt, nicht, weil es leidet, und es hat nichts mit Gewalt zu tun.
Der Geist muß frei bleiben, wenn das Sinnliche überwunden werden soll. Aber Schiller sagt auch, daß diese soeben beschriebene Bedingung sehr selten ist und eine Erhebung der menschlichen Natur darstellt. Auch müssen wir uns in Sicherheit befinden, wenn das Furchtbare uns gefallen soll. Wenn Sie z.B. am sicheren Ufer sitzen und von dort einen furchtbaren Sturm beobachten, können Sie die Schönheit dieses Anblicks genießen, wenn Sie aber in einem kleinen Boot mitten im tosenden Ozean sitzen, wird es Ihnen kaum möglich sein, sich erhaben zu fühlen, weil Sie von ganz anderen Emotionen beherrscht sind.
Worauf sollen wir unsere Sicherheit angesichts des Schicksals gründen? "Die Gottheit, vorgestellt in ihrer Allwissenheit, die alle Krümmungen des menschlichen Herzens durchleuchtet, in ihrer Heiligkeit, die keine unreine Regung duldet, und in ihrer Macht, die unser physisches Schicksal in ihrer Gewalt hat, ist eine furchtbare Vorstellung, sie kann deshalb zu einer erhabenen Vorstellung werden." Was ist mit schmerzhaften Krankheiten, dem Verlust geliebter Menschen, dem Tod selber? In all diesen Fällen kann es keinen physischen Grund für eine Beruhigung geben. Die Ruhe kann nur von einer inneren oder moralischen Sicherheit kommen.
Physische Sicherheit kann von jedermann auf die gleiche Weise genossen werden, aber moralische Sicherheit setzt einen Geisteszustand voraus, der nicht bei allen Individuen vorhanden ist. Physische Sicherheit hat nur für den sinnlichen Aspekt des Lebens Bedeutung. Sie hat für die Vernunft kein spannendes Moment. Völlig anders verhält es sich dagegen mit der moralischen Sicherheit, sie beruhigt zwar auch unsere sinnliche Identität, aber nur durch die Ideen unserer Vernunft, sie gibt uns das Bewußtsein über die Unverletzbarkeit und Ewigkeit unserer Existenz.
Über den Tod z.B. können wir nur moralische, keine physische Sicherheit empfinden. Der Glaube an die Unsterblichkeit hat zwar selbst für unsere sinnliche Seite einen gewissen beruhigenden Effekt. Aber die Vorstellung des Todes an sich ergibt nichts für die Idee des Erhabenen, es ist nicht die Idee der Unsterblichkeit, die zum Erhabenen führt. Schiller ist in diesem Punkt sehr emphatisch. Er sagt: Absolut nein! Allein die Idee, daß man ewig leben wird, eine Idee, die in allen positiven Religionen vorkommt, hat nichts mit dem Erhabenen zu tun. Die Idee eines allwissenden Gottes, der alle Geheimnisse des menschlichen Herzens kennt, gegen diese Macht kann es keine physische Sicherheit geben, nur moralische Sicherheit, die man nur haben kann, wenn man weiß, daß unsere Handlungen auf die Gerechtigkeit unseres Charakters gegründet sind, die es möglich macht, daß wir die Freiheit unseres Geistes angesichts dieser anscheinend unbegrenzten Macht nicht verlieren. Aber auch diese moralische Sicherheit ist nicht die Quelle des Erhabenen, weil dieses niemals den Zweck haben kann, unsere sinnlichen Sorgen zu beruhigen.
Wenn die Vorstellung einer solchen Gottheit das Praktisch-Erhabene sein soll, dann kann die Sicherheit nichts mit unserer Existenz zu tun haben, sondern sie muß sich auf unsere Prinzipien beziehen. Wir müssen gleichgültig sein, was unser physisches Schicksal betrifft, solange wir als Vernunftwesen unabhängig bleiben.
Die Gottheit kann uns niemals als direkte Macht beeinflussen. Aber da der reine Wille immer mit dem Willen Gottes übereinstimmen muß, kann sich niemals eine Situation ergeben, daß wir aus der reinen Vernunft gegen den Willen der Gottheit entscheiden. Diese Übereinstimmung geschieht nicht, weil es uns eine Autorität so befiehlt oder weil wir eine Strafe befürchten oder Belohnung erhoffen, sondern aufgrund der Übereinstimmung mit dem reinen Gesetz der Vernunft. Alle diese Bedingungen treffen sowohl auf die schöne Seele als auch das Erhabene zu. Aber das Erhabene geht einen Schritt über die schöne Seele hinaus.
Schiller beschreibt in den Kallias-Briefen die schöne Seele als den guten Samariter, als eine Person, die dem Verwundeten am Straßenrand hilft, ohne zu bedenken, was diese Hilfe für die eigene Person bedeutet. Um also diese Ebene des Erhabenen zu erreichen, muß man vollkommen indifferent gegenüber dem werden, was mit uns als sinnlichen Wesen geschieht. Wir müssen den physischen Aspekt unserer Person als etwas Äußerliches und Fremdes betrachten.
Schiller sagt, groß ist, wer das Schreckliche besiegt, erhaben, wer es nicht fürchtet, selbst wenn er von ihm überwunden wird! Nicht alle Menschen, so ist er sich auch bewußt, haben genug Vorstellungskraft, um sich auch nur der Gefahren bewußt zu werden, die damit einhergehen. Und viele besitzen nicht die moralische Stärke, das Schreckliche nicht vermeiden zu wollen, sobald sie es ahnen. Aber hier bei dieser Frage des Erhabenen haben wir es genau mit dem Test zu tun, ob eine Gesellschaft moralisch überlebensfähig ist. Wenn eine Gesellschaft keine Führung produziert, die auf dieser Ebene zu denken und handeln vermag, ist sie in Zeiten großer Krisen verloren.
Die jungen Menschen der Generation X haben oft gar nicht die Vorstellungskraft, die Wirklichkeit wirklich zu begreifen, oder die moralische Stärke, aus ihr die richtigen Schlußfolgerungen zu ziehen. Wenn man einem solchen jungen Menschen sagt - genausogut könnte man aber mit einem älteren Menschen sprechen - , Afrika stirbt als Folge eines bewußten Völkermords, antwortet er: "Das lasse ich gar nicht an mich herankommen."
Eine Krise ist nicht etwas, das eines morgens plötzlich auftaucht. Eine Krise baut sich über längere Zeit auf; wenn sie akut wird, geht es um Fakten, die sich schon seit langem entwickelt haben. Wir haben im Präsidentschaftswahlkampf in den USA im letzten Jahr erlebt, wie sich eine solche Krise entwickelt. Wir wissen, wie Al Gore die Politiker der Demokratischen Partei durch seine Gangster bedrohen ließ: Wer Gore nicht unterstützt, kann einpacken; wer LaRouche unterstützt, dessen Karriere ist beendet. Sie drohten mit künstlichen Skandalen und Gerichtsverfahren. Viele haben aus Furcht kapituliert. Das Resultat ist, daß wir jetzt den Republikaner Bush als Präsidenten haben, eine finanzielle Kernschmelze und die Gefahr eines Weltkriegs.
Plötzlich ist der Durchschnittsbürger mit der Frage des Schicksals seiner Nation konfrontiert, der Frage von Glück oder Unglück der kommenden Generationen, und er oder sie muß denken wie ein König, von dem der Ausgang der gegenwärtigen Geschichtsepoche abhängt. Das ist etwas, worauf man sich vorbereiten muß.
Im großen historischen Drama erkennt das Publikum, daß es eine Katastrophe für die Gesellschaft ist, wenn die Führung im Augenblick unfähig ist, auf der Ebene des Erhabenen zu handeln.
Aber Posa findet keinen Helden, der noch an die hohen Ideale ihrer Jugendzeit glaubt, sondern einen unglücklichen, deprimierten Menschen, der immer noch in seine ehemalige Verlobte Elisabeth verliebt ist, die leider inzwischen mit seinem Vater verheiratet wurde und nun formal gesehen seine Mutter ist. Er denkt nur daran, wie er sie heimlich treffen und ihr seine Liebe gestehen kann, wie hoffnungslos dies auch im damaligen Spanien sein mußte.
Posa willigt ein, ein solches Zusammentreffen ohne Zeugen zu arrangieren, aber aus einem ganz anderen Motiv heraus. Er zählt auf Elisabeths Vernunft und ihren Einfluß auf Carlos, weil das seine einzige Hoffnung ist, ihn wieder für die Sache der Freiheit zu gewinnen. Das Treffen findet statt, und Carlos ist zunächst in einem angesichts der Umstände völlig irrationalen Zustand. Elisabeth sagt ihm kurz und kompromißlos, daß seine Liebeshoffnung völlig aussichtslos ist. Sie sagt es ihm ganz hart: Wie sollte sich unsere Beziehung verwirklichen? Willst du den König töten und dann seine Witwe heiraten? Unter den gegebenen Umständen gebe es keine Hoffnung. Sie zerstört rücksichtslos seine Fantasie, was eine heroische Tat ist, weil sie ihn auch immer noch liebt. Weil sie mit dem König verheiratet und ihm treu ist, hat sie ihre Liebe zu Carlos in gewissem Sinne aufgegeben, aber es ist klar, daß dies nicht die ganze Wahrheit ist. Doch es gelingt ihr, ihn sanft, aber fest auf die Ebene der Vernunft hinauf zu heben.
Don Carlos, 1. Akt, 5. Aufzug
Carlos: Zu spät! O Gott, es ist zu spät!
Königin: Ein Mann
Zu sein? O Carl! wie groß wird unsre Tugend,
Wenn unser Herz bei ihrer Übung bricht!
Hoch stellte Sie die Vorsicht - höher, Prinz,
Als Millionen Ihrer andern Brüder.
Parteilich gab sie ihrem Liebling, was
Sie andern nahm, und Millionen fragen:
Verdiente der im Mutterleibe schon,
Mehr als wir andern Sterblichen zu gelten?
Auf, retten Sie des Himmels Billigkeit!
Verdienen Sie, der Welt voran zu gehn,
Und opfern Sie, was Keiner opferte!
Carlos:
Das kann ich auch. - Sie zu erkämpfen,
hab' Ich Riesenkraft; Sie zu verlieren, keine.
Königin: Gestehen Sie es, Carlos - Trotz ist es
Und Bitterkeit und Stolz, was Ihre Wünsche
So wütend nach der Mutter zieht. Die Liebe,
Das Herz, das Sie verschwenderisch mir opfern,
Gehört den Reichen an, die Sie dereinst
Regieren sollen. Sehen Sie, Sie prassen
Von Ihres Mündels anvertrautem Gut.
Die Liebe ist Ihr großes Amt. Bis jetzt
Verirrte sie zur Mutter. - Bringen Sie
O, bringen Sie sie Ihren künft'gen Reichen
Und fühlen Sie, statt Dolchen des Gewissens,
Die Wollust, Gott zu sein. Elisabeth
War Ihre erste Liebe; Ihre zweite
Sei Spanien. Wie gerne, guter Carl,
Will ich der besseren Geliebten weichen!
Carlos (wirft sich, von Empfindung überwältigt, zu ihren Füßen):
Wie groß sind Sie, o Himmlische! - Ja, Alles,
Was Sie verlangen, will ich tun. - Es sei!
Carlos spricht hier das berühmte Wort: "Schon 23 Jahre, und noch nichts für die Unsterblichkeit getan!" Wir könnten leicht sagen: "Schon 50 Jahre oder sogar 90 Jahre alt, und..." Aber es ist nie zu spät dazu. Carlos ist nun überzeugt, daß die Weltgeschichte nach ihm ruft, die Ehre seiner Vorfahren und das Weltgericht. Das ist nicht mehr der deprimierte Carlos von vorher, sondern der Held, der bereit ist, der welthistorischen Verantwortung nachzukommen. Aber Philipp weist seinen Sohn harsch zurück. Er glaube doch nicht im Ernst, daß er ihm das Truppenkommando übertragen werde: "Und zugleich mein bestes Kriegsheer deiner Herrschbegierde? Das Messer meinem Mörder?" Der König nennt den eigenen Sohn seinen Mörder - nicht gerade eine Kleinigkeit!
Später, als Posa die Gelegenheit hat, Philipp allein zu sprechen, ergreift er die Gelegenheit und versucht den König mit seiner mutigen Vision eines neuen Staates zu bewegen. Er sagt: "Seien Sie von Millionen Königen ein König!" Das ist sehr interessant, weil Schiller in den Briefen zu Don Carlos sagt, daß diese Vision eines guten Staates das beliebteste Thema des Jahrzehnts der 80er Jahre des 18. Jahrhunderts war, als er das Stück verfaßte. Es war die Zeit, als die ganze Welt über die Ideen der Amerikanischen Revolution diskutierte. Auch wenn das Stück in Spanien spielt, bezieht sich Posas Rede auf die hohen Ideale der unveräußerlichen Menschenrechte.
Posa will Philipp für seine gerechte Sache gewinnen, aber er schätzt die Lage völlig falsch ein, weil Philipp nur von Posa als Mensch beeindruckt ist, eben weil dieser sich nicht als Stiefellecker des Königs aufführt, was im damaligen Spanien offenbar eine seltene Ausnahme ist. Philipp will Posas Hilfe als Mensch, nicht als Politiker. Deshalb bleibt das Gespräch ohne politische Folgen.
Auch heute kann es im politischen Organisierungsgespräch geschehen, daß man das Gefühl hat, der andere begeistere sich für die politischen Ideen, während er sich in Wirklichkeit nur freut, mit jemand zu sprechen, der nicht "geblockt" ist, aber deshalb noch lange nicht gewillt sein muß, bei uns aktiv mitzuarbeiten. So gibt es viele Dinge, die es an diesen Dramen zu studieren gibt. Deshalb bleibe ich dabei, daß Schiller der beste Psychologe war, viel besser als alle Psychoanalytiker und Freudianer.
Posa beurteilt die Reaktion des Königs aber falsch, und das macht ihn arrogant. Er läßt seinen Freund nicht nur von seinem neuen Verhältnis zu Philipp in Unkenntnis, sondern benutzt ihn wie eine Schachfigur, wenn auch nur, um ihn zu beschützen. Das ist ein ernsthafter Fehler, so ehrenhaft seine Intention auch sein mag. Das wird Posa später klar, aber erst, als es schon zu spät ist. Er sagt: "Denn wer, wer heißt auf einen zweifelhaften Wurf mich alles setzen?" - nämlich die höchst unwahrscheinliche Vorstellung, Philipp könne sich plötzlich in einen Revolutionär verwandeln. Nun glaubt Posa, indem er sich für Carlos opfert, könne er die Situation retten, aber in Wirklichkeit zerstört er damit beide und ihre politische Perspektive.
Die schöne Seele Elisabeth erkennt, daß das eine falsche Form des Erhabenen ist:
4. Akt, 21. Aufzug
Das Schauspiel handelt von der gerechten Rebellion der Schweizer, eines einfachen, aber stolzen Volks der Hirten und Jäger gegen die Tyrannei der ihnen von außen aufgezwungenen Landvögte. Sie müssen selbst für ihre unveräußerlichen Rechte kämpfen, wenn sie nicht ihre Würde verlieren wollen, und sie sind bereit, für ihre Freiheit ihr Leben einzusetzen. In dem berühmten Rütli-Schwur geloben sie: "Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht!"
Wilhelm Tell gehört nicht zu der Gruppe von Schweizern, die den Rütli-Schwur ablegen. Er gerät als Vater in eine existentielle Krise, weil er gezwungen wird, mit seiner Armbrust auf seinen eigenen Sohn anzulegen. Weil Tell als stolzer und unabhängiger Mann sich weigert, sich vor Geßlers Hut zu verbeugen, zwingt Geßler ihn, einen Apfel vom Kopf seines Sohnes zu schießen. Er sagt ihm: "Entweder du schießt, oder du wirst zusammen mit deinem Sohn sterben." Man kann sich vorstellen, wie einem Vater dabei zumute ist. Tell ist zwar ein sehr guter Schütze, aber er könnte vor Aufregung zittern und daneben schießen. Tell ist in einer tragischen Zwangslage. Er muß völlig gegen die Vaterliebe handeln, aber nur so kann er den Sohn retten. Aber wozu wird Geßler ihn als nächstes nötigen?
Die perverse Forderung des Landvogts gibt Tell das moralische Recht zu einem politischen Mord, und sein Widerstand ist aus demselben Geist geboren wie der Rütli-Schwur. Tell handelt als Individuum, erst am Ende fällt seine Sache mit dem öffentlichen Anliegen zusammen.
Eine Szene macht sehr deutlich, woher dieses Volk der Schweizer Schillers Ansicht nach den Mut nimmt, so beherzt zu handeln. Am Anfang des Stückes steht die berühmte Dialogszene mit dem wohlhabenden Bauern Werner Stauffacher und dessen Frau Gertrud. Sie ist eine der schönsten Schilderungen der Idee des Erhabenen, und es ist typisch für Schiller, daß es der weibliche Charakter ist, der auf dieser Ebene handelt. Gertruds erhabene Haltung gibt Stauffacher die moralische Stütze, die er für die politische Auseinandersetzung braucht. Sie hat ein tieferes Vertrauen in den Sieg, weil sie weiß, daß die Schweizer für gerechte Prinzipien kämpfen, und das ist Schiller zufolge eine Vorbedingung für das Erhabene. Sie hat auch Gottvertrauen, aber nicht so, daß sie die Verantwortung auf Gott abschiebt, denn erhaben wird der Mensch erst, wenn er alles Menschenmögliche getan hat. Auch Tell trifft den Apfel, weil er dieses Vertrauen hat. Gertrud sagt: "Dem Mutigen hilft Gott!" Und Walter Fürst vertraut auf Gottes Hilfe "durch unsern Arm". Stauffacher und Gertrud sprechen über die Lage in der Schweiz und die schreckliche Unterdrückung im Land.
Gertrud (tritt näher):
So höre meinen Rat! Du weißt, wie hier
Zu Schwyz sich alle Redlichen beklagen
Ob dieses Landvogts Geiz und Wüterei.
So zweifle nicht, daß sie dort drüben auch
In Unterwalden und im Urner Land
Des Dranges müd sind und des harten Jochs -
Denn wie der Geßler hier, so schafft es frech
Der Landenberger drüben überm See -
Es kommt kein Fischerkahn zu uns herüber,
Der nicht ein neues Unheil und Gewalt-
Beginnen von den Vögten uns verkündet.
Drum tät es gut, daß eurer etliche,
Die's redlich meinen, still zu Rate gingen,
Wie man des Drucks sich möcht erledigen.
So acht ich wohl, Gott würd euch nicht verlassen,
Und der gerechten Sache gnädig sein -
Hast du in Uri keinen Gastfreund, sprich,
Dem du dein Herz magst redlich offenbaren?
Stauffacher: Der wackern Männer kenn ich viele dort,
Und angesehen große Herrenleute,
Die mir geheim sind und gar wohl vertraut.
(Er steht auf.)
Frau, welchen Sturm gefährlicher Gedanken
Weckst du mir in der stillen Brust! Mein Innerstes
Kehrst du ans Licht des Tages mir entgegen,
Und was ich mir zu denken still verbot,
Du sprichst's mit leichter Zunge kecklich aus.
- Hast du auch wohl bedacht, was du mir rätst?
Die wilde Zwietracht und den Klang der Waffen
Rufst du in dieses friedgewohnte Tal -
Wir wagten es, ein schwaches Volk der Hirten,
In Kampf zu gehen mit dem Herrn der Welt?
Der gute Schein nur ist's, worauf sie warten,
Um loszulassen auf dies arme Land
Die wilden Horden ihrer Kriegesmacht,
Darin zu schalten mit des Siegers Rechten,
Und unterm Schein gerechter Züchtigung
Die alten Freiheitsbriefe zu vertilgen.
Gertrud: Ihr seid auch Männer, wisset eure Axt
zu führen, und dem Mutigen hilft Gott!
Stauffacher: O Weib! Ein furchtbar wütend Schrecknis ist
Der Krieg, die Herde schlägt er und den Hirten.
Gertrud: Ertragen muß man, was der Himmel sendet,
Unbilliges erträgt kein edles Herz.
Stauffacher: Dies Haus erfreut dich, das wir neu erbauten.
Der Krieg, der ungeheure, brennt es nieder.
Gertrud: Wüßt ich mein Herz an zeitlich Gut gefesselt,
Den Brand wärf ich hinein mit eigner Hand.
Stauffacher: Du glaubst an Menschlichkeit! Es schont der Krieg
Auch nicht das zarte Kindlein in der Wiege.
Gertrud: Die Unschuld hat im Himmel einen Freund!
- Sieh vorwärts, Werner, und nicht hinter dich.
Stauffacher: Wir Männer können tapfer fechtend sterben,
Welch Schicksal aber wird das eure sein?
Gertrud: Die letzte Wahl steht auch dem Schwächsten offen,
Ein Sprung von dieser Brücke macht mich frei.
Stauffacher: (stürzt in ihre Arme)
Wer solch ein Herz an seinen Busen drückt,
Der kann für Herd und Hof mit Freuden fechten.
Und keines Königs Heermacht fürchtet er -
Nach Uri fahr ich stehnden Fußes gleich,
Dort lebt ein Gastfreund mir, Herr Walter Fürst,
Der über diese Zeiten denkt wie ich.
Ein ganz besonderer Platz in Schillers Leben gehört seiner Jungfrau von Orleans. Er nennt das Stück eine "Romantische Tragödie", die in Johanna "das edle Antlitz der Menschheit" zeigt. Es war ein direkter Angriff auf Voltaire, der genau dieses Menschenbild in seinem Epos La Pucelle d'Orléans in den Schmutz gezogen hatte. Der Herzog von Weimar wagte anfangs nicht, Schillers Stück aufzuführen, weil der gesamte Adel die schmutzige, halbpornographische La Pucelle auswendig zu rezitieren pflegte, und er fürchtete, sich mit Schillers edlem Schauspiel lächerlich zu machen.
Schiller identifizierte sich mit diesem Stück mehr als mit jedem anderen. An Körner schrieb er, beim Schreiben sei er mit seinem ganzen Herzen dabei gewesen, während bei früheren Stücken der Geist mit dem Material gekämpft habe. Und seinem Verleger gegenüber betonte er, das Stück sei ihm aus dem Herzen geflossen, und das Herz solle es ansprechen. Dafür sei es aber nötig, daß man ein Herz habe, und das sei leider nicht immer der Fall.
In dem schönen Gedicht Das Mädchen von Orleans sagt er:
"Dich schuf das Herz! Du wirst unendlich leben!" Die historische Jeanne d'Arc nahm von Gott die Mission an, Frankreich von der englischen Besatzung zu befreien. Der schwache Dauphin, dem Schiller alle Merkmale eines Romantikers gibt, ist nicht fähig, sein Land zu verteidigen, aber die einfache Hirtin Johanna übernimmt diese Verantwortung. Niemand in ihrer Umgebung versteht sie, weil niemand auf ihrer Ebene denkt und empfindet. Sie akzeptiert die Bedingung, daß sie niemals irdische Liebe zu einem Mann fühlen wird, wenn sie ihre göttliche Aufgabe erfüllen soll.
Die Jungfrau von Orleans, Prolog, 4. Auftritt
Aber dann spürt sie plötzlich eine Liebe zu Lionel, dem letzten verbliebenen englischen Kommandeur, den sie eigentlich töten müßte. Der Schock, daß sie fähig war, ihren Eid zu brechen, wirft sie völlig aus dem Gleichgewicht, sie zweifelt an sich selbst und verliert ihre übernatürlichen Kräfte.
Die Jungfrau von Orleans, 4. Aufzug, 1. Auftritt
(Die Musik hinter der Szene geht in eine weich schmelzende Melodie über)
Wehe! Weh mir! Welche Töne!
Wie verführen sie mein Ohr!
Jeder ruft mir seine Stimme,
Zaubert mir sein Bild hervor!
Daß der Sturm der Schlacht mich faßte.
Speere sausend mich umtönten
In des heißen Streites Wut!
Wieder fänd ich meinen Mut!
Diese Stimmen, diese Töne,
Wie umstricken sie mein Herz,
Jede Kraft in meinem Busen
Lösen sie in weichem Sehnen,
Schmelzen sie in Wehmuts-Tränen!
(Nach einer Pause lebhafter)
Sollt ich ihn töten? Konnt ichs, da ich ihm
Ins Auge sah? Ihn töten! Eher hätt ich
Den Mordstahl auf die eigne Brust gezückt!
Und bin ich strafbar, weil ich menschlich war?
Ist Mitleid Sünde? - Mitleid! Hörtest du
Des Mitleids Stimme und der Menschlichkeit
Auch bei den andern, die dein Schwert geopfert?
Warum verstummte sie, als der Walliser dich,
Der zarte Jüngling um sein Leben flehte?
Arglistig Herz! Du lügst dem ewgen Licht,
Dich trieb des Mitleids fromme Stimme nicht!
Warum mußt ich ihm in die Augen sehn!
Die Züge schaun des edeln Angesichts!
Mit deinem Blick fing dein Verbrechen an,
Unglückliche! Ein blindes Werkzeug fodert Gott,
Mit blinden Augen mußtest dus vollbringen!
Sobald du sahst, verließ dich Gottes Schild,
Ergriffen dich der Hölle Schlingen!
(Die Flöten wiederholen, sie versinkt in eine stille Wehmut)
Frommer Stab! O hätt ich nimmer
Mit dem Schwerte dich vertauscht!
Hätt es nie in deinen Zweigen,
Heilge Eiche! mir gerauscht!
Wärst du nimmer mir erschienen,
Hohe Himmelskönigin!
Nimm, ich kann sie nicht verdienen,
Deine Krone, nimm sie hin!
Ach, ich sah den Himmel offen
Und der Selgen Angesicht!
Doch auf Erden ist mein Hoffen,
Und im Himmel ist es nicht!
Mußtest du ihn auf mich laden
Diesen furchtbaren Beruf,
Konnt ich dieses Herz verhärten,
Das der Himmel fühlend schuf!
Willst du deine Macht verkünden,
Wähle sie, die frei von Sünden
Stehn in deinem ewgen Haus,
Deine Geister sende aus,
Die Unsterblichen, die Reinen,
Die nicht fühlen, die nicht weinen!
Nicht die zarte Jungfrau wähle,
Nicht der Hirtin weiche Seele!
Kümmert mich das Los der Schlachten,
Mich der Zwist der Könige?
Schuldlos trieb ich meine Lämmer
Auf des stillen Berges Höh.
Doch du rissest mich ins Leben,
In den stolzen Fürstensaal,
Mich der Schuld dahinzugeben,
Ach! es war nicht meine Wahl!
Sie könnte sich verteidigen, indem sie von ihrer Mission spricht, aber sie schweigt, weil ihr früheres Vertrauen erschüttert wurde, als sie einen Moment lang Liebe für den Feind empfand. Alle ihre früheren Anhänger und Freunde beginnen an ihr zu zweifeln, und alle außer einem verlassen sie.
Sie wird eine Gefangene der Engländer. Als sie hört, daß ihr König in Gefahr ist, ruft sie Gott an, sie zu befreien. Mit übernatürlichen Kräften bricht sie ihre Ketten, eilt zum Schlachtfeld und bringt den Sieg, wird dabei aber tödlich verwundet.
Jetzt ist sie wieder die Prophetin, der Kriegsengel, aber auf einer höheren Ebene als vorher. Sie hatte die Aufgabe, die Mission angenommen und war siegreich gewesen. Doch dann erlebte sie eine Schwäche und war vorübergehend auf eine niedrigere Bewußtseinsebene herabgesunken: "Ach, es war nicht meine Wahl." Angesichts der Wirklichkeit, als nämlich das Ziel ihrer Mission, Frankreich zu retten, gefährdet ist, erlangt sie aber ihre alte Kraft zurück und vollendet die Aufgabe.
Johanna ist jetzt verwandelt, frei. Sie tritt dem Tod mit der Stärke einer Person entgegen, die die Geschichte zum Besseren verändert hat. Sie hat auf der Ebene des Erhabenen gehandelt.
Johanna: (sieht heiter lächelnd umher)
Und ich bin wirklich unter meinem Volk.
Und bin nicht mehr verachtet und verstoßen?
Man flucht mir nicht, man sieht mich gütig an?
- Ja, jetzt erkenn ich deutlich alles wieder!
Das ist mein König! Das sind Frankreichs Fahnen!
Doch meine Fahne seh ich nicht - Wo ist sie?
Nicht ohne meine Fahne darf ich kommen,
Von meinem Meister ward sie mir vertraut,
Vor seinem Thron muß ich sie niederlegen,
Ich darf sie zeigen, denn ich trug sie treu...
Seht ihr den Regenbogen in der Luft,
Der Himmel öffnet seine goldnen Tore,
Im Chor der Engel steht sie glänzend da,
Sie hält den ewgen Sohn an ihrer Brust,
Die Arme streckt sie lächelnd mir entgegen.
Wie wird mir - Leichte Wolken heben mich -
der schwere Panzer wird zum Flügelkleide.
Hinauf - hinauf - Die Erde flieht zurück -
Kurz ist der Schmerz und ewig ist die Freude!
Genau hier kommt es auf die Führung an. Jeder muß sich fragen: "Werde ich nur untätig dasitzen und zusehen, wie die Menschen Kanonenfutter einer faschistischen Bewegung werden?" - so wie Hitler die Menschen während der letzten Depression verheizte? Oder erinnern wir uns an das, was etwa Franklin Roosevelt in den USA zur gleichen Zeit tat? Roosevelt durchbrach die Realitätsverweigerung. Er wandte sich an die "vergessenen Leute". Roosevelt drückte sich genauso wie es unsere liebe Amelia Robinson aus: Das einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht. In der Krise übertrug die Bevölkerung ihre Werte auf Roosevelt, weil er wirklich Führung vorlebte.
Für politische Führung ist eine Qualität notwendig. Sie muß von Menschen ausgeübt werden, die die klassischen Prinzipien und das Wissen von Denkern verkörpern, die vor Jahrtausenden gelebt haben. Sie müssen ihre Identität darin sehen, was sie für die nächsten Generationen beitragen können, und das auch ausstrahlen. Sie müssen das tun, was ein Feldherr im Krieg tut. Man muß sich die Frage stellen: Bin ich bereit, mein Leben für Menschen zu riskieren, die ich nicht kenne, die vielleicht noch nicht einmal geboren sind? Das widerspricht offensichtlich dem Zeitgeist und den Ansprüchen der Spaßgesellschaft. Aber wenn man in der Geschichte zurückblickt, war es das, was zählte, um die Menschheit weiterzubringen.
Furcht verhindert das Erhabene. Wenn man nichts zu fürchten hat als die Furcht selbst, sollte man sie abschütteln. In diesem Sinne zähle ich auf Sie.
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