| Juli 1999: |
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Jahrhundertereignisse werfen ihre "Schatten" voraus, so auch die einzige Sonnenfinsternis im 20. Jahrhundert, bei der die Totalitätszone Deutschland überstreicht.
Im Bild: Der Autor dieses Artikels, Wolfgang Thüne, als Meteorologe bekannt aus den ZDF-Nachrichten
Die Zentrallinie der Finsterniszone geht dabei genau über Stuttgart. Um 13.34 Mitteleuropäischer Sommerzeit (Ortszeit) wird der Höhepunkt der Finsternis mit einer Totalitätsdauer von 2,17 Minuten erreicht. Der Mondschatten hat dabei eine Geschwindigkeit von 2664 km/h! Außerhalb der nur 109 Kilometer breiten Totalitätszone ist die Finsternis partiell zu sehen. In Frankfurt werden 98%, in Berlin 87%, in Hamburg 86% und in Konstanz 98% der Sonnenscheibe vom Mond bedeckt. Die letzte von Deutschland aus zu sehende totale Sonnenfinsternis fand am 19. August 1887 statt. Erst am 3. September 2081 wird der Kernschatten des Mondes wieder die südlichsten Gebiete Deutschlands streifen, am 7. Oktober 2135 wird er dann über Hamburg und Berlin ziehen.
Mit diesen Taten ließ die griechische Zivilisation alles Frühere hinter sich. Sie hat die Wissenschaft im eigentlichen Sinn geboren, die objektive, von Vorurteil, Mythos und Metaphysik befreite Forschung. Sie schenkte auch der Welt den ersten echten Astronomen. Das war um etwa 150 v.Chr., als die Römer gleichzeitig Karthago und Korinth zerstörten. Da sah ein junger Grieche namens Hipparch am Himmel einen Stern, der vorher nicht da war. Er begann ein "gottwidriges Unternehmen, nämlich die Sterne zu zählen und ihre Plätze zu vermessen". Das Unternehmen galt bei seinen Zeitgenossen nicht nur als gottwidrig, schlimmer noch, als dumm. Hipparch bemerkte, daß im Laufe der Zeit die Tierkreiszeichen verrutschten, das heißt der Frühlingspunkt wanderte. Die ganze Weltgeschichte wurde danach eingeteilt in das Zeitalter der Zwillinge (6400-4300 v.Chr.), das Zeitalter des Stiers (4300-2100 v.Chr.), das Zeitalter des Widders (2100 v.Chr.-100 n.Chr.) und das Zeitalter der Fische (100-2300 n.Chr.).
Hipparch gelang dabei etwas Ungewöhnliches. Die Jahresdauer berechnete er auf etwa 6 Minuten genau. Die Durchmesser von Sonne und Mond fand er veränderlich und schloß daraus, daß sie uns bald näher, bald ferner stehen. Den mittleren Mondabstand bestimmte er auf 33 Erddurchmesser, nur um 3 zuviel. Er versuchte gar, den Sonnenabstand an der Größe des Mondschattens auf der Erde bei totaler Sonnenfinsternis abzuschätzen. Doch dies gelang aus Zeitgründen nicht. Hipparch entdeckte die wechselnden Geschwindigkeiten der Planeten, doch lösen konnte er dieses Problem nicht.
Drei Jahrhunderte vergingen. Dann kam Ptolemäus, ein Ägypter. Der große Ptolemäus, unbestrittener Monarch der Astronomie für anderthalb Jahrtausende, hat den "Kosmos" wiederhergestellt. Er rühmte sich: "Wem meine Konstruktion zu künstlich vorkommt, möge daran denken, daß nur die gleichförmige Bewegung auf einem Kreis der göttlichen Natur entspricht. Und alle scheinbaren Unregelmäßigkeiten darauf zurückzuführen, darf man wohl eine Großtat nennen. Mit ihr ist das Endziel der Philosophie und Wissenschaft erreicht."
Ptolemäus hatte das Rätsel der unregelmäßigen Bewegungen der Gestirne nur scheinbar, mathematisch gelöst, wobei er einige Zahlen von Hipparch umfrisieren mußte. Welch eine Resignation gehörte dazu, daß der Menschengeist sich zufrieden gab mit einer solchen Weltmechanik. Wie kläglich endete der griechische Ansatz einer objektiven, auf reine Naturbeobachtung basierenden Astronomie und Physik. Diese Tragödie hat mehr als nur historisches Interesse. Es sieht fast so aus, als ob auch unsere heutige Wissenschaft wieder einmal an solch einem "Ende" angekommen sei, wenn sie auch viele "Erkenntnisse" wie Ptolemäus als Triumph empfindet. Da wirkt es tröstlich, daß es nach Nikolaus Kopernikus, der das "geozentrische Weltbild" ablöste und das "heliozentrische Weltbild" wiederherstellte, Johannes Kepler anderthalb Jahrtausende nach Ptolemäus doch noch gelang, das angeblich letzte Wort der ägyptischen Astronomie zu widerlegen und den "mathematischen Triumph des Widersinns" durch eine noch exaktere Mathematik zu übertrumpfen, die sich sinnvoll der Realität anpaßte und nicht diese in das Zwangskorsett eines abstrakten "Modells" hineinzwängte.
Verfolgt man den Lauf der Wissenschaftsgeschichte, so neigt die Forschung von Hause aus zur Theorie! Das ist ein idealistischer Charakterzug an ihr. In Griechenland gab es nur einen einzigen Beobachter, Hipparch. Ging dieser dem Theoretiker Ptolemäus voraus, so beginnt die abendländische Astronomie mit dem Theoretiker Kopernikus. Er verließ sich vollständig auf die Angaben von Ptolemäus und hielt sie für unübertrefflich, für den absoluten Gipfel menschlicher Beobachtungskunst. Auf dezente Kritik reagierte der ansonsten ruhige Frauenburger Domherr geradezu wütend: "Wie kann der Kerl sich unterstehen, an dem astronomischen Halbgott seine bübische Kritik zu üben!" Erst in hohem Alter hat Kopernikus eingestanden, was die größte Enttäuschung seines Lebens war: daß er erkennen mußte, daß auch der Halbgott Ptolemäus manchmal die Tatsachen zurechtgebogen habe.
Der erste neuzeitliche Astronom, der Hipparch gleichzusetzen ist, ist Tycho Brahe. Brahe fand heraus, daß alle früheren Angaben unter einem prinzipiellen Fehler litten, herrührend von der Strahlenbrechung in der Atmosphäre. Sternstrahlen laufen krumm, wenn sie durch verschieden dicke Luftschichten gehen. Man sieht die Sonne noch am Horizont, wenn sie in Wirklichkeit schon "untergegangen" ist. Brahe korrigierte jede Himmelshöhe! Den Winkel, den die Erdbahn zur Erdachse bildet, bestimmte er zu 23°31'15". Kopernikus hatte ihn mit 23°28' angegeben. "Drei Minuten Unterschied! Dann muß Kopernikus die geographische Breite seines Wohnorts drei Minuten falsch gemessen haben! Das kann ich von dem großen Forscher gar nicht glauben." Brahe schickte seinen Assistenten ins ostpreußische Frauenburg, um das unglaubliche Versehen nachzuprüfen. Der bestätigte: Kopernikus war nicht imstande, seine geographische Breite richtig zu bestimmen. Er brachte außerdem das einzige kopernikanische Instrument nach Haus. Brahe schüttelte den Kopf, als er es sah, dann hängte er es in seiner Bibliothek als historisches Dokument auf - ein Dokument, wie weit der Geist auf einem Stecken reiten kann, und wie wenig Ahnung Theoretiker vom astronomischen Handwerk haben.
Doch auch der Praktiker Brahe wurde Opfer der Theorie! Wie bei allen seinen Zeitgenossen sträubte sich sein Inneres dagegen, daß der Menschenwohnsitz aus dem Mittelpunkt der Welt verwiesen und zu einem ganz gewöhnlichen Planeten degradiert wurde. Lange Jahre plagte er sich mit dem Problem: "Wie lassen sich die kopernikanischen Errungenschaften vereinen mit der Menschenwürde, mit meiner inneren Gewißheit, daß der Herrgott unseretwillen und um uns herum die Himmelskörper kreisen ließ?" Doch eines Tages glaubte er die Lösung zu haben: die Erde ruht im Mittelpunkt der Welt, die Sonne kreist um sie im Jahresverlauf - doch die Planeten kreisen um die Sonne! Brahe wurde Opfer seiner Weltanschauung!
Der Mensch ist immer der Versuchung ausgesetzt, sich eine Natur nach seinem Bilde zurechtzubasteln. Er neigt auch stets zur Hybris, zur Selbstüberschätzung. Als eine Sonnenfinsternis nach seiner Vorhersage eintraf, strahlte Brahe seinen Onkel an: "So etwas vorherzuwissen, macht doch einen Menschen beinahe zu einem Gott." "Merkwürdig", sagte der Onkel, "ich kenne unseren Hofastrologen schon so lang, aber er ist mir nie gottähnlich vorgekommen."
Als letzter der großen Astronomen gab sich Kepler mit Sterndeutung ab. Er hat als einziger versucht, eine Erfahrungswissenschaft daraus zu machen. Da über einigen geglückten Prophezeiungen die vielen Fehlschläge vergessen zu werden pflegen, beschloß er, durch möglichst objektive Statistik der Sache auf den Grund zu kommen. Seine Resultate fielen nicht sehr günstig aus. Auch mit Wetterprogno sen hat er es versucht. Ein von ihm angekündigtes Gewitter trat so prompt und gewaltig ein, daß die verängstigten Leute auf der Straße schrien: "Der Kepler kömt! Der Kepler kömt!" Aber nach diesem Glücksfall versagte sein Kalender völlig. Von da an machte er tägliche Aufzeichnungen und kontrollierte seine Vorausberechnungen danach, mit dem Erfolg, daß er das Handwerk aufgab!
Nach dem Astronomen Kepler versuchte der Abt Mauritius Knauer, den Geheimnissen des Wetters auf die Spur zu kommen. Doch er resignierte bereits nach 7 Jahren Beobachtung, weil das Wetter einfach nicht den Gestirnen gehorchen wollte. Dennoch wird an den künstlich hochgerechneten "Hundertjährigen Kalender" aller Rationalität zum Trotze auch heute noch vielfach geglaubt. Da es mit den Wetterprognosen partout nicht klappen wollte und selbst heute nicht will, wird das unstillbare Neugierbedürfnis des Menschen, die geheimnisvollen Karten der Zukunft deuten und lesen zu wollen, mit hundertjährigen "Klimaprognosen" zu befriedigen versucht. Doch trotz immer größerer und schnellerer "Rechenknechte" bleibt dieses Vorhaben utopisch, ja vergeblich, weil man statistische Mittelwertkonstrukte wie das "Klima" nicht vorhersagen kann. Die große Unbekannte ist und bleibt das Wetter. Es beschert uns die alltäglichen Regen-, Schnee- und Sturmkatastrophen, die wir dem "Klima" andichten.