| November 2002: |
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Im Bild die Chirurgische Klinik der Universität Mainz, in der die Kinderchirurgie untergebracht ist. Jährlich werden hier 8000 Patienten ambulant operiert und in den 41 Betten Kinder bis zum Alter von 15 Jahren nach Operationen versorgt. Die Liegedauer beträgt im Durchschnitt 4,7 Tage. Frauke Richter beschreibt die schwieriger werdende Situation.
In den letzten Jahren haben der Club of Life und die BüSo immer wieder vor den Folgen der verfehlten Wirtschaftspolitik auf den Gesundheitssektor gewarnt. Daß die Krise jetzt da ist, gibt inzwischen jeder Politiker mehr oder weniger offen zu, denn Massenarbeitslosigkeit, Pleitewellen und die Zahlungsunfähigkeit vieler Städte und Gemeinden sprechen eine deutliche Sprache. Doch leider scheinen unsere Politiker immer noch so sehr in ihrem alten Denken gefangen zu sein, daß sie nur einen Ausweg sehen: Sparen - ein Hirngespinst, dem sie nun seit vielen Jahren nachjagen. Und - hat sich etwas verbessert?
Die jetzt von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt unmittelbar nach den Wahlen überfallartig vorgestellten Sparpläne sind genauso wenig eine Lösung für die Probleme des Gesundheitswesens wie die Einschnitte, die noch Horst Seehofer vornahm, vielmehr werden sie die schon katastrophale Situation weiter verschärfen. Ärztekammerpräsident Hoppe nannte das Sparpaket bereits den schlimmsten "Tiefschlag" seit dem Krieg. Und weiter: "Wenn die Regierung den Sozialfrieden aufkündigt und die Konfrontation sucht, wird sie die auch finden."
Dabei ist gar nicht klar, ob Frau Schmidt mit ihrem Einsparziel von 3,5 Mrd. Euro für 2003 überhaupt einen nennenswerten Effekt erreichen wird, denn der Einnahmerückgang der Kassen wird bei explodierenden Arbeitslosenzahlen im kommenden Jahr beschleunigt weitergehen.
Klar ist auf jeden Fall, daß die medizinische Versorgung der Bevölkerung in den letzten Jahren gelitten hat. So ist die Krankenhausversorgung auf dem besten Weg in amerikanische Verhältnisse. Und dabei will ausgerechnet die Unternehmensberatung McKinsey mithelfen. Sie hat ausgerechnet, daß in den kommenden Jahren rund 400 von derzeit 2200 Krankenhäusern überflüssig sein werden, und das nicht etwa, weil sie nicht mehr gebraucht würden, sondern weil sie als nicht wettbewerbsfähig gelten. Der Grund: Spätestens vom 1. Januar 2004 an sollen Krankenhäuser stationäre Behandlungen nicht mehr nach der Zahl der Behandlungstage abrechnen, sondern nach sogenannten Fallpauschalen oder DRGs (Diagnosis Related Groups). Das heißt, für jede gestellte Diagnose gibt es einen festgelegten Betrag. Überschreitet die Klinik diesen, z.B. wegen Komplikationen, bezahlt sie die entstehenden Mehrkosten aus der eigenen Tasche. Medizinische Fehlentscheidungen aus Kostenerwägungen sind vorprogrammiert.
Doch Gesundheitsministerin Schmidt behauptet, das werde zu einer Verbesserung der Versorgung führen, und hat Krankenhäusern, die das DRG-Abrechnungssystem noch vor dem vorgesehenen Termin einführen wollen, die Ausnahme vom angekündigten Budgetstopp in Aussicht gestellt.
Vielerorts ist die hausärztliche Versorgung nicht mehr sichergestellt, da diese sich durch das gegenwärtige Vergütungssystem nicht mehr lohnt. Auf den Dörfern fährt der Hausarzt oft kilometerweit zu Hausbesuchen, und das nicht nur zweimal im Quartal pro Patient. Nur soviel bekommt er aber von der Krankenkasse erstattet. Den Rest bezahlt er aus eigener Tasche. Viele Arztpraxen schlossen daraufhin, oft auch, als der Arzt das Rentenalter erreichte. Einen Nachfolger gibt es so gut wie nie. In vielen Dörfern stehen nun viele Familien und vor allem ältere Menschen ohne hausärztliche Versorgung da. Sie müssen zum Arzt in die nächstgrößere Stadt fahren.
Durch die neuen Fallpauschalen stehen besonders Kliniken mit geringem Zuzug aus dem Umland vor dem Aus, da sie ein breites Spektrum an medizinischer Versorgung abdecken müssen und eine Spezialisierung ausgeschlossen ist.
Aber selbst spezialisierte Kliniken stehen mit dem neuen Vergütungssystem vor großen Problemen. So leidet z.B. die einzige kinderchirurgische Klinik von Rheinland-Pfalz in Mainz nicht nur an chronischem Personalmangel - ohne Unterstützung durch die Eltern beim Wickeln, Füttern und psychologischer Betreuung der Kinder hätten die Kinderkrankenschwestern längst kapitulieren müssen. Jährlich werden hier 8000 Patienten ambulant operiert und in den 41 Betten Kinder bis zum Alter von 15 Jahren nach Operationen versorgt. Die Liegedauer beträgt im Durchschnitt 4,7 Tage. Hier werden normale Brüche genauso behandelt wie angeborene Bauchdeckenspalten, Trichterbrust, Fehlbildungen im Anal- und Genitalbereich - auch bei Früh- und Neugeborenen. Dazu kommt, daß die Mainzer Kinderchirurgie eines der deutschen Zentren ist, in denen schwerst brandverletzte Kinder behandelt werden. Diese Spezialisierung beinhaltet auch, ständig Betten und Personal für Verbrennungsopfer aus dem gesamten Bundesgebiet bereitzuhalten.
Mit dem neuen Fallpauschalensystem wird der viel intensiveren Behandlung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen in keiner Weise Rechnung getragen. Kinder reagieren anders auf Schock und Schmerz, können oft nicht genau erklären, wo genau es ihnen weh tut. Mit den dann geltenden Festpreisen aber ist die stationäre Versorgung von Kindern und Jugendlichen, nicht nur in diesem Krankenhaus, in Gefahr.
Mit Einführung der DRGs sagen Experten außerdem einen weiteren drastischen Bettenabbau voraus, weil die Patienten künftig erheblich kürzer im Krankenhaus liegen werden (wahrscheinlich bestimmt das dann die Managementabteilung des Krankenhauses). Darüber hinaus stehe eine riesige Privatisierungswelle bevor.
So ist beispielsweise für das Klinikum Hannover an die Gründung einer GmbH angedacht. Ab 1. Januar 2003 übernimmt zwar erst einmal die Region die Trägerschaft, so daß zu den sieben städtischen Krankenhäusern noch sechs kommunale Krankenhäuser aus dem hannoverschen Umland hinzukommen. Im Klinikverbund werden dann 6500 Mitarbeiter beschäftigt sein - darunter 750 Ärzte und gut 2300 Pflegekräfte. Doch eine Privatisierung nach dem Modell des Landesbetriebes Krankenhäuser (LBK) Hamburg, des größten deutschen "Klinikkonzerns", ist in Hannover nicht ausgeschlossen, wird bis jetzt aber nicht für notwendig gehalten. Allerdings sollen kaufhungrige Krankenhausketten wie die Sana-Kliniken GmbH (derzeit 65 Krankenhäuser mit rund 16000 Betten) und die Asklepios-Kliniken GmbH (64 Kliniken in Deutschland und den USA mit zusammen 14000 Betten) an Hannover interessiert sein.
Im LBK Hamburg hat man vor sechs Jahren modernisiert, dabei wurden aus zehn Krankenhäusern acht. Die verbliebenen Häuser spezialisierten sich. Die Verwaltung wurde zusammengefaßt. Jetzt will die Hansestadt bis zum Jahresende den LBK an einen privaten Investor verkaufen.
Das alles erinnert stark an die Privatisierungsschlachten mit amerikanischen Krankenhäusern. Vor zwei Jahren hatte die LaRouche-Bewegung in einer weltweiten Kampagne versucht, die Schließung des D.C. General Hospital in Washington zu verhindern. Diese Klinik - das einzige öffentliche Krankenhaus in der Hauptstadt der USA, in dem Schwarze ohne Krankenversicherung behandelt wurden - war ebenfalls von einer Krankenhauskette aufgekauft und dann aus "Kostengründen" geschlossen worden. In der Folge kam es zu zahlreichen Todesfällen, weil Patienten nicht mehr rechtzeitig in andere Kliniken eingeliefert werden konnten oder dort abgelehnt wurden. Wollen wir in Deutschland tatsächlich solche "amerikanischen Verhältnisse"?
Der Pflegeberuf ist anstrengend. Viele fühlen sich überfordert und suchen sich eine andere Tätigkeit. Auch die relativ schlechte Vergütung ist ein Grund für den Berufswechsel. Bei einem monatlichen Bruttoeinkommen von 2200 bis 2500 Euro incl. Schichtdienst bedarf es z.B. in Ballungsräumen wie dem Rhein-Main-Gebiet viel Glücks und Rechenkunst, um eine finanzierbare Wohnung zu finden. So verwundert es nicht, daß bei einer Umfrage der Dienstleistungsgewerkschaft verdi in 14 Frankfurter Krankenhäusern und Altenheimen für die Arbeitszufriedenheit im Mittel nur die Schulnote 3,6 vergeben wurde. Gründe dafür sind vor allem Überstunden, häufiges Einspringen für Kollegen und ein Arbeiten unterhalb des eigenen Qualitätsanspruchs. So geht der Trend in der Personalfrage eindeutig zur Einstellung von mehr Aushilfskräften, was wiederum den Druck auf die verbleibenden Fachkräfte erhöht - eine Abwärtsspirale ohne Ende?
Es wäre grundfalsch, den Kampf um ein gutes Gesundheitssystem aufzugeben. Die Krise ist vielmehr ein guter Grund mehr, um für eine Wende in der gesamten Wirtschaftspolitik zu sorgen. Je mehr mündige Bürger für ihre Rechte auf die Straße gehen, desto eher kehrt auch die Vernunft der Politiker zurück.
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