| Mai 2002: |
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Beispiel Ludwighafen: Globalisierung, Spekulationsverluste und Wirtschaftsdepression lassen vor allem die Gewerbe- und Körperschaftssteuereinnahmen wegbrechen. Für die kommenden vier Jahre ist ein Steuerloch von 65 Mrd. Euro angesagt. In den Kommunen ist längst der Finanznotstand ausgebrochen und die Infrastruktur zerfällt.
In Bild das Engelhorn-Hochhaus der Firma BASF, die seither Haupt-Steuerzahler der Stadt Ludwigshafen war.
Finanzminister Hans Eichel macht in diesen Tagen eine Erfahrung, die schon seinen Vorgänger Theo Waigel zur Verzweiflung brachte: Je mehr er sich anstrengt, die öffentlichen Ausgaben zu begrenzen, desto schneller laufen die Staatsfinanzen aus dem Ruder. Das Gesamtdefizit von Bund, Ländern und Gemeinden erhöhte sich von 33 Mrd. Euro im Jahr 2000 auf fast 50 Mrd. Euro im Jahr 2001, den höchsten Betrag seit fünf Jahren. Herausragend war dabei vor allem der drastische Anstieg des Defizits der Länder, das sich von 9,8 Mrd. Euro im Vorjahr auf 27,6 Mrd. Euro beinahe verdreifachte. Allein im vierten Quartal 2001 betrug das Defizit der Länder 16,2 Mrd. Euro, rund doppelt so viel wie im Jahr zuvor.
Die rasant ansteigenden Defizite sind dabei keineswegs die Folge irgendwie ausgeweiteter Aktivitäten des Staates. Insbesondere die Investitionsausgaben der Länder sind seit 1995 deutlich zusammengestrichen worden, wovon unter anderem die Investitionszuschüsse an Krankenhäuser, Bildungseinrichtungen, Wohnungsbaugesellschaften und in den Schienennahverkehr betroffen waren.
Die Defizite resultieren vielmehr aus einem massiven Einbruch der Steuereinnahmen. Im vierten Quartal 2001 sank das Steueraufkommen der Länder um 10,1%, in Nordrhein-Westfalen sogar um ein Viertel. Zusätzlich zur weltweiten Eintrübung der Wirtschaftslage wirken sich hier die jüngsten Steuerreformen aus. Aufgrund der Absenkung des Körperschaftssteuersatzes hatte man schon in der Steuerschätzung vom Herbst 2000 eine Halbierung der Einnahmen aus dieser Steuer im Jahre 2001 gegenüber dem Vorjahr (23,6 Mrd. Euro) eingeplant. Doch es kam weitaus schlimmer: Die Einnahmen blieben sogar hinter den Rückerstattungen an die Unternehmen zurück, so daß die Körperschaftssteuer für die öffentlichen Haushalte im Jahr 2001 gar einen Negativposten von 0,4 Mrd. Euro darstellten.
Das Jahr 2002 brachte gleich den nächsten Steuerschock: Die Steuereinnahmen in den ersten beiden Monaten sollten nach Vorausschätzung eigentlich um 4,8% höher liegen als im Vorjahr. Statt dessen brachen sie erneut um 2,9% ein. Die Einnahmen aus der Umsatzsteuer blieben dabei um 7% hinter dem Ergebnis des Vorjahres zurück.
Am 16. Mai ließ schließlich der Arbeitskreis Steuerschätzung seine Bombe platzen: Im Vergleich zur sechs Monate zurückliegenden Schätzung werden die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden im Jahr 2002 um 11,7 Mrd. Euro niedriger ausfallen, in den folgenden drei Jahren jeweils um rund 18 Mrd. Euro, macht zusammen ein Steuerloch in vier Jahren von mehr als 65 Mrd. Euro!
Kommunale Einrichtungen wie Krankenhäuser, Büchereien, Schwimmbäder, Kinderspielplätze und Theater werden reihenweise geschlossen. Schulgebäude verfallen, weil für dringend nötige Reparaturen kein Geld da ist. Die für den Erhalt der Straßen in regelmäßigen Abständen erforderlichen Investitionen können nicht mehr getätigt werden, was dann in ein paar Jahren einen sehr viel teureren Neubau erzwingt. In anderen Ortschaften müssen sich Autofahrer auf ihrem Weg zur Arbeitsstelle lange Umwege gefallen lassen, weil baufällige Brücken nicht mehr saniert, sondern statt dessen in der Hoffnung auf bessere Zeiten einfach gesperrt werden.
Wären die Städte und Gemeinden privatrechtliche Unternehmungen, so hätten Hunderte von ihnen, darunter fast alle Großstädte im Ruhrgebiet, längst die Zahlungsunfähigkeit erklärt. Andererseits ist der Löwenanteil ihrer Ausgaben gesetzlich vorgeschrieben, so daß auch Kürzungen kaum noch möglich sind. Eine Weile konnten sie ein paar zusätzliche, aber einmalige, Einnahmen dadurch realisieren, daß sie Versorgungsbetriebe aller Art privatisierten. Im Gegenzug müssen die Kommunen dafür nun häufig Leasinggebühren an die privatisierten Unternehmen entrichten, was ihre laufenden Kosten weiter erhöht.
Weil sie aber auch nicht in der Lage sind, ihre langfristige Verschuldung von nunmehr 88 Mrd. Euro weiter auszudehnen - das dürfen sie nach dem Gesetz nur bei nachhaltig verbesserter Einnahmesituation - , verfallen unzählige Städte und Gemeinden in ihrer Not inzwischen auf eine im Grunde illegale Praxis: Sie nehmen immer mehr kurzfristige Überziehungskredite - sogenannte Kassenkredite - auf, um damit Sozialausgaben zu tätigen oder Personalkosten zu bezahlen. Die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Städtetages Monika Kuban erklärte hierzu im April: "Viele Städte müssen die alltäglichen Ausgaben auf Pump finanzieren. Das ist quasi ein ungesetzlicher Zustand, der in vielen Städten jedoch traurige Realität geworden ist." Allein im Jahre 2000 schnellte das Volumen ausstehender Kassenkredite der deutschen Kommunen um 20% in die Höhe, von 5,9 Mrd. Euro auf 7,2 Mrd. Euro. In den neuen Bundesländern betrug die Wachstumsrate sogar 51%.
| Ludwigshafen | -68,5% |
| Leverkusen | -64,7% |
| Krefeld | -50,3% |
| Rostock | -46,3% |
| Pirna | -42,2% |
| Wilhelmshaven | -40,3% |
| Gera | -40,1% |
| Dessau | -39,6% |
| Leipzig | -38,8% |
| Frankfurt a.M. | -38,3% |
| Aachen | -37,3% |
| Halle | -33,4% |
| Wittenberg | -33,4% |
| Stuttgart | -33,1% |
| Gelsenkirchen | -32,0% |
| Braunschweig | -30,3% |
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Tabelle 1. Städte mit besonders starkem Gewerbesteuereinbruch 2001 gegenüber 2000 | |
Dieser "völlig unerwartet starke" Einbruch der Gewerbesteuereinnahmen ist um so besorgniserregender, als er kein zeitlich begrenztes Phänomen darstellt, sondern vielmehr durch die Globalisierung der deutschen Wirtschaft hervorgerufen wird. International tätige deutsche Konzerne haben inzwischen die Kunst perfektioniert, das Preisgefüge ihrer Tochtergesellschaften derart zu gestalten, daß Gewinne vornehmlich in Ländern mit geringer Steuerbelastung geschrieben werden. Zudem gehörten viele deutsche Großunternehmen in den vergangenen paar Jahren zu den Hauptakteuren bei der globalen Übernahmeschlacht. Nach dem Aktiencrash der Jahre 2000/2001 sind die meist zu irrwitzigen Preisen erbeuteten Unternehmungen heute nur noch einen Bruchteil des Kaufpreis wert. Dies garantiert über viele Jahre hinweg riesige Verluste und somit - dank entsprechender Steuergesetzgebung auch der rot-grünen Regierung - das Ausbleiben steuerpflichtiger Gewinne.
Anfang des Jahres erklärte der Deutsche Städtetag in seiner Schrift "Aktuelle Finanzlage der Städte", die katastrophale Lage bei den Gewerbesteuern sei nicht zuletzt dadurch zustande gekommen, daß "gerade die bisherigen Hauptgewerbesteuerzahler" Gebrauch machten von den "zunehmenden Gestaltungsmöglichkeiten, die der Gesetzgeber insbesondere den Kapitalgesellschaften geschaffen hat... Selbst Unternehmen, die sich ihren Aktionären gegenüber ihrer guten Gewinne rühmen, können sich infolge der Steuergesetzgebung dieser und der vergangenen Legislaturperioden - vermutlich legal - dieser Mitfinanzierung weitgehend entziehen."
So haben es Automobilriesen wie Daimler-Benz und BMW in den vergangenen Jahren geschafft, durch Übernahmen schwächelnder Konkurrenten im Ausland soviel Verluste pro Jahr anzuhäufen, daß sie schon lange keine Steuern mehr an Stuttgart oder München gezahlt haben. Ähnlich ergeht es der Stadt Bonn inzwischen mit der Deutschen Telekom. Leverkusen muß seit dem Lipobay-Skandal ohne seinen mit Abstand wichtigsten Steuerzahler, den Chemie-Riesen Bayer, auskommen. In Gelsenkirchen mußte eine Haushaltssperre verhängt werden, weil bereits gezahlte Gewerbesteuern aufgrund der verschlechterten Ertragssituation des Eon-Konzerns an diesen zurückerstattet werden müssen.
In anderen Fällen haben die Unternehmen auch gar keine andere Wahl, als ihre Gewerbesteuerzahlungen von heute auf morgen einzustellen - nämlich dann, wenn sie übernommen werden. So ist mit Schwäbisch Hall eine der reichsten Gemeinden Deutschlands infolge der Übernahme der Bausparkasse Schwäbisch Hall durch die Frankfurter DZ Bank urplötzlich ins finanzielle Chaos gestoßen worden. Bis zu 60 Millionen Euro an Steuern pro Jahr hatte die Bausparkasse bislang an die 36000 Einwohner zählende Gemeinde abgeführt. Aber die Gewinne der Bausparkasse Schwäbisch Hall werden von nun an mit den Verlusten anderer Töchter der DZ Bank verrechnet, so daß die Gewerbesteuerpflicht entfällt. Die Bausparkasse überweist zwar weiterhin einen erheblichen Teil ihrer Gewinne, aber nicht mehr an die Gemeinde, in der die Bank und ihre Mitarbeiter kommunale Infrastrukturleistungen in Anspruch nehmen, sondern an die Konzernzentrale in Frankfurt.
Bereits neun Jahre in Folge sind die kommunalen Investitionen immer weiter abgesenkt worden. Insgesamt fielen sie von 33 Mrd. Euro im Jahre 1992 auf 22,5 Mrd. Euro im Jahre 2001. In den neuen Bundesländern werden die kommunalen Investitionen im laufenden Jahr vermutlich auf 4,5 Mrd. Euro fallen, das heißt auf wenig mehr als die Hälfte des Standes vom Jahr 1995. Ein weiterer rapider Rückgang im Jahr 2002 ist absehbar. Bei den neuen Bundesländern werden die kommunalen Investitionen nach einem Minus von 6,9% im Vorjahr in diesem Jahr voraussichtlich um weitere 8,5% einbrechen. In den alten Bundesländern rechnet man nach einer Stagnation im Vorjahr nun mit einem Rückgang um 6,3% im laufenden Jahr.
Dabei ist der Nachholbedarf an kommunalen Infrastrukturinvestitionen in Deutschland riesig. Das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu; www.difu.de) kommt hier in seiner letzten Studie für die Jahre 2000 bis 2009 auf einen Betrag von sage und schreibe 686 Mrd. Euro, 475 Mrd. Euro in den alten und 211 Mrd. Euro in den neuen Bundesländer. Zwei Drittel dieser Summe sind allein notwendig, um die bestehende, in der Regel schon mindestens drei Jahrzehnte alte, Infrastruktur einigermaßen in Schuß zu halten. Darüber hinaus gibt es gerade in den neuen Bundesländern noch immer einen sehr großen Nachholbedarf an Neuinvestitionen in grundlegende Infrastruktur aller Art. Um den in der Difu-Studie erfaßten Investitionsbedarf bis zum Jahre 2009 zu decken, wäre eine Verdreifachung der jetzigen kommunalen Ausgaben für die Infrastruktur unabdinglich.
Sowohl die jetzige wie die vorherige Regierung haben mit ihrer Steuerpolitik die spekulativen Auslandsabenteuer unserer global operierenden Großunternehmen systematisch gefördert. Zugleich ließen ihre Finanzminister die Erfüllung von Sparkriterien zum obersten Prinzip wirtschaftspolitischer Entscheidungen werden und strangulierten mit ihrer Obsession genau diejenigen staatlichen Ausgaben, ohne die eine produktive Volkswirtschaft auf Dauer nicht bestehen kann. Jetzt wird uns die Rechnung präsentiert.
| Bereich ABL | NBL | Deutschland | |
| Leitungsgebundene Energieversorgung (1) | 68.5 | 13.0 | 81.5 |
| Wasserversorgung und Umweltschutz (2) | 173.1 | 71.8 | 244.9 |
| Verkehr (Straßen und ÖPNV) | 248.2 | 101.8 | 350.0 |
| Soziale Infrastruktureinrichtungen (3) | 193.2 | 58.3 | 251.5 |
| Kommunale Verwaltungsgebäude | 28.6 | 8.1 | 36.7 |
| Kommunale Telekommunikation | 9.0 | 1.0 | 10.0 |
| Kommunaler Wohnungsbau | 32.1 | 61.7 | 93.8 |
| Sonstige kommunale Investitionsbereiche | 16.4 | 85.3 | 201.7 |
| Erwerb von kommunalem Grundvermögen | 60.0 | 12.0 | 72.0 |
| Gesamt | 929.1 | 413.0 | 1342.1 |
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(1) Strom-, Gas- und Fernwärmeversorgung (2) Wasserversorgung, Abwasserentsorgung, Abfallwirtschaft, Altablagerungen (3) Schulen, Sport, Kindertagesstätten, Krankenhäuser | |||
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