Innenminister Sarkozy (im Bild mit Angela Merkel) heizte die Auschreitungen durch gezielte Provokationen an.
Falls der französische Innenminister Sarkozy geplant haben sollte, eine hochexplosive Situation willentlich zu detonieren, dann hatte er damit zweifellos Erfolg. Seine Beschimpfung der vorwiegend aus dem Maghreb und Schwarzafrika stammenden Vorstadtbevölkerung als "Abschaum" und "Gesindel" war eine unerhörte Provokation, die zur Eskalation der Gewalt entscheidend beitrug. Aber die Explosion der Vorstadtkrawalle ist - ebenso wie vor ein paar Wochen die afrikanische Flüchtlingskrise von Ceuta und Melilla - nur ein Symptom der Tatsache, daß die gegenwärtige politische Ordnung nicht mehr trägt.
Das Schockierendste an der Gewaltwelle, die seit über 14 Tagen praktisch ganz Frankreich erfaßt hat, ist das jugendliche Alter der Täter: So war z.B. von 30 in einer Nacht in Marseille verhafteten Randalierern die Hälfte zwischen 10 und 13 Jahre alt; in einem anderen Fall waren von 150 Verhafteten 70 zwischen 10 und 18 Jahre alt, die übrigen 80 zwischen 18 und Anfang 20.
Der Grund für die Ausschreitungen ist pure Verzweiflung. Die Arbeitslosigkeit unter diesen Jugendlichen, die einen französischen Paß besitzen und deren aus dem Magreb und Westafrika stammende Familien bereits in der zweiten oder dritten Generation in Frankreich leben, ist viermal so hoch wie der Durchschnitt. Massive Kürzungen aller Sozialprogramme und die Streichung von Sozialarbeiterstellen vermittelten ihnen brutal die Botschaft: Ihr seid ganz allein auf euch selbst gestellt, tut uns leid, eine Zukunft haben wir für euch nicht eingeplant.
Der Konflikt schwelt seit Jahren, die wirtschaftliche Kluft zu den von einheimischen Franzosen abstammenden Jugendlichen wurde immer größer. Die Gewaltbereitschaft steigt ebenso wie der Konsum von Gewaltvideos; allein im Jahre 2003 wurden 28 000 Autos abgebrannt. Bei den jüngsten Zwischenfällen starb ein Mann an seinen Verletzungen, ein Behinderter wurde verletzt. Unter den unfreiwilligen Nichtstuern hat sich eine eigene Rap-Kultur entwickelt - Rapper Rohff singt z.B.: "Wieder ein Tag in der Vorstadt, nichts zu tun, wie immer." Ein anderer textet: "So viele verlorene Leben."
In den europäischen Medien orakelten alle möglichen Kommentatoren, ob nun damit zu rechnen sei, daß sich ähnliche Gewaltentladungen auch in den anderen Nationen Europas ereignen. Beschwichtigend wurde auf die besondere Situation Frankreichs nach dem Algerienkrieg hingewiesen. Doch ungeachtet dieses Wunschdenkens: Falls es zum Kollaps mehrerer Hedgefonds kommt - wie u.a. das Mitglied des Direktoriums der Schweizer Nationalbank Philipp Hildebrand gerade gewarnt hat - und ein richtiger Zusammenbruch des Weltfinanzsystems stattfindet, dann geben die französischen Entwicklungen nur den Vorgeschmack auf ein drohendes dunkles Zeitalter.
Aber nicht nur der IWF, auch der Euro ist schuld an dieser Lage. Zwar bestreiten die Befürworter des Euro einen Zusammenhang zwischen der Einführung des Euro, der Teuerung und den sozialen Krisen in den Mitgliedsländern, aber das heißt nicht viel. Die Diskrepanz im Denken zwischen dem politischen Establishment und der Bevölkerung könnte kaum größer sein. Das Vertrauen in Politik und Demokratie ist auf einem Tiefstand angelangt, und die bisherige Politikverdrossenheit ist in den letzten Monaten in eine regelrechte Politikverachtung umgeschlagen, die durchaus das Potential für kommende Staatskrisen in sich trägt.
Tatsache ist, daß der Euro sich für Frankreich als Bumerang erweist. Gerade François Mitterrand hatte 1989 einen entscheidenden Anteil an der Erpressung gegenüber Bundeskanzler Kohl, daß Frankreich der Wiedervereinigung nur zustimmen würde, wenn Deutschland die vorgezogene Währungsunion akzeptiert. Kohl berichtet davon in seinen Erinnerungen. Und Mitterrands langjähriger Mitarbeiter Jacques Attali schreibt in seinem neuen Buch C'était Mitterrand, der verstorbene Staatspräsident habe Außenminister Genscher im November 1989 gedroht, er werde eine neue "Triple-Entente" zwischen Frankreich, Großbritannien und Rußland und "Krieg" gegen Deutschland organisieren, falls Deutschland nicht der vorgezogenen europäischen Währungsunion zustimme und die D-Mark aufgebe.
Es ist ein offenes Geheimnis in der europäischen Elite, daß die gesamte Euro-Konzeption zum Zweck hatte, eine Sonderrolle des wiedervereinigten Deutschlands bei der wirtschaftlichen Entwicklung des Ostens zu verhindern, die deutsche Wirtschaft zu schwächen, die harte Währung durch eine weniger harte zu ersetzen und die deutsche Wirtschaft insgesamt in eine Struktur zu zwingen, bei der sie eine Querfinanzierung der weniger entwickelten sog. Nachholländer leisten müßte. Deutschland sollte durch die Euro-Struktur "eingedämmt" werden.
Mit der D-Mark verschenkte Deutschland die Standortvorteile einer stabilen Währung. In der ganzen Euro-Zone gab es plötzlich die gleiche Währungssicherheit, die "Big Players" investierten fortan in den Billiglohnländern. Teilweise fühlten sich auch Mittelständler unter dem Konkurrenzzwang, das gleiche zu tun, obwohl es eigentlich ihre Flexibilität überforderte. Pro Jahr gingen über 40 000 von ihnen bankrott. Das wirtschaftliche Ungleichgewicht nahm immer mehr zu, und das als Milchkuh Europas ausersehene Deutschland ist jetzt an der Grenze seiner Melkfähigkeit angelangt.
Als die Arbeitslosigkeit dann trotzdem 1967 auf 400 000 angestiegen war, wurde das als unerträglich betrachtet und führte zum Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967, dem gemeinsamen Erbe Erhards und Schillers, das staatliche Investitionsprogramme zur Überwindung der Arbeitslosigkeit sogar vorschrieb.
Heute ist die Arbeitslosigkeit in Deutschland bei offiziell fast fünf und in Wirklichkeit eher zehn Millionen angelangt. Die Illusion, daß der "europäische Prozeß" irgendwie vor den Folgen der Globalisierung schützen könnte, dürfte inzwischen bei allen außer den hartgesottensten Landpomeranzen geplatzt sein. Und der Euro hat Europa nicht stärker und einiger gemacht, sondern zu einer Zerreißprobe in jedem einzelnen europäischen Land geführt.
Deutschland ist ausgeblutet und kann nicht mehr bezahlen, das hat auch Bundeskanzler Schröder in seinem jüngsten Interview mit der Zeit und in seiner Rede beim EU-Gipfel bei London deutlich gemacht. Aber der Euro hat auch fatale Folgen für die sog. Kernländer der EU, in denen er zum Krisenverstärker geworden ist und immer größere Löcher in die Staats- und Sozialhaushalte reißt. In Deutschland werden die unverschuldet arbeitslos gewordenen Menschen in die Armut und die Degradierung geworfen, was einfach eine himmelschreiende Ungerechtigkeit ist. In Frankreich führten diese Haushaltslöcher zur Streichung der Sozialprogramme in den Vorstädten, und jetzt brennen dort die Autos, Busse und Schulen.
Für Frankreich stellt sich jetzt ganz direkt die Frage, ob es bereit ist, sich von der destruktiven Politik Mitterrands gegenüber Deutschland zu distanzieren - und das bedeutet, Deutschland dabei zu unterstützen, die Souveränität über seine Währung zurückzuerlangen, damit es etwas für seine eigene Rettung in Form staatlicher Kreditschöpfung tun kann. Oder aber die französische Regierung begeht Harakiri, indem sie an einer Politik festhält, die den Untergang Deutschlands und wegen der Verflechtung der deutschen und französischen Wirtschaft auch Frankreichs bewirkt.
Wenn sich die Parteien in Frankreich nur darauf verständigen können, die Gewalt in den Vorstädten allein durch Repression zu unterdrücken, ohne das Problem bei der Wurzel zu packen und sechs Millionen neue produktive Arbeitsplätze zu schaffen, wie es der französische Präsidentschaftskandidat Jacques Cheminade fordert, dann ist es nur eine Frage der Zeit, wann die nächste Welle der Gewalt losbricht.
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