November 2006:

Frankreich im Vorwahlfieber

Wahlkampfplattform Cheminades
Ein Augenzeugenbericht von Elisabeth Hellenbroich, Landesverband PLP, über die Vorbereitungen auf die Präsidentschaftswahl 2007 in unserem westlichen Nachbarland.

Das Bild zeigt Jacques Cheminades Wahlplattform, als "profession de foi" bezeichnet. Cheminade ist Vorstizender von Solidarité et Progrès, Schwesterpartei der BüSo in Frankreich.

Vor kurzem konnte ich während eines einwöchigen Aufenthalts in Frankreich Eindrücke vom bevorstehenden Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich sammeln. Im äußersten Nordwesten der Bretagne begleitete ich einen Kollegen von der Partei Solidarité et Progrès bei seinen Gesprächen mit Bürgermeistern. Wie bereits im Jahre 1995 und 2002 versucht die von Jacques Cheminade geführte Partei Solidarité et Progrès, die eng mit der BüSo und mit LaRouches demokratischer Widerstandsbewegung in den USA zusammenarbeitet, Unterschriften von mehr als 500 Bürgermeistern in Form eines "Engagement sur honneur" zu erhalten, um am Präsidentschaftswahlkampf 2007 teilnehmen zu können. In Frankreich gibt es 36 000 Bürgermeister. Im Jahre 1995 schaffte es Cheminade, 550 Unterschriften von französischen Bürgermeistern zu erhalten. Es war ein echter politischer Durchbruch, der damals eine der unglaublichsten Diffamierungskampagnen gegen Cheminade und LaRouche einleitete.

Denn mit seiner Kandidatur war es einem "Außenseiter" gelungen, in den "Club" der Etablierten einzubrechen. Cheminade, Absolvent der renommierten Verwaltungshochschule ENA, war zu Beginn der 70er Jahre als Handelsattaché für die französische Botschaft in New York und später als Leiter der Abteilung für außenwirtschaftliche Beziehungen im Pariser Wirtschafts- und Finanzministerium tätig und hatte sich 1981 entschieden, seine Karriere aufzugeben und mit dem Schiller-Institut zusammenzuarbeiten. Die politischen Einflußmöglichkeiten Cheminades werden von vielen in seinem Potential gesehen, als Katalysator in dem Wahlkampf die entscheidenden strategischen Themen zur Sprache zu bringen und die Spielregeln der politischen Debatte zu verändern bzw. Alternativen aufzuzeigen.

Bis zum 16. März 2007 müssen offiziell alle Unterschriften beim "Conseil constitutionnel" (Verfassungsrat) eingereicht sein, der nach der erneuten offiziellen Bestätigung dieser "Engagements sur honneur" der Bürgermeister für Cheminade ankündigen wird, wer als Kandidat zu den Wahlen zugelassen ist. Die eigentliche Wahlperiode umfaßt dann genau drei Wochen. Die erste Wahlrunde findet am 22. April und die zweite am 6. Mai statt.

Insgesamt versuchen derzeit 36 Parteien, am Wahlkampf teilzunehmen, wobei einige vorzeitig aufgeben werden, wie vor einigen Tagen die Vorsitzende der Ultralinken PRG, Christine Toubira. Ein ähnliches Schicksal wird auch andere Kandidaten ereilen, denn die meisten von ihnen sind nur dazu da, als Spalter oder Mehrheitsbeschaffer im Machtpoker eingesetzt zu werden.

In Wirklichkeit ringen zwei Lager um die Macht: die von George Bush beeinflußten Neokonservativen um Nicolas Sarkozy (UMP), der ein erbitterter Gegner Chiracs und de Villepins ist, und die eher an Blair orientierten Sozialisten um Segolene Royale, die das Thema "soziale Ordnung" in den Mittelpunkt des Wahlkampfs stellen wollen. Dritter im Bunde ist da noch der rechtsradikale Le Pen und dessen Tochter, die im letzten Wahlkampf mit ihren rechtsradikalen Parolen gegen Ausländer so etwas wie das Zünglein an der Waage spielten. Bislang hat noch keine der großen Parteien ihren Präsidentschaftskandidaten "gekürt" und keine der großen Parteien hat eine klare Alternative gegen den zu erwartenden Finanzkrach und die von den USA unilateral geschürten Kriege anzubieten.

In seinem Aufruf "Pourquoi je suis candidat", der an alle Bürgermeister verschickt wird, schreibt Cheminade, daß er Frankreich eine neue Zukunft geben will. Er fordert darin u.a. eine neue globale Finanzordnung, die Schaffung neuer großer, teilweise staatlich finanzierter Infrastrukturprojekte vom Atlantik bis zum Chinesischen Meer, um somit 6 Millionen neue Arbeitsplätze in Frankreich zu schaffen.

In der Bretagne

Heinrich Heine, der die Hälfte seines Lebens als Korrespondent in Paris verbrachte und von dort meisterhafte Briefe schrieb, erkannte damals schon, daß das politische Leben in Frankreich bisweilen mit einem venezianischen Salon vergleichbar ist: Dort dreht sich alles um Intrigen, schmutzige Skandale, Sexgeschichten und es werden viele pathetische Reden ohne praktische Konsequenz geschwungen. Angesichts der bevorstehenden amerikanischen Wahlen im November und der strategischen Unberechenbarkeit von Bush und Cheney sowie einer gleichzeitig drohenden schweren Finanzkrise könnte Frankreich unter wachsenden sozialen Spannungen das erste Land in Europa sein, das einen scharfen protofaschistischen Kurs einschlägt - im Sinne eines "sanften Petainisme", der sich den Regeln der Finanzoligarchie unterwürfe.

Und genau diesen Aspekt haben viele Bürgermeister begriffen, als wir zu ihnen über die Lage in den USA, den dort sich an den Universitäten ausbreitenden McCarthyismus und die neue Präventivdoktrin Cheney und Bushs sowie den Finanzkrach sprachen.

Als Deutsche fiel mir besonders auf, daß die Bürgermeister im allgemeinen sehr viel politischer und weniger "ideologisch" als mancher politische Vertreter in Deutschland reagieren. Zum Teil hat die Offenheit auch damit zu tun, daß in Frankreich die Bevölkerung generell eine positive Haltung zum technologischen Fortschritt einnimmt. Sie sind stolz auf ihre Republik, stolz auf ihre Kernenergie, ihre Force de Frappe, die atomgetriebenen U-Boote, die Luft- und Raumfahrt und ihre Forschungsinstitute. In Deutschland erfährt man dagegen oft sehr schnell eine ideologische Reaktion, eine Abwehr gegen eine profunde politische Debatte.

In der Bretagne trafen wir Bürgermeister, die aus unterschiedlichen Berufen kamen. Manche stehen Kommunen mit nicht mehr als 500 Bürgern vor. So sehr Arbeitslosigkeit, Migration und die soziale Frage die Bürgermeister vor Ort beschäftigt - sie zeigten sich dennoch für Diskussionen über die globale Lage und substantielle konzeptionelle Fragen offen.

An einem Tag veranstalteten wir in dem Städtchen St. Brieuc einen Informationstisch mit Stellwänden, auf denen u.a. stand: "Cheminade - L'anti-missile contre Sarkozy", Cheminade als Abwehrwaffe gegen Sarkozy. Vor allem viele Jugendliche blieben davor stehen, wie auch vor dem Plakat, das vor einem Krieg Bushs gegen den Iran warnte. Auffallend viele Jugendliche stehen Innenminister Sarkozy skeptisch gegenüber. Er gibt sich als radikaler Verfechter eines bonapartistischen Law-and-order-Kurses im Lande. Bei vielen Jugendlichen ist er wegen seiner aggressiven Kampagne während der Unruhen in den Vorstädten vor einem Jahr verhaßt. Zu seinen Beratern gehören Mitarbeiter der Boston Consulting Group, die mit führenden Wall-Street-Banken zusammenarbeitet und sich für eine radikale Freihandelspolitik und Deregulierung einsetzt.

Von sozialen Spannungen überschattet

Wie explosiv und teilweise hochgespannt die Lage ist, zeigt sich auch an der Art der Medienberichterstattung. Etwa 80 Prozent der Abendnachrichten sind den Themen Innere Sicherheit, Islamisten, Einwanderer und Anti-Drogenkampf gewidmet.

Auffallend ist die große Polizeipräsenz in den Städten - in Paris, in der Provinz und an den Bahnhöfen. Am 23. Oktober berichtete Le Figaro, daß der französische Inlandsgeheimdienst (Renseignements généraux) anläßlich des Jahrestages der Unruhen in den banlieues, die am 25. Oktober 2005 ausgebrochen waren, an alle Präfekten ein 22 Seiten langes Dokument geschickt hat, worin vor möglichen Ausschreitungen gewarnt wird, die sich vor allem angesichts der Feiertage entwickeln könnten. Man solle nicht überreagieren, aber auch nicht die Gefahren unterschätzen, schrieb Le Figaro dazu. Vor zehn Tagen ließ Sarkozy zudem acht Jugendliche in Vorbeugehaft nehmen, nachdem diese zwei Polizisten brutal zusammengeschlagen hatten.

Die Tageszeitung Die Welt berichtete am 24. Oktober, nach einem Angriff einer Jugendbande auf einen Linienbus seien die Busfahrer in Grigny bei Paris in den Streik getreten. Gewerkschafter erklärten, die Fahrer wollten das Risikoviertel Grande Borne nicht mehr anfahren. Für die anderen Strecken verlangten sie den Einsatz von Sicherheitsleuten. Am vorangegangenen Sonntag war in Grigny ein Linienbus von 30-40 Jugendlichen gestürmt und dann niedergebrannt worden. Der Busfahrer und die Passagiere blieben unverletzt. Die vermummten Jugendlichen hatten zunächst Autos angezündet und als Straßensperre benutzt. Als der Bus kam, überfielen sie ihn, Streifenwagen wurden mit einem Steinhagel empfangen, schrieb Die Welt. Die Zeitung erinnerte daran, daß genau vor einem Jahr, am 25. Oktober, Jugendunruhen in den französischen Einwanderervierteln begonnen hatten, die in einem mehrwöchigen Ausnahmezustand mündeten.

Ein weiteres Zeichen für die angespannte Lage ist auch die Artikelserie, die in der dritten Oktoberwoche in der linksorientierten Wochenzeitung Marianne erschien. Ihr Autor, Jean-François Kahn, hatte bereits mit seinem kürzlich erschienenen Buch "La Bullocratie" viel Aufmerksamkeit erregt. Dort hatte er in anschaulicher Weise darlegt, daß die französische Elite sich in einer Blase, einem Kokon, befinde und dort von der Realität losgelöst, ihre politischen Entscheidungen treffe. Der Titel der neuen Serie lautet "Fünf Bomben im Herzen des Kapitalismus". Die wahre "Vernichtungswaffe", die die Welt bedroht, ist die Spekulation der Hedgefonds, heißt es dort. "Durch sie erwächst das Risiko eines Börsenkrachs, dessen erste Anzeichen bereits erkennbar werden." Weiter berichtet der Autor, der Jahresumfang der spekulativen Transaktionen der Fonds sei auf atemberaubende 699 000 Milliarden Dollar angestiegen. Angesichts der spektakulären Zusammenbrüche von LTCM and des kürzlich erfolgten Zusammenbruchs des amerikanischen Hedgefonds Amaranth, bei dem auch die französische Bank Crédit Agricole und die Union Bancaire Privée de Genève große Verluste einstecken mußten, drohe die Gefahr eines kettenartigen globalen Zusammenbruchs rund um den Globus.

Zugleich verweist der Autor auf die spekulativ in die Höhe getriebenen Rohstoffpreise; in diesen Bereich hätten die Fonds 130 Milliarden Dollar investiert. Kahn schlägt vor allem Alarm im Zusammenhang mit den oft kreditfinanzierten Übernahmeaktivitäten der Beteiligungsgesellschaften (KKR, Blackstone etc.), die nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich systematisch ein Unternehmen nach dem anderen aufkaufen und viele davon dann zerschlagen und ruinieren.

Wie die Deutschen leiden auch die Franzosen unter den Folgen der Privatisierung und Deregulierung: Derzeit wird die Fusion der beiden Energiekonzerne Suez und Gas de France (GDF) diskutiert, die - wie der Finanzminister Thierry Breton im Fernsehsender France 2 offen einräumte - in der Zukunft natürlich mit Deregulierungsmaßnahmen und Preiserhöhungen für den Konsumenten einhergehen wird. Auch ein weiterer Aspekt gilt gleichermaßen für Deutschland wie Frankreich: die Verarmung breiter Bevölkerungsgruppen. In einem Artikel berichtet Le Figaro, alarmiert über die zunehmende Armut in Frankreich: Drei Millionen Franzosen hätten praktisch keine Wohnung, eine Million Kinder seien arm, und drei Millionen seien nicht krankenversichert.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, daß viele Bürgermeister, bzw. einflußreiche Politiker der Meinung sind, Cheminade habe es verdient, an diesem Wahlkampf teilzunehmen; durchaus nicht, wie es einer formulierte, "weil ich der Meinung bin, daß Cheminade gewinnen wird, aber weil er Spielregeln brechen und Dinge sagen kann, die andere aus Gründen der Staatsräson nicht sagen werden".


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