August 2005:

Weltliche Macht und höhere Macht

Eindrücke vom 20. Weltjugendtag 2005 in Köln
Eindrücke vom 20. Weltjugendtag 2005 in Köln und den wichtigen ökumenischen Veranstaltungen mit Papst Benedikt XVI.

Elisabeth Hellenbroich vom Landesverband Reinland-Pfalz berichtet.

In einem Interview mit Radio Vatikan faßte Papst Benedikt XVI. kurz vor Beginn des Treffens in Köln seine Erwartungen an den 20. Weltjugendtag 2005 so zusammen: Er wolle eine Brücke bauen zwischen der "alten" Weisheit und der Jugend. Angesichts der Herausforderungen der Gegenwart und mit Rückblick auf die Geschichte Europas werde die menschliche Zivilisation mit all ihren Gefahren und Hoffnungen nur gebändigt und zu ihrer Größe geführt, "wenn sie die eigenen Kraftquellen wiedererkennt", die ihr die Richtung zum Guten geben.

Kurz vor seiner Wahl zum Papst im Frühjahr hatte Kardinal Ratzinger auf die Frage nach den Ursachen der kulturellen Krise der heutigen Zeit eine Rede gehalten, in der er erklärte: Diese Krise sei nicht zuletzt darin begründet, daß der Mensch sich immer mehr von der Gottebenbildlichkeit, die dem Menschen seine Würde und Unantastbarkeit gebe, entferne. In vielen Teilen der Gesellschaft sei das moralische Bewußtsein erschüttert. Was bei vielen Menschen fehle, sei der Bezug zu den Werten, die aus dem "Ewigen" kommen; Werte, die nicht zur "Disposition unserer Wünsche stehen" können. Wenn der Glaube an den Logos, den Schöpfergeist schwinde, so Ratzinger damals, dann sei auch die Menschenwürde in Frage gestellt.

Diese Überlegungen sollten zum Ausgangspunkt genommen werden für einige Betrachtungen über den 20. Weltjugendtag, der vom 15.-21. August in Köln stattfand und an dem mehr als 1,1 Millionen Jugendliche aus allen Kontinenten der Welt teilnahmen. 98 000 Gastfamilien in Köln, Bonn und Düsseldorf nahmen als Ausdruck der Solidarität junge Teilnehmer aus aller Welt auf. Die Stadt Köln war während dieser Zeit wie verwandelt, im Gegensatz zum üblichen Schlendrian zeigte die Bevölkerung eine große Hilfsbereitschaft und Anteilnahme am Geschehen.

Zentren der geistigen Begegnung waren der Kölner Dom und die Tag und Nacht offenen ehrwürdigen romanischen Kirchen wie St. Andreas, St. Kunibert, St. Gereon und St. Martin. Cafés, Restaurants und Läden waren bis in die frühen Morgenstunden geöffnet. Abgesehen von manchen Rockkonzerten, die - wie von Jugendlichen berichtet wurde - bisweilen den Eindruck von Woodstock vermittelten, wurde während dieser Tage in Köln sehr viel Schönes gesungen. Während des stundenlangen Wartens auf die Ankunft des Papstes in Köln lieferten sich spontan Chöre einen Wettstreit, indem sie Lieder aus ihren jeweiligen Heimatländern sangen.

Das Dreikönigsmotiv

Der Weltjugendtag stand unter dem Leitmotiv der im Matthäus-Evangelium dargelegten Reise der drei Könige aus dem Morgenland. In Matthäus 1,2 berichtet der Apostel Matthäus über die Huldigung der Magier, die aus dem Morgenland nach Jerusalem kamen, als Jesus von Judäa zu Bethlehem geboren war, und von König Herodes wissen wollten, wo Jesus zu finden sei. "Wir sahen nämlich einen Stern im Aufgang und sind gekommen, ihm zu huldigen", teilten sie Herodes mit. "Und siehe der Stern, den sie im Aufgang gesehen hatten, ging vor ihnen her, bis er ankam und stehenblieb über dem Ort, wo das Kind war... Als sie den Stern sahen, hatten sie eine überaus große Freude. Sie gingen in das Haus, sahen das Kind mit Maria, seiner Mutter, fielen nieder und huldigten ihm. Sie nahmen auch ihre Schätze heraus und brachten ihm Geschenke dar: Gold, Weihrauch und Myrrhe."

Die Anbetung der drei Könige wurde während der Renaissance von vielen bedeutenden Malern thematisiert. Zu den berühmtesten Beispielen gehört Anbetung der Heiligen Drei Könige von Benezzo de Gozzoli (1420-1497), ein eindrucksvolles Fresko aus dem Jahr 1459 in der Privatkapelle der Medici in Florenz. Darauf ist die Reise der heiligen drei Könige nach Bethlehem dargestellt. Gozzoli malt den Weg der drei Weisen aus dem Morgenland (Kaspar, Balthasar, Melchior) jedoch als feierlichen Einzug der Weisen aus West und Ost (darunter der Patriarch von Konstantinopel und der berühmte Johannes V. Palaiologos, Herscher von Byzanz), die 1439 zur Eröffnung des Konzils nach Florenz reisten, um über die von Nikolaus von Kues in De pace fidei geforderte Einheit der Kirche zu verhandeln und über die griechischen Übersetzungen der Texte Platons, Archimedes' und der Kirchenväter zu diskutieren. In Florenz wurde damals die Grundlage für eine neue kulturelle Renaissance gelegt.

In seiner Ansprache anläßlich der Vigil, die er mit einer Million Jugendlichen am 20. August auf dem Marienfeld feierte, sprach Papst Benedikt XVI. über den Pilgerweg der drei geheimnisvollen Weisen aus dem Orient. Am Ziel ihrer Reise angelangt, hätten diese einen neuen Weg begonnen; eine innere Pilgerschaft, die ihre Leben veränderte. "Sie wußten, daß die Welt in Unordnung war, und deswegen war ihr Herz unruhig geblieben. Sie waren gewiß, daß es Gott gebe, einen gerechten und gütigen Gott... Sie waren im tiefsten auf der Suche nach dem Recht, nach der Gerechtigkeit, die von Gott kommen mußte, und wollten diesem König zu Diensten sein, sich ihm zu Füßen werfen und so selbst der Erneuerung der Welt dienen", sagte der Papst.

Er nahm diese Gedanken als Ausgangspunkt, um über die Frage der Macht zu sprechen. Äußerlich mächtig, hätten die Könige aus dem Morgenland erkannt, daß es über der weltlichen Macht eine höhere Macht gibt, daß die göttliche Macht anders ist als die Macht der Mächtigen der Welt: "Gott tritt in dieser Welt nicht in Konkurrenz zu den weltlichen Formen der Macht... er stellt der lauten, auftrumpfenden Macht dieser Welt die wehrlose Macht der Liebe gegenüber, die am Kreuz und dann in der Geschichte immer wieder unterliegt und doch das Neue, das Göttliche ist, das nun dem Unrecht entgegentritt."

Als Pilger, die in der Nachfolge Christi der Sache der Gerechtigkeit und des Guten in der Welt dienten, seien die Weisen aus dem Morgenland nur die ersten einer langen Reihe von Menschen, darunter viele Märtyrer und Verfolgte, die im Auf und Ab der Geschichte der Menschheit wirkliche Erneuerer waren und durch ihren persönlichen Einsatz inmitten schwerster Krisen die Geschichte zum Besseren wendeten.

Es gibt einen göttlichen Maßstab des Gerechten, Guten und Wahren, der am Beginn der Veränderung jedes Menschen steht. Dieses Thema zog sich leitmotivisch durch alle Reden des Papstes. In einer in Unordnung geratenen Welt bedarf es Menschen, die Verantwortung zeigen und ihr Handeln nach dem göttlichen Maßstab des Gerechten, Guten und Wahren ausrichten. In seiner Abschlußpredigt betonte der Papst, danach leben bedeute, daß Gewalt nur durch Liebe, der Tod durch Leben überwunden werden kann. Der Tod kann nicht mehr das letzte Wort sein, sagte er. "Nur von dieser innersten Explosion des Guten her, das das Böse überwindet, kann die Kette der Verwandlungen ausgehen, die allmählich die Welt umformt."

Frieden zwischen den Religionen

Eine besondere Prägung erhielt der Weltjugendtag durch die ökumenischen Treffen Papst Benedikt XVI. mit Vertretern verschiedener Religionen. Zu den bewegendsten Momenten gehörte zweifellos sein Besuch in der Kölner Synagoge. Wie der Vorsitzende des Zentralrats der Juden Paul Spiegel zusammen mit dem Pressesprecher des Hl. Stuhls Navarro Valls während einer Pressekonferenz darlegte, war dieser Besuch von "historisch einzigartiger Bedeutung"; er werde "Signalwirkung" haben.

Als Nichtkatholik, so Paul Spiegel, sei er zutiefst berührt gewesen von der Anwesenheit so vieler Hunderttausender Jugendlicher. In einem Interview mit der Rheinischen Post sprach er vom Papst als einem "überzeugenden, nachdenklichen und authentischen Menschen, der sich nicht verstellt und Wärme ausstrahlt". Der Besuch des Papstes in der Synagoge sei ein glücklicher Tag, an den sich noch Generationen erinnern werden.

60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Befreiung von Auschwitz hat der Papst ein neues Kapitel in den jüdisch-christlichen Beziehungen aufgeschlagen. Benedikt XVI. besuchte eine der ältesten Synagogen in Deutschland, deren wechselvolle Geschichte bis ins Jahr 321 n.Chr. zurückreicht, wie Abraham Lehrer, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Köln, in seiner Begrüßungsansprache hervorhob. Nach der Zerstörung der Synagoge 1938 und der Ermordung und Deportierung von 11 000 Kölner Juden zwischen 1938 und 1944 wurde die Synagoge nach dem Kriege von einer Handvoll jüdischer Gemeindemitglieder neu aufgebaut. "Pontifex" heißt auf lateinisch auch "Brückenbauer", und so nannte Lehrer den Papst einen "Pontifex Maximus", der die Brücken zwischen der jüdischen und katholischen Religion baue und als Mitautor des 1965 veröffentlichten Konzilsdokuments Nostra Aetate die Grundlage für eine Veränderung im Verhältnis des Hl. Stuhls zum Staat Israel gelegt habe.

Der Papst erinnerte in seiner Ansprache daran, daß es im jüdisch- christlichen Verhältnis Phasen guter Nachbarschaft gab, doch auch dunkle Kapitel, wie die Vertreibung der Juden aus Köln im Jahr 1442. Im 20. Jahrhundert, in der dunkelsten Zeit deutscher und europäischer Geschichte, habe dann "eine wahnwitzige, neuheidnische Rassenideologie zu dem staatlich geplanten und systematisch ins Werk gesetzten Versuch der Auslöschung des europäischen Judentums geführt, zu dem, was als Schoa in die Geschichte eingegangen ist". Wie sein Vorgänger Papst Johannes Paul II. anläßlich des 60. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz erklärte er: "Ich neige mein Haupt vor all denen, die diese Manifestation des Mysterium inquitatis erfahren haben." Die fürchterlichen Geschehnisse von damals müßten unablässig die Gewissen wecken, Konflikte beenden und zum Frieden ermahnen. Deshalb beklage die Konzilserklärung Nostra Aetate "alle Haßausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und von irgend jemand gegen das Judentum gerichtet hätten.

Der Papst verwies vor allem auf die gemeinsamen Wurzeln und das äußerst reiche geistliche Erbe, das Juden und Christen miteinander teilen. Als Abbild Gottes geschaffen und dadurch mit einer transzendenten Würde ausgezeichnet, besitzen "alle Menschen (vor Gott) die gleiche Würde, unabhängig davon, welchem Volk, welcher Kultur oder Religion sie angehören. Aus diesem Grunde spricht die Erklärung Nostra Aetate auch mit großer Hochachtung von den Muslimem und den Angehörigen anderer Religionen. Aufgrund der allen gemeinsamen Menschenwürde verwirft die Kirche jede Diskriminierung eines Menschen und jeden Gewaltakt gegen ihn um seiner Rasse oder Farbe, seines Standes oder seiner Religion willen als einen Akt, der im Widerspruch zu dem Willen Christi steht."

Das reiche gemeinsame Erbe und die an wachsendem Vertrauen orientierten geschwisterlichen Beziehungen verpflichteten dazu, bei der Verteidigung der Menschenrechte und der Heiligkeit des menschlichen Lebens noch enger zusammenzuarbeiten und gemeinsam für die Werte der Familie, für soziale Gerechtigkeit und für den Frieden in der Welt einzutreten. Dabei seien die Zehn Gebote besonders für die Jugend ein Wegweiser. So trügen die "Erwachsenen die Verantwortung, den jungen Menschen die Fackel der Hoffnung weiterzureichen, die Juden wie Christen von Gott geschenkt worden ist, damit die Mächte des Bösen nie wieder die Herrschaft erlangen und die künftigen Generationen mit Gottes Hilfe eine gerechtere und friedvollere Welt errichten können, in der alle Menschen das gleiche Bürgerrecht besitzen".

Sehr zu Herzen ging der Gesang, mit dem Chaim Adler, der Chasan der Großen Synagoge von Tel Aviv und einer der besten Kantoren der Welt, den Festakt eingeleitet hatte. Von ihm wurde ausnahmsweise das Schofar, das jüdische Widderhorn, geblasen, das nur an hohen jüdischen Feiertagen ertönt und ein Zeichen und eine Geste des Friedens ist. Zugleich wurde Benedikt als Gastgeschenk ein Schofar überreicht. Vereint im Dienst an den moralischen Grundwerten

Bei einem Treffen mit Vertretern der muslimischen Gemeinde stand derselbe Gedanke des Friedens unter den Religionen im Mittelpunkt. In seinem Grußwort sprach der Präsident der Türkisch-Islamischen Union, Ridvan Cakir, von der Bedeutung des interreligiösen Dialogs für eine friedliche Welt. Er sei ein hinreichender Beweis dafür, daß die These vom Kampf der Kulturen ungültig ist.

Scharf verurteilte der Papst die zerstörerischen Aktionen des Terrorismus. Der Terrorismus, egal welcher Herkunft, sei "eine perverse und grausame Entscheidung, die das unantastbare Recht auf Leben mit Füßen tritt und die Fundamente jedes geordneten Zusammenlebens untergräbt. Wenn es uns gelingt, das Haßgefühl aus den Herzen auszurotten, uns gegen jede Form von Intoleranz zu verwahren und uns jeder Manifestation von Gewalt zu widersetzen, dann werden wir die Welle des grausamen Fanatismus aufhalten, die das Leben so vieler Menschen aufs Spiel setzt und den Fortschritt des Friedens in der Welt behindert."

Geleitet von der Erkenntnis, daß das Leben jedes Menschen heilig ist, sprach er von dem großen "Aktionsfeld", in dem sich Muslime und Christen "im Dienst an den moralischen Grundwerten vereint fühlen können". Die Würde der Person und die Verteidigung der Rechte, die sich aus dieser Würde ergeben, müsse Ziel und Zweck jedes sozialen Planes und jedes Bemühens zu dessen Durchsetzung sein. "Das ist eine Botschaft, die man hören und zu Gehör bringen muß. Würde ihr Widerhall in den Herzen verstimmen, wäre die Welt der Finsternis einer neuen Barbarei ausgesetzt."

Auf einer Pressekonferenz mit zwölf Jugendlichen aus verschiedenen Kontinenten, die Gelegenheit zu einem Mittagessen mit dem Papst hatten, erzählte ein junger Palästinenser: Der Papst habe ihm, als er ihn während des Essens fragte, wann endlich die palästinensische Minderheit ihre Rechte erhalte, die Antwort gegeben, er solle die "Botschaft von Liebe und Frieden" verbreiten.

Ein blinder Jugendlicher aus Slowenien erzählte mir in einem kurzen Gespräch im Anschluß an die Pressekonferenz, der Papst könne sehr gut zuhören. Man habe während des Essen nicht über dessen Schriften und dessen Leidenschaft für die klassische Musik gesprochen, aber er wisse, daß Papst Benedikt XVI. nach seiner Wahl zum Papst nach Hause ging und ein Präludium von Bach spielte. Zugleich berichtete er begeistert, daß er soeben eine Audio-CD über Kölns berühmte romanische Kirchen produziert hätte. Zuhören, die innere Schau ist gerade für die, die behindert sind und nicht "sehen", wichtig.


Zurück zur Dialog-Hauptseite: