Februar 2004:

Wissenschaftsmarkt in Mainz

Dynamische Geometrie mit Kindern
"Spaß an dynamischer Geometrie" hieß dieser Stand, an dem Kinder z.ß. Polyeder zusammenbauen konnten.

Wir veröffentlichen eine Serie von drei Artikeln über Wissenschaft in Mainz, verfasst vom Vorstandsmitglied Renate Leffek und mit freundlicher Genehmigung des Wissenschaftsmagazins Fusion

Statt Spaßgesellschaft Forschung anbieten Wandel in den Wissenschaften? Im September war die Stadt Mainz eine ganze Woche lang Schauplatz der Wissenschaft - der Höhepunkt im Jahr der Chemie 2003. Veranstalter dieser Wissenschaftswoche, bei der 40-50.000 Besucher gezählt wurden, war die Bundesstiftung "Wissenschaften im Dialog" in Zusammenarbeit mit den Universitäten. Jeden Tag fanden zig Veranstaltungen statt. Eine Ausstellung im Mainzer Schloß sowie Veranstaltungen an der Universität, ein Ausstellungs-Schiff, die "MS-Chemie", ein "Chemie-Truck", bis hin zum zweitägigen Wissenschaftsmarkt in der Mainzer Innenstadt hatten für diesen Andrang und das Interesse gesorgt.

Vor vier Jahren hatte es einigen in der Politik gedämmert, daß immer mehr Naturwissenschaftler, vor allem Physiker und Chemiker fehlten. "Wir müssen handeln, sonst bleibt uns wirklich nichts anderes übrig, als aus Ländern wie Indien Wissenschaftler zu importieren", hörte man von allen Seiten, besonders aber von der Wirtschaft. In der Folge hat sich dank vieler individueller Initiativen von Wissenschaftlern und Studenten in den letzten Jahren das Interesse für die Wissenschaft tatsächlich spürbar geändert.

Viele interessante Projekte wurden in Mainz jetzt vorgestellt, außergewöhnlich und nachahmenswert sicherlich das Projekt der Experimentierwerkstatt, um das Interesse der Kleinsten an naturwissenschaftlichen Themen zu wecken. Studenten besuchen mit ihrem Ada-Lovelace und dem Nat-Schülerlabor die Kindergärten und Schulen. Eine gute Idee war auch, den 200. Geburtstag von Justus Liebig zu nutzen, um das Werk des berühmten Chemikers und Wissenschaftlers in Experimenten und mit Zitaten aus seinen Briefen in der Universität vorzustellen.

Während in den 70er bis in die 90er Jahren die Studenten noch gegen technischen Fortschritt und gegen Kernkraftwerke demonstrierten, scheint sich jetzt ein deutlicher Umschwung anzudeuten. Und so wären die Reaktionen "grüner" Minister interessant gewesen, wenn sie zu der "Langen Nacht der Wissenschaft" in die Universität gekommen wären, wo sich das "Blue flashiight" des voll hochgefahrenen Forschungsreaktor "Triga" besonderer Beliebtheit erfreute und eine erstaunlich positive Resonanz bei den Studenten erzeugte.

Die Ausstellung im Mainzer Schloß wurde von interessanten Vorträgen begleitet. Der Besucher wurde zum Mitzumachen eingeladen. Tausende von Schülern besuchten die Ausstellung, aber auch die Bevölkerung nutzte die Gelegenheit, sich zu informieren, und die ältere Generation war begeistert über das Interesse der Jungen, wie eine Frau es ausdrückte: "Zum Glück bietet man der Jugend auch einmal etwas anderes als nur die Spaßgesellschaft."

Faszination Wissenschaft live erleben

Der Wissenschaftsmarkt unter dem Motto "Faszination Wissenschaft live erleben" richtete sich an Jung und Alt. Über 100 Wissenschaftler versuchten den Besucherströmen in der Enge der aufgestellten Zelten so unakademisch wie möglich die mehr als 70 Projekte und Aktionen zu verdeutlichen und waren erstaunt über das große Interesse der Bevölkerung. Es war aber auch alles vertreten, neben der Chemie die Medizin, Physik, Biologie, Mathematik bis hin zu den Geowissenschaften und der Buchdruckerkunst des berühmten Mainzers Johannes Gutenberg.

Ein besonderes Erlebnis war der große Berg Posidonien-Schiefer, in dem die Besucher nach Herzenslust nach 185 Millionen Jahre alten Fossilien suchen konnten. Die Leute saßen auf dem Berg und klopften voller Begeisterung die Platten des Schiefers auseinander, in der Hoffnung, etwas Interessantes zu finden. Enttäuscht wurde keiner, denn eine kleine Schnecke oder Muschel war für fast jeden drin, und wer Glück hatte, konnte sogar ganze Muschelansammlungen oder auch ganz große Schnecken finden. Auf den Schautafeln war nachzulesen, daß eine gewaltige Algenproduktion damals nicht nur die Grundlage für eine reiche und vielfältige Tierwelt war, sondern auch für deren besondere Konservierung als Fossilien. So verbrauchte der Abbau der Algenreste am Meeresgrund allen verfügbaren Sauerstoff und wirkte somit lebensfeindlich. Tierkadaver wurden nicht von Aasfressern zerstört, sondern unversehrt in den Schlamm eingebettet.

Ein paar Schritte weiter konnte man eine Reise durch einen Atomkern machen. In einer Videoprojektion wurde der Elektronenbeschleuniger MAMI und Experimente vom Institut für Kernphysik vorgestellt. Man erfuhr, daß MAMI den Physikern aus der ganzen Welt als Riesenmikroskop zur Erforschung des Aufbaus und der Struktur der unfaßbar kleinen Atomkerne und ihrer Bausteine, der Nukleonen, dient. An einem Fadenstrahlrohr, indem freie Elektronen durch eine Hochspannung beschleunigt wurden, konnte der Besucher den Einfluß von Magnetfeldern auf die Elektronen selbst ausprobieren. Es wurde erklärt, daß eine Funkenkammer den "kosmischen Regen" von geladenen Teilchen aus dem Weltraum sichtbar macht. Man hätte sich hier gerne länger aufgehalten, aber die Vielzahl der verschiedenen Stationen trieb einen an, die Entdeckungsreise fortzusetzen. Das Max-Planek-Institut für Polymerforschung präsentierte sogenannte "verrückte Flüssigkeiten", die sich so ganz anders als erwartet verhalten. Werden solche Polymere in Wasser aufgelöst, entstehen aufgrund der langen Fadenmoleküle zähflüssige Lösungen, weil diese Fadenmolküle den natürlichen Drang haben, sich zusammenzuknäulen.

Bei einem Experiment mit der "Gummibandmaschine" hatte man eigentlich erwartet, daß sich der warm werdende Gummi ausdehnt, aber es passierte genau das Gegenteil, die Gummibänder zogen sich zusammen. Ein anderes Phänomen von Polymeren ist die starke Absorption von Flüssigkeiten. So konnten selbst kleine Kinder, die gerade den Windeln entstiegen waren, nachfühlen, welche Vorzüge dieses Kleidungsstücke für sie gehabt haben. Die Flüssigkeit in den Windeln wird nämlich von einem Polymerpulver, einem "Superabsorber", aufgesogen.

Der Fachbereich Mathematik war schon von Ferne durch viele bunte Polydron-Plättchen erkennbar, die die Neugierigen unweigerlich anzogen. Neben Mathe-Quiz konnte man sich an der dynamischen Geometrie versuchen, verschiedenste Polygone und auch die platonischen Köper nachbauen.

Den Abschluß bildete der Stand der Buchwissenschaft mit deren Begründer Johannes Gutenberg. Hier konnte man sich als Andenken seinen Namen in Hieroglyphen auf echtem Papyrus schreiben lassen, um dann erschöpft, aber reich an neuem Wissen diesen Wissenschaftsmarkt zu verlassen.



Interview mit Prof. Jens Volker Kratz, Leiter des Instituts für Kernchemie an der Universität Mainz - Das Gespräch mit Prof. Kratz führte Renate Leffek im Rahmen des "Wissenschaftsmarktes" der Johannes-Gutenberg-Universität am 26. September 2003.

In die Zukunft investieren, statt an der falschen Stelle sparen.

Kratz: Wir waren von dieser Resonanz sehr überrascht. Es war toll, sich plötzlich in einem Gedränge zu sehen und von Leuten mit "gebildeten" Fragen bombardiert zu werden: "Was machen Sie da? Können Sie das noch mal erklären?" Man hatte das Gefühl, daß echtes Interesse vorhanden war und man regelrecht ausgequetscht wurde. Wir konnten Dinge natürlich nicht im Labor-Jargon erklären, aber mit dem gebildeten Laien zu sprechen, das war schon hochinteressant.

Viele fragten nach der praktischen Anwendung der Kernchemie. Das ist gar nicht so leicht zu beantworten, da wir ja Grundlagenforschung betreiben. Da muß man weit ausholen, denn die unmittelbare Anwendung ist nicht so einfach darzustellen. Bei aufwendigen Experimenten gibt es immer technologische "Spin-off"-Effekte. Ein Beispiel bezieht sich auf die Gesellschaft für Schwerionen-Forschung (GSI) in Darmstadt, wo die Beschleunigertechnologie in 25 Jahren kontinuierlich weiterentwickelt wurde. Ein wichtiger Spin-off ist hier die Tumortherapie: man kann inzwischen mit Schwerionenstrahlen den gesamten Querschnitt z.B. eines Gehirntumors exakt ausleuchten und durch Energievariationen die

Eindringtiefe der Schwerionenstrahlen anpassen und damit fast einhundertprozentige Heilungschancen erzielen. Das ist enorm erfolgreich. Infolgedessen läuft jetzt ein genehmigtes Projekt im Krebsforschungszentrum in Heidelberg, wo eine "Dedicated Accelerator Facility" für die Tumortherapie gebaut werden soll. Daran wird deutlich, was die Grundlagenforschung am Ende des Tunnels "abwerfen" kann.

Kratz: Dazu ließe sich viel zu sagen. Zum einen geht es hier um den Kompetenzerhalt in der Kerntechnik, selbst wenn eine Regierung wie die jetzige beschließt, aus der Kernenergie aussteigen zu wollen. Die Probleme, die sich daraus ergeben, u.a. die Frage der Endlagerung, müssen dennoch irgendwie gelöst werden. Die sind damit ja nicht aus der Welt. Wir müssen nach wie vor neue Generationen von Wissenschaftlern ausbilden, die sich damit auskennen und das kompetent bewerkstelligen. Ich arbeite zum Beispiel mit einem Teil meiner Arbeitsgruppe über Fragen, die für die Sicherheit von Endlagern relevant sind. Das Plutonium interessiert uns dabei besonders, und zwar deshalb, da nach der Einlagerung in ein Endlager die Ra-diotoxizität zu etwa 100% auf das Plutonium zurückzuführen ist - und das für >105 Jahre.

Dieses Problem muß also sorgfältig untersucht werden: Was passiert bei einem Wassereinbruch in einem Endlager? Welche chemische Form nimmt dann das Plutonium an, da dieses Element besonders viele Oxidationsstufen annehmen kann und sich in den verschiedensten Oxidationsstufen sehr verschieden verhält? Das Grundwasser, das potentiell in ein Endlager eindringen kann, führt Huminstoffe mit sich, komplexbildende Substanzen. Wir versuchen herauszufinden, wie stark die Komplexbildung für die verschiedenen Oxidationsstufen des Plutoniums ist.

Ich sehe es als unsere Pflicht an, einen Beitrag zur Lösung der Sicherheitsfragen bei der Endlagerung von radioaktivem Abfall zu leisten.

Kratz: Es gehört meiner Meinung nach zu den Pflichten der Kernchemie, daß wir Ausbildung betreiben und zwar auf einem Niveau, das sicherstellt, daß auch die nächsten und übernächsten Generationen diese Probleme bearbeiten und die Politiker beraten können. Zum anderen müssen offene Fragen, die sich aus dieser Endlagerungsthematik ergeben, wissenschaftlich bearbeitet werden. Kratz: Das läßt sich ganz kurz beantworten. Diese generelle Technikfeindlichkeit oder besser die generelle Wissenschaftsfeindlichkeit in der Gesellschaft hatte zu einem drastischen Rückgang der Studienanfängerzahl geführt. Mir war es 1994 gelungen, vom Wissenschaftsrat grünes Licht für unseren Neubau Chemie zu bekommen, und ich mußte 1995/96 die gesamte Planung für diesen Neubau leiten, immer im Kampf mit dem Ministerium, wie denn die Studentenzahlen aussähen. Damals konnten wir noch eine Sollzahl von 180 Studienanfängern pro Jahr durchsetzen. Doch als der Neubau stand, gingen die Zahlen rapide bis auf 40 oder 50 Studienanfänger herab, was natürlich Auswirkungen hatte und dem Fachbereich sehr geschadet hat. Das hat sich aber in den letzten Jahren wieder verändert, und die Zahlen der Studienanfänger ist wieder nach oben gegangen. Im abgelaufenen Studienjahr hatten wir wieder 400 Anfänger, 200 im Sommersemester und 200 im Wintersemester. Im kommenden Wintersemester werden wir 241 Studienanfänger haben. Kratz: Ich meine schon, daß es einen gewissen Wandel in der Gesellschaft weg von der bisherigen Technologiefeindlichkeit gegeben hat. Man fragt wieder: Wovon soll unsere zukünftige Gesellschaft eigentlich leben? Wir müssen hightech-fähig sein, und das können wir nur, wenn wir die Jugend entsprechend ausbilden. Gott sei Dank scheint sich dieser Trend durchzusetzen. Vielleicht haben auch unsere ganzen Bemühungen dazu beigetragen. Wir sind an die Schulen gegangen und haben die Schüler in unser Schülerlabor im Neubau eingeladen. Wir wenden uns an Schüler schon in sehr jungem Alter. Einen großen Verdienst hierbei hat eine Kollegin, Frau Felser, die diese Initiative gestartet hat, und die Universität, die sich für die Bevölkerung geöffnet hat. Das war auch die Idee des Wissenschaftsmarkts. Das Resultat ist wirklich faszinierend: 241 Studienanfänger in einem Semester, das übertrifft jetzt sogar unsere Kapazität. Kratz: Ja, das muß das Ziel sein. Vielleicht noch ein Wort zur Forschungsförderung. In Zeiten des knappen Geldes können wir in der Forschung vieles nicht mehr machen, was wir uns vornehmen. Man würde sich wünschen, daß es auch hier zu einer Umkehr kommt, daß der Stellenwert der Forschung größer wird und die Gesellschaft einsieht, einige Prozent des Bruttosozialprodukts in die Zukunft zu investieren, statt an der falschen Stelle zu sparen. Kratz: Ja, weil sich die Erkenntnis durchsetzen wird, daß wir es in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts mit massiven Energieproblemen zu tun bekommen werden und man an der Kernenergie nicht mehr vorbeikommt. Das ist für mich absolut klar. Wie man daran geht. ist für mich eine Frage neuer, intelligenterer Technologien, die es im Prinzip bereits gibt. Sie müssen nur entwickelt werden.



Interview mit Prof. Dr. med. Sucharit Bhakdi, Direktor des Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Universitätsklinik Mainz

Für Vernunft, gegen Hysterie bei Seuchen

Bhakdi: Die Intention des Symposiums war, die Bevölkerung und die Medien darauf hinzuweisen, daß die Behandlung des Themas Infektionskrankheiten sehr unausgeglichen ist. Infektionskrankheiten. die wichtig sind, werden im allgemeinen wenig beachtet, und Sensationsmeldungen über BSE und SARS oder Bioterror kommen in die Schlagzeilen. Es ist an der Zeit. daß man sich besinnt und sich fragt, ob wir uns das leisten können, und zwar in zweierlei Hinsicht: im Sinne der Versorgung der Bevölkerung und der Vorsorge, aber auch in finanzieller Hinsicht. In der heutigen Finanzkrise ist es dringend geboten, daß dieses Thema aufgegriffen wird.

Ich glaube nicht, daß man von der Politik her versucht hat. diese Dinge hochzuspielen. Ich denke, allgemein ist man guten Willens. Die Medien wollen natürlich immer an vorderster Front sein, um möglichst viel zu verkaufen, aber auch den Medien würde ich nicht primär böse Absichten unterstellen.

Bhakdi: Da stellt sich sofort die Frage, wer ist Experte? Und eine nächste Frage wäre, welche Experten werden gefragt? Es gibt ja viele verschiedene Meinungen unter den Experten, was auch seine Gründe hat. Viele haben sich selbst zu Experten ernannt, und viele verfolgen notgedrungenerweise eigene Interessen. Ich kann das sogar bis zu einem gewissen Grad verstehen, denn wir sind alle auch finanziell abhängig und wir werden oft dazu gezwungen, Dinge zu erforschen, um Gelder zu bekommen. Es gehört einiges an Idealismus dazu, zu sagen, da mache ich nicht mit.

Als sich z.B. die BSE-Hysterie ausbreitete, gab es Ausschreibungen und Forschungsprogramme der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) in Zigmillionen. Ich bekam Anrufe von meinen Freunden und Kollegen, die wissen wollten, was für einen Antrag ich stelle. Ich habe gesagt, daß ich keinen Antrag stelle, da ich davon nichts verstehe. Was haben wir aber jetzt davon? Inzwischen stehen Gebäude leer, die damals zu diesem Zweck gebaut wur den. Das ist auch eine Vergeudung von Steuergeldern.

Bhakdi: Das sind zwei Paar Schuhe. Auf dereinen Seite war die internationale Kooperation der Wissenschaft ganz herausragend, und die Wissenschaftler haben sich von der besten Seite gezeigt: sie waren einfach unglaublich tüchtig. Auf der anderen Seite war das ,,handling" des Problems schlichtweg schlecht. Hier ist die ganze Geschichte vollkommen entgleist. Ich sage ganz offen und ich stehe dazu, daß hierbei alle Beteiligten versagt haben.

Die ersten Fälle waren im November 2002 bekannt geworden, im April 2003 kamen die Reisewarnungen und das Riesenbrimborium um Quarantäne. Jeder, der ein bißchen Ahnung von Infektionen hat, wußte, daß SARS nicht so ansteckend sein konnte. Auf dem Symposium hat Prof. Doerr erklärt, weswegen Menschen ohne Symptome nicht ansteckend sind. Das ist bei der Grippe ganz anders, deshalb gibt es immer wieder riesige Grippewellen. Man fühlt sich noch nicht krank, aber man steckt andere schon an. Wenn sich eine Krankheit innerhalb von 16 bis 20 Wochen, also von November bis April, trotz fehlender Therapie so wenig ausbreitet, dann ist vollkommen klar, daß Menschen ohne Krankheitssymptome den Erreger nicht verbreiten. Wir hätten sonst nämlich nicht 1000 Fälle, sondern schon 100.000 SARS-Fälle gehabt. Die Reisewarnungen und die Quarantäne hätten einfach nicht sein müssen und dürfen.

Die einzig sinnvolle Maßnahme bei solchen Infektionen ist die Isolierung, d.h. der Patient muß von anderen abgesondert werden. Es ist selbstverständlich, daß sich das Personal auch schützen muß; aber mehr braucht man nicht machen, sonst schießt man über das Ziel hinaus und entfacht eine Hysterie. Im Falle von SARS hat diese wieder einen riesigen wirtschaftlichen Schaden verursacht - zu einer denkbar ungünstigen Zeit!

Bhakdi: HIV ist eine echte Bedrohung. Diese Krankheit bedroht die Menschheit in einem erschreckenden Maße. Hier liegt aber auch die Diskrepanz: man spricht nicht über AIDS. Warum? Weil wir hierzulande AIDS unter Kontrolle haben. Wie haben wir das geschafft? Wir haben hier eine gebildete Gesellschaft. Die Bevölkerung ist wach geworden und tut viel dagegen - noch. Jetzt wird sie wieder leichtsinnig, aber über Jahre wußten die Leute, um was es ging und haben sich entsprechend verhalten. Außerdem gibt es jetzt hervorragende Medikamente zur Behandlung von AIDS.

Nur ist diese Behandlung teuer, und in Afrika und der Dritten Welt fehlt alles. Das Geld fehlt, die ganze Struktur fehlt, um diesen Entwicklungen Einhalt zu gebieten, und es interessieren sich die meisten Menschen hierzulande auch nicht dafür. Egozentrisches Verhalten ist allgemein sehr verbreitet und Menschen neigen dazu, hauptsächlich an ihr eigenes Wohl zu denken.

Ich gehöre zu den Leuten, die denken, daß der einzige Weg der Entwicklungshilfe die Bildung ist. Ich würde von der Finanzhilfe 90% streichen und die restlichen 10% in die Bildung stecken. Es ist eigentlich wie in Deutschland auch: wir befinden uns in einer Finanzkrise, und es wird nur vom Sparen geredet. Man sollte damit aufhören, denn in Krisenzeiten gibt es nichts Besseres, als in Bildung und Forschung zu investieren.

Bhakdi: Ich sehe es nicht so, daß alte Krankheiten wieder zurückgekehrt sind - das ist eher "amerikanisch". Krankheiten wie Malaria und Tuberkulose waren nie weg. Nur die Amerikaner haben gedacht, sie hätten diese Krankheiten besiegt. Sie haben die Malaria zwar in bestimmten Gegenden getilgt: aber global gesehen war die Malaria nie besiegt. Ich glaube, daß bestimmte Infektionserreger im Verlaufe der Evolution sehr erfolgreich gewesen sind. Ich denke auch, daß bestimmte Krankheiten nie ganz verschwinden werden, aber es gibt wohl keine Infektion, neu oder alt, die die Menschheit ausrotten wird. Die Vision eines Weltuntergangs aufgrund der Entstehung von neuen Erregern ist sensationell, aber wenig realistisch. Im Laufe der Geschichte haben sich viele Krankheitserreger wohl an den Menschen adaptiert. Viele Krankheiten waren früher wohl gefährlicher als heute. Die Syphilis hatte beispielsweise im 17. Jahrhundert eine höhere Sterblichkeitsrate. Es sieht so aus, als ob sich der Mensch an den Erreger angepaßt hat, oder umgekehrt. Parasiten wollen den Wirt nicht umbringen, sondern mit ihm leben. Der erfolgreichste Parasit ist der, der den Wirt am längsten am Leben erhält. Bhakdi: Die Forschung leistet die ganze Zeit große Beiträge, aber Ihre Frage kann man nicht allgemein beantworten. Es sind ja ganz verschiedene Themen, wenn es beispielsweise einerseits darum geht, gegen Mumps, Masern oder Röteln zu impfen, oder wie man andererseits Krankenhausinfektionen verhindert. Die Wissenschaft hat gute Antworten auf die meisten Fragen, auch wenn das oft nicht so realisiert wird.

Das vorhandene Wissen muß auch innerhalb der Ärzteschaft verbreitet werden. Infektionskrankheiten sind ein Buch mit sieben Siegeln, auch für meisten Ärzte, weil die Ausbildung schlecht ist. Das deutsche Medizincurriculum ist in diesem Punkt miserabel. Es gibt mehr Seminare über Psychologie als über Infektionskrankheiten.

Bhakdi: Die Deutschen - ich bin immer noch Thailänder - klagen über Geldmangel, und bis zu einem gewissen Grad kann ich das auch verstehen. Aber im Vergleich zu anderen Ländern, z.B. meinem Land, sind Sie steinreich. Sie geben Geld für Dinge aus, wo mir die Haare zu Berge stehen. Ich hatte BSE angesprochen; wissen Sie, daß der BSE-Wahnsinn Deutschland mehr als das gesamte Budget der Deutschen Forschungsgemeinschaft für biomedizinische Forschung kostet? Wenn wir einerseits von einer Krise im Gesundheitswesen oder von einer Finanzkrise der Universität sprechen und auf der anderen Seite Milliarden ausgeben, um sinnlose BSE-Vorbeugungsmaßnahmen zu ergreifen, dann bin ich nicht bereit, irgendwelche Konzessionen zu machen. Man muß das Geld neu kanalisieren. Die Deutschen haben in den letzten zwei Jahren weitaus mehr Geld für die völlig sinnlose Testung von gesunden Rindern ausgegeben, als für die gesamte infektiologische Diagnostik an kranken Menschen an allen deutschen Universitätskliniken. Das ist der wahre BSE-Skandal!


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